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»Und wenn es so weit ist?«, fragte Kalisha.

»Dann benutzen wir das Telefon«, sagte Avery. »Das große. Wir alle gemeinsam.«

»Wie groß ist es eigentlich?«, fragte George in bangem Ton. »Das letzte, das ich gesehen hab, war nämlich verdammt riesig. Fast so groß wie ich.«

Avery schüttelte nur den Kopf. Seine Augenlider sanken herab. Im Grunde war er ein kleines Kind, das lange nach der Schlafenszeit noch wach war.

Die Kinder aus Station A – selbst Kalisha fiel es schwer, sie nicht als Rüben zu bezeichnen – hielten sich wieder einmal an den Händen. Die Lampen an der Decke wurden heller; eine der Röhren machte vor Überlastung sogar ganz schlapp. Das Summen wurde tiefer und stärker. Bestimmt spürten sie es auch im Vorderbau, da war Kalisha sich sicher – Joe und Hadad, Chad und Dave, Priscilla und dieser hundsgemeine Zeke. Die übrigen ebenfalls. Ob es ihnen wohl Angst machte? Vielleicht ein bisschen, aber…

Aber die meinen, wir würden in der Falle sitzen, dachte Kalisha. Die meinen, dass sie in Sicherheit sind. Die meinen, die Revolte wäre unter Kontrolle. Sollen sie das ruhig weiter meinen.

Irgendwo gab es ein großes Telefon – das größte aller Telefone mit Nebenstellen in vielen Zimmern. Wenn die Kids mit diesem Telefon anriefen (was sie tun mussten, denn es gab keine andere Wahl), würde die Kraft in dem Tunnel, in dem sie gefangen waren, stärker sein als jede Bombe, die jemals auf der Erde oder darunter detoniert war. Dann würde das Summen, das jetzt nur eine Trägerwelle war, vielleicht zu einer Vibration anschwellen, die Gebäude zum Einsturz bringen oder gar ganze Städte zerstören konnte. Kalisha war sich da nicht sicher, hielt es jedoch für möglich. Wie viele Kinder, deren Kopf jetzt von allem außer ihren besonderen Kräften geleert war, warteten wohl auf einen Anruf mit dem großen Telefon? Einhundert? Fünfhundert? Eventuell sogar mehr, falls es überall auf der Welt Institute gab.

»Nicky?«

»Was ist?« Auch er hatte gedöst und hörte sich verärgert an.

»Einschalten können wir es wohl«, sagte sie, weil es nicht nötig war, zu erklären, wovon sie sprach. »Aber wenn wir das tun… können wir es dann auch wieder ausschalten?«

Darüber dachte Nicky nach, bevor er lächelte. »Das weiß ich nicht. Aber nach allem, was sie uns angetan haben… ist mir das ehrlich gesagt scheißegal.«

9

Viertel nach elf.

Stackhouse war wieder im Büro von Mrs. Sigsby, wo das Nullfon – vorläufig schweigend – auf dem Schreibtisch lag. In einer Dreiviertelstunde würde der letzte Tag, an dem das Institut seiner gewohnten Mission nachging, vorüber sein. Morgen würde dieser Ort verlassen sein, egal wie sich die Sache mit Luke Ellis entwickelte. Das Programm als solches konnte trotz dieser Wendy, die Luke und sein Freund da unten im Süden zurückgelassen hatten, weiterlaufen, aber die Einrichtung hier war erledigt. In der heutigen Nacht kam es nur darauf an, den USB-Stick in die Finger zu bekommen und dafür zu sorgen, dass Luke Ellis tot war. Mrs. Sigsby zu retten wäre nett, aber nicht zwingend erforderlich.

Tatsächlich fand der Auszug aus dem Institut bereits statt. Von dort, wo Stackhouse saß, hatte er einen Blick auf die nicht asphaltierte Straße, auf der man nach Dennison River Bend gelangte, um von dort aus weiter in die südlicher gelegenen Bundesstaaten zu fahren… oder nach Kanada und Mexiko, wenn man einen Reisepass besaß. Zu sich gerufen hatte Stackhouse lediglich Zeke, Chad, Doug den Koch (zwanzig Jahre bei Halliburton) und Dr. Felicia Richardson, die von der Hawk Security Group ins Institut gekommen war. Diesen Leuten konnte er vertrauen.

Was die anderen anging… er hatte zwischen den Bäumen ihre Rücklichter flackern sehen. Zwar hatten sich bisher wohl erst etwa ein Dutzend auf den Weg gemacht, doch dabei würde es nicht bleiben. Bald würden sich im Vorderbau nur noch die paar Kinder aufhalten, die momentan dort untergebracht waren. Vielleicht war das auch schon jetzt der Fall. Aber Zeke, Chad, Doug und Dr. Richardson würden bei der Stange bleiben, die waren loyal. Und Gladys Hickson. Die blieb sicher auch, vielleicht selbst dann, wenn alle anderen fort waren. Gladys war nicht nur eine Kämpfernatur; Stackhouse hatte zunehmend den Eindruck, dass sie regelrecht psychotisch war.

