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Er klappte den Briefkasten zu und griff mit der Hand nach hinten, als wollte er seinen Gürtel zurechtrücken. Der Gürtel war da, wo er sein sollte, ebenso die Waffe, eine Glock, die einmal einem rothaarigen Deputy namens Taggart Faraday gehört hatte.

Der Mann stellte den Motor ab und stieg aus. Er trug Jeans, die wesentlich neuer waren als die von Tim – sie hatten noch die Bügelfalte vom Laden–, und ein weißes, bis zum Hals zugeknöpftes Hemd. Sein Gesicht war zugleich ansprechend und nichtssagend, ein Gegensatz, der einem unmöglich vorgekommen wäre, bis man so jemand vor sich sah. Die Augen waren blau, die Haare hatten den nordischen Blondton, der beinahe weiß wirkte. Eigentlich sah er genauso aus, wie die verstorbene Julia Sigsby ihn sich vorgestellt hatte. Er wünschte Tim einen guten Morgen, und Tim erwiderte den Gruß mit der Hand hinter dem Rücken.

»Sie sind Tim Jamieson.« Der Besucher streckte ihm die Hand hin.

Tim sah sie an, ohne sie zu schütteln. »Der bin ich. Und wer sind Sie?«

Der blonde Mann lächelte. »Sagen wir mal, ich heiße William Smith. Das ist der Name auf meinem Führerschein.« Jedes S am Wortanfang war leicht gelispelt. »Sagen Sie doch Bill zu mir.«

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Smith?«

Der Mann, der sich Bill Smith nannte – ein Name, so anonym wie sein Pkw–, blinzelte in den frühen Sonnenschein. Lächelte leicht, als müsste er sich zwischen mehreren möglichen Antworten auf diese Frage entscheiden, die allesamt angenehm waren. Dann richtete er den Blick wieder auf Tim. Das Lächeln lag noch auf seinem Mund, aber seine Augen lächelten nicht.

»Wir könnten noch ein bisschen um den heißen Brei herumreden, aber Sie haben heute bestimmt viel zu tun, deshalb werde ich nicht mehr von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen als unbedingt nötig. Lassen Sie mich mit der Versicherung beginnen, dass ich nicht hier bin, um Ihnen irgendwelche Probleme zu bereiten. Sollte es Sie also da hinten nicht nur jucken, können Sie die Waffe stecken lassen. Ich glaube, wir sind uns einig, dass in diesem Teil der Welt vorläufig genügend Schüsse gefallen sind.«

Tim überlegte, ob er Mr. Smith fragen sollte, wie man ihn ausfindig gemacht habe, aber wozu? Schwer konnte es nicht gewesen sein. Die Catawba Farm gehörte Harry und Rita Gullickson, die jetzt in Florida lebten. Ihre Tochter hatte in den letzten drei Jahren ein Auge auf das alte Haus gehabt. Wer hätte das besser tun können als ein Deputy?

Na gut, sie war Deputy gewesen und bekam immer noch ihr Gehalt, wenigstens vorläufig, aber einen Aufgabenbereich hatte sie eigentlich nicht mehr. Ronnie Gibson, die an dem Abend, an dem Mrs. Sigsby und ihr Stoßtrupp angegriffen hatten, in Urlaub gewesen war, fungierte jetzt als kommissarischer Sheriff von Fairlee County, aber wie lange es dabei bleiben würde, wusste niemand; man sprach davon, die Polizeistation in die nahe Stadt Dunning zu verlegen. Wendy war ohnehin nie so recht als Gesetzeshüterin geeignet gewesen.

»Wo ist Officer Wendy?«, fragte Smith. »Da hinten im Haus vielleicht?«

»Wo ist Stackhouse?«, konterte Tim. »Der hat Ihnen wohl von Officer Wendy erzählt, denn Mrs. Sigsby ist bekanntlich tot.«

Smith zuckte die Achseln, steckte die Hände in die Gesäßtaschen seiner neuen Jeans, wiegte sich vor und zurück und blickte sich um. »Menschenskind, ist das hübsch hier, was?« Das was hörte sich nach wath an, aber es war nur ein ganz leichtes Lispeln und trat zudem nur ab und zu auf.

Tim entschied, die Frage nach Stackhouse fallen zu lassen. Offensichtlich würde er doch keine Antwort bekommen, außerdem war Stackhouse nicht mehr von Interesse. Vielleicht war er in Brasilien, vielleicht auch in Argentinien oder Australien, und vielleicht war er tot. Für Tim hatte das keinerlei Bedeutung. Und der Mann mit dem Lispeln hatte recht; es hatte keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden.

»Deputy Gullickson ist in Columbia bei einer nicht öffentlichen Anhörung zu der Schießerei, die im Sommer vorgefallen ist.«

»Ich nehme an, sie hat eine Geschichte parat, die ihr die Leute von der Kommission abkaufen werden.«

Tim hatte kein Interesse daran, diese Annahme zu bestätigen. »Außerdem wird sie an einigen Besprechungen über die Zukunft der Polizeiarbeit hier in Fairlee County teilnehmen, da das bisherige Personal von der Truppe, die Sie geschickt haben, weitgehend ausgelöscht wurde.«

Smith spreizte die Hände. »Damit hatten ich und die Leute, mit denen ich zusammenarbeite, absolut nichts zu tun. Mrs. Sigsby hat eigenmächtig gehandelt.«

Selbst wenn das stimmt, stimmt es nicht wirklich, hätte Tim entgegnen können. Schließlich hat sie so gehandelt, weil sie Angst vor Ihnen und den Leuten hatte, mit