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Los, George. Auf den Spielplatz!

Die Hand von George löste sich, und die von Nicky nahm ihren Platz ein. Nicky, der für Avery eingetreten war, als Harry ihn umgestoßen hatte. Nicky, der ihm den Namen Avester gegeben hatte, einen Namen, den nur seine Freunde benutzen durften. Avery drückte seine Hand und spürte, wie der Druck erwidert wurde. Nicky, der immer blaue Flecken hatte. Nicky, der sich nicht unterwarf oder diese beschissenen Münzen entgegennahm.

Los, Nicky. Auf den Spielplatz!

Er war fort, und jetzt ergriff Helen die Hand von Avery, Helen mit ihrer verblassten Punkfrisur, Helen, die ihm beigebracht hatte, wie man auf dem Trampolin Purzelbäume schlug, und dabei auf ihn aufgepasst hatte, »damit du nicht runterfällst und dir den Schädel aufschlägst«.

Los, Helen. Auf den Spielplatz!

Als letzte von seinen Freunden hier machte sie sich auf den Weg, aber Katie nahm die Hand, die Helen gehalten hatte, und es war so weit.

Von draußen hörte man gedämpfte Schüsse.

Bitte mach, dass es noch nicht zu spät ist!

Das war sein letzter bewusster Gedanke als Individuum, als Avery. Dann trat er in das Summen und die Lichter ein.

Es war an der Zeit, ein Ferngespräch zu führen.

21

Durch die letzten Bäume hindurch sah Stackhouse den Wagen anrollen. Die Lichter des Verwaltungsgebäudes spiegelten sich in den Chromleisten. Der Suburban bewegte sich ganz langsam, aber er näherte sich. Stackhouse kam in den Sinn (zu spät, als dass man etwas dagegen unternehmen konnte, aber war das nicht immer so?), dass der Junge den USB-Stick womöglich gar nicht dabei, sondern der Frau übergeben hatte, die er Officer Wendy nannte. Oder dass er ihn irgendwo auf dem Weg vom Flugplatz hierher versteckt und dem irregeleiteten Helden gesagt hatte, er solle Officer Wendy anrufen und ihr für den Fall, dass die Sache in die Hose gehe, das Versteck beschreiben.

Aber was hätte ich groß dagegen tun können, dachte er. Nichts. Jetzt zählt nur dieser Moment.

Der Suburban tauchte am Anfang der Einfahrt auf. Stackhouse blieb zwischen dem Bus und der Fahnenstange stehen, die Arme ausgestreckt wie Christus am Kreuz. Das Summen hatte eine fast betäubende Lautstärke erreicht, und er fragte sich, ob Rosalind wohl ihre Stellung hielt oder sich gezwungen gesehen hatte zu fliehen. Er dachte an Gladys und hoffte, dass sie bereit war, die Mixtur einzuspeisen.

Mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte er sich auf die Gestalt hinter dem Lenkrad. Viel war nicht zu erkennen, und er wusste, dass Doug und Chad durch die getönten Seitenfenster erst recht nichts sehen würden, bis sie die in Stücke geschossen hatten, aber die Windschutzscheibe war aus klarem Glas, und als der Wagen nur noch zwanzig Meter entfernt war – ein bisschen näher, als er gehofft hatte–, sah er das Justierband der umgedrehten Basecap, das sich über die Stirn des Fahrers spannte, und ließ die Fahnenstange los. Der Fahrer schüttelte hektisch den Kopf, eine Hand ließ das Lenkrad los und presste sich seesternförmig an die Windschutzscheibe, wie um stopp zu rufen, und da wurde Stackhouse klar, dass man ihn hereingelegt hatte. Der Trick war so simpel wie die Idee, unter einem Zaun durchzukriechen, und genauso wirkungsvoll.

Hinter dem Lenkrad saß nicht der irregeleitete Held. Da saß Mrs. Sigsby.

Der Suburban hielt an, dann bewegte er sich rückwärts. »Tut mir leid, Julia, da kann man nichts machen«, sagte Stackhouse und hob die Hand.