Eigentlich bin ich selbst ein Psycho, wenn ich hierbleibe, dachte er. Aber der kleine Scheißer hat recht – man würde mich aufspüren. Und jetzt tappt er direkt in meine Falle. Es sei denn…

»Es sei denn, er führt mich an der Nase herum«, murmelte Stackhouse.

Rosalind, die Assistentin von Mrs. Sigsby, steckte den Kopf herein. Im Lauf der vergangenen zwölf Stunden hatte ihr normalerweise perfektes Make-up erheblich gelitten, und ihre normalerweise perfekt frisierten grauen Haare standen an den Seiten in die Höhe.

»Mr. Stackhouse?«

»Ja, Rosalind.«

Sie sah ihn beunruhigt an. »Ich glaube, Dr. Hendricks ist weggefahren. Vor etwa zehn Minuten habe ich seinen Wagen gesehen, glaube ich.«

»Das überrascht mich nicht. Sie sollten auch fahren, Rosalind. Nach Hause.« Er lächelte. Es fühlte sich seltsam an, in einer solchen Nacht zu lächeln, doch auf gute Weise. »Mir ist gerade klar geworden, dass ich Sie kenne, seit ich hierhergekommen bin, also seit vielen Jahren, und trotzdem keine Ahnung habe, wo Sie zu Hause sind.«

»In Missoula«, sagte Rosalind, die selbst überrascht aussah. »Das liegt in Montana. Wenigstens nehme ich an, dass ich da noch zu Hause bin. Ich habe ein Haus dort, aber ich bin schon fünf Jahre nicht mehr da gewesen, glaube ich. Ich zahle bloß die Steuern, wenn sie fällig sind. Wenn ich freihabe, bleibe ich im Dorf, und wenn ich mal was anderes sehen will, fahre ich nach Boston. Ich bin ein Fan von den Red Sox und den Bruins, und ich gehe gern in dieses Programmkino in Cambridge. Aber ich bin immer bereit, wieder hierherzukommen.«

Stackhouse wurde klar, dass Rosalind in diesen mehr als fünfzehn Jahren noch nie so viel zu ihm gesagt hatte. Sie war schon das treue Faktotum von Mrs. Sigsby gewesen, als Stackhouse nach seinem Dienst als Kriminalermittler bei der Army ins Institut gekommen war. Jetzt war sie immer noch da und sah auch praktisch immer noch so aus wie damals. Ob sie wohl Mitte sechzig war oder eine gut erhaltene Siebzigerin?

»Sir, hören Sie das summende Geräusch?«

»Ja, das höre ich.«

»Ist das ein Transformator oder so was? Ich hab es jedenfalls noch nie gehört.«

»Ein Transformator. Ja, so könnte man es wohl nennen.«

»Es ist ungeheuer nervtötend.« Sie rieb sich die Ohren, womit sie ihre Haare noch mehr durcheinanderbrachte. »Offenbar wird es von den Kindern erzeugt. Kommt Julia – Mrs. Sigsby – eigentlich wieder? Das tut sie doch, oder etwa nicht?«

Eher amüsiert als verärgert stellte Stackhouse fest, dass die immer so korrekte und unaufdringliche Rosalind die Ohren gespitzt hatte, ob mit oder ohne Summen.

»Ich nehme an, ja.«

»Dann würde ich gerne bleiben. Ich kann nämlich schießen, wissen Sie? Einmal im Monat fahre ich zum Schießstand in die Stadt, manchmal sogar zweimal. Ich hab das Schützenvereinäquivalent vom Scharfschützenabzeichen, und letztes Jahr hab ich den Wettbewerb für kleine Handfeuerwaffen gewonnen.«

Julias unauffällige Assistentin konnte also nicht nur ausgezeichnet stenografieren, sie besaß auch das Scharfschützenabzeichen… oder, wie sie es nannte, das Äquivalent. Wunder gab es doch immer wieder.

»Was für eine Waffe haben Sie denn, Rosalind?«

»Eine Smith & Wesson M&P Kaliber fünfundvierzig.«

»Macht der Rückstoß Ihnen keine Probleme?«

»Dank meiner Handgelenkstütze kann ich ausgezeichnet damit umgehen. Sir… falls Sie die Absicht haben, Mrs. Sigsby aus der Hand ihrer Kidnapper zu befreien, möchte ich sehr gerne daran teilnehmen.«