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So wie du aussiehst, ist da nicht mehr viel nötig, dachte Stackhouse, aber was das Summen anging, hatte sie recht. Man konnte sich einfach nicht daran gewöhnen. Gerade wenn man dachte, es geschafft zu haben, schwoll es an – wenn auch eigentlich nicht in den Ohren, sondern im Kopf. Um anschließend urplötzlich wieder auf seinen früheren, etwas erträglicheren Pegel abzusinken.

»Ich hab gerade mit Felicia gesprochen«, sagte Gladys. »Mit Dr. Richardson, meine ich. Sie beobachtet die da unten auf ihrem Monitor und sagt, dass das Summen stärker wird, wenn sie sich an den Händen nehmen, und abnimmt, wenn sie sich wieder loslassen.«

Darauf war Stackhouse bereits von allein gekommen. Dazu musste man kein Genie sein, wie man so sagte.

»Wann ist es so weit, Sir?«

Er warf einen Blick auf seine Uhr. »Ich denke, in etwa drei Stunden. Die Ventilatoren befinden sich auf dem Dach, nicht wahr?«

»Ja.«

»Vielleicht kann ich Sie anrufen, wenn es an der Zeit ist, Gladys, aber es könnte sein, dass ich das nicht schaffe. Wahrscheinlich wird alles sehr schnell gehen. Sobald Sie hören, dass vor dem Verwaltungsgebäude Schüsse fallen, speisen Sie das Chlorgas ein, egal ob Sie was von mir hören oder nicht. Und dann machen Sie, dass Sie wegkommen. Gehen Sie dort nicht wieder rein, laufen Sie einfach auf dem Dach zum Ostflügel vom Vorderbau. Verstanden?«

»Ja, Sir!« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Dasjenige, das alle Kinder hassten.

12

Halb eins.

Während Kalisha die Kinder aus Station A beobachtete, dachte sie an die Marching Band der Ohio State University. Ihr Dad war ein großer Fan vom dortigen Footballteam, den Buckeyes, weshalb sie mit ihm immer die Spiele angeschaut hatte, allerdings nur, um bei ihm zu sein. Das Einzige, was ihr wirklich gefallen hatte, war die Show in der Halbzeitpause, wenn die Band (»Die Ziiiierde der Buckeyes!«, rief der Stadionsprecher bei jeder Gelegenheit) aufs Spielfeld marschierte. Dabei spielten die Mitglieder nicht nur ihre Instrumente, sondern bildeten auch Formen, die nur von oben sichtbar waren – zum Beispiel das S auf der Brust von Superman oder einen fantastischen Dino wie aus Jurassic Park, der umherging und mit seinem Saurierkopf nickte.

Die Kinder aus Station A hatten keine Musikinstrumente, und wenn sie sich an den Händen fassten, bildeten sie immer nur einen ganz normalen Kreis – unregelmäßig, weil der Tunnel so eng war–, doch das taten sie mit derselben… es gab einen Ausdruck dafür…

»Synchronizität«, sagte Nicky.

Verblüfft drehte sie sich nach ihm um. Er grinste sie an und strich die Haare zurück, damit sie einen besseren Blick auf seine Augen hatte, die – zugegeben – ziemlich faszinierend waren.

»Das ist selbst für ’nen weißen Jungen ein ziemlich anspruchsvolles Wort.«

»Hab ich von Luke.«

»Hörst du den etwa? Stehst du in Kontakt mit ihm?«

»Irgendwie schon. Mal mehr, mal weniger. Ist schwer zu sagen, was meine Gedanken sind und was seine. Als ich geschlafen hab, war es besser. Wenn ich wach bin, kommen mir meine eigenen Gedanken in die Quere.«

»Wie eine Interferenz?«

Nicky zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich. Aber wenn du dich öffnest, kannst du ihn bestimmt auch hören. Übrigens kommt er besser durch, wenn die da gerade einen Kreis bilden.« Er deutete mit dem Kinn auf die Kinder aus Station A, die ihre ziellose Wanderung wiederaufgenommen hatten. Jimmy und Donna gingen nebeneinander und ließen die verschränkten Hände schwingen. »Willst du’s versuchen?«

Kalisha bemühte sich, nicht mehr zu denken. Zuerst fiel ihr das erstaunlich schwer, aber wenn sie dem Summen lauschte, wurde es leichter. Das Summen war wie eine Mundspülung, nur für das Gehirn.