Auf dem Verwaltungsgebäude und zwischen den Bäumen wurde das Feuer eröffnet. Auf dem Dach des Vorderbaus nahm Gladys Hickson die Deckel von zwei großen Eimern Bleichmittel, aufgestellt unter dem Gebläse, das den Hinterbau und den Tunnel mit Heizung und Kühlung versorgte. Sie hielt den Atem an, kippte die Flaschen mit WC-Reiniger in die Eimer, rührte mit einem Besenstiel jeweils kurz um, zog eine Plane über Eimer und Gebläse und rannte mit brennenden Augen auf den Ostflügel zu. Während sie über das Dach lief, spürte sie, dass es sich unter ihr bewegte.

22

»Nein, Trevor, nein!«, kreischte Mrs. Sigsby. Sie schüttelte den Kopf heftig hin und her. Von hinten sah Tim, wie sie die linke Hand hob und an die Windschutzscheibe drückte. Mit der rechten legte sie den Rückwärtsgang ein.

Der Suburban hatte sich gerade wieder in Bewegung gesetzt, als Schüsse krachten. Einige kamen von rechts aus dem Wald, andere von vorn und – da war sich Tim ziemlich sicher – von oben. In der Windschutzscheibe tauchten Löcher auf. Das Glas wurde milchig und sackte nach innen. Mrs. Sigsby verwandelte sich in eine Puppe, die zuckte, zappelte und erstickte Schreie ausstieß, während die Geschosse sie durchbohrten.

»Bleib unten, Luke!«, brüllte Tim, als der Junge sich unter ihm regte. »Unten bleiben!«

Geschosse durchschlugen die Seitenfenster des Suburban. Auf Tims Rücken regneten Glasscherben. An der Rückseite vom Fahrersitz lief Blut herab. In dem konstanten Summen, das von überall her zu kommen schien, hörte Tim die Kugeln knapp über seinem Rücken durch den Wagen fliegen, jede mit einem tiefen, weichen Zischen.

Klickend und klackend bohrten die Geschosse sich ins Metall. Die Kühlerhaube klappte auf. Tim musste an die letzte Szene in einem alten Gangsterfilm denken, an Bonnie Parker und Clyde Barrow im Todestanz, während die Kugeln in ihren Wagen und in sie selbst einschlugen. Was immer Lukes Plan gewesen war, er war katastrophal gescheitert. Mrs. Sigsby war tot; die Überreste der Windschutzscheibe waren mit Blutspritzern bedeckt. Tim und Luke würden die Nächsten sein.

Dann hörte man Schreie von oben und Rufe von rechts. Zwei weitere Geschosse durchschlugen die rechte Hintertür, eines streifte tatsächlich den Kragen von Tims Hemd. Es waren die letzten. Jetzt hörte Tim ein gewaltiges, donnerndes Knirschen.

»Lass mich hoch!«, keuchte Luke. »Ich krieg keine Luft!«

Tim richtete sich ein Stück weit auf und spähte zwischen den Vordersitzen hindurch. Er war sich bewusst, dass ihm jederzeit der Kopf weggeblasen werden konnte, aber er musste sehen, was da vor sich ging. Luke tat dasselbe. Tim wollte ihm befehlen, sich wieder auf den Boden zu legen, aber die Worte blieben ihm in der Kehle stecken.

Das kann nicht wahr sein, dachte er. Das kann einfach nicht wahr sein.

Doch das war es.

23

Avery und die anderen standen im Kreis um das große Telefon. Es war kaum zu sehen hinter den Stass-Lichtern, die so hell und so wunderschön leuchteten.

Die Wunderkerze, dachte Avery. Jetzt machen wir die Wunderkerze.

Die floss aus den Lichtern zusammen, bestimmt drei Meter hoch. Funken sprühten in alle Richtungen. Zuerst schwankte die Wunderkerze hin und her, dann brachte das Gruppenhirn sie besser unter Kontrolle. Sie pendelte an den riesigen Hörer des Telefons und stieß ihn von seiner riesigen Gabel. Das hantelförmige Monstrum landete schräg auf den Pfosten des Seilgartens. Aus der Sprechmuschel erschollen Stimmen in vielen verschiedenen Sprachen; sie stellten alle dieselbe Frage: Hallo, hörst du mich? Hallo, bist du da?