»Was ist so lustig, Sha?«

»Nichts.«

»Oh, hab’s kapiert«, sagte Nicky. »Hirnspülung statt Mundspülung. Find ich cool.«

»Ich kriege was mit, aber nicht besonders viel. Vielleicht schläft Luke gerade.«

»Gut möglich. Aber ich glaube, er wird bald aufwachen. Weil wir wach sind.«

»Synchronizität«, sagte sie. »Was für ein krasses Wort. Passt gut zu ihm. Weißt du noch, wie er die Münzen genannt hat, die sie uns für die Automaten gegeben haben? Die wären eine Gratifikation. Auch ein krasses Wort.«

»Luke ist speziell, und das liegt daran, dass er so klug ist.« Nicky warf einen Blick auf Avery, der sich an Helen lehnte. Beide schliefen tief und fest. »Und der Avester ist deshalb speziell, weil er… tja…«

»Weil er Avery ist.«

»Genau.« Nicky grinste. »Trotzdem haben diese Idioten seinen Motor getunt, ohne einen Regler einzubauen.« Sein Lächeln war – zugegeben – genauso faszinierend wie seine Augen. »Die beiden haben uns irgendwie gemeinsam dahin gebracht, wo wir jetzt sind. Luke ist wie die Schokohülle, Avery wie die Füllung. Einer von beiden allein hätte nichts verändert. Zusammen sind sie die Eisbombe, die alles hier in die Luft sprengen wird.«

Kalisha lachte. Das war eine dämliche, aber ziemlich passende Beschreibung. Zumindest hoffte sie das. »Trotzdem stecken wir immer noch fest. Wie Ratten in einem zugestöpselten Rohr.«

Seine blauen Augen blickten in ihre braunen. »Nicht mehr lange, wie du sicher weißt.«

»Wir werden sterben, oder?«, sagte sie. »Wenn sie uns nicht vergasen, dann…« Sie warf einen Blick auf die Kinder aus Station A, die wieder einen Kreis bildeten. Das Summen schwoll an, die Deckenlampen wurden heller. »Es wird so weit sein, wenn die da richtig loslegen. Gemeinsam mit den anderen, wo immer die sind.«

Das Telefon, dachte sie in seine Richtung. Das große Telefon.

»Wahrscheinlich«, sagte Nicky. »Luke meint, wir werden alles über denen da oben zusammenkrachen lassen, wie Samson den Tempel auf die Philister stürzen ließ. Die Geschichte kenne ich zwar nicht – in meiner Familie hat sich keiner für die Bibel interessiert–, aber ich kapiere, was gemeint ist.«

Kalisha kannte die Geschichte und erschauderte. Als ihr Blick wieder auf Avery fiel, dachte sie an etwas anderes aus der Bibeclass="underline" Ein kleiner Knabe wird sie leiten.

»Kann ich dir mal was sagen?«, fragte Kalisha. »Wahrscheinlich lachst du mich aus, aber das ist mir egal.«

»Nur zu!«

»Ich will, dass du mich küsst.«

»Das ist aber keine schwere Aufgabe«, sagte Nicky. Er strahlte.

Sie beugte sich zu ihm, er beugte sich ihr entgegen, und dann küssten sie sich mitten im Summen.

Das ist aber schön, dachte Kalisha. Ich hab’s mir schon so vorgestellt, und es ist wirklich schön.

Sogleich kam Nickys Gedanke zu ihr, getragen vom Summen: Machen wir’s doch gleich noch einmal. Mal sehen, ob das doppelt so schön ist.

13

Zehn vor zwei.

Die Challenger setzte auf der Landebahn eines Privatflugplatzes auf, der sich im Besitz einer Briefkastenfirma namens Maine Paper Industries befand. Dann rollte die Maschine auf ein kleines, dunkles Gebäude zu. Als sie sich ihm näherte, ließ ein Bewegungsmelder drei Scheinwerfer auf dem Dach aufflammen. Ihr Licht fiel auf ein kastenförmiges Bodenstromaggregat und einen hydraulischen Containerstapler. Daneben wartete keine Familienkutsche, sondern ein neunsitziger Chevrolet Suburban, schwarz mit getönten Fenstern. Orphan Annie wäre begeistert gewesen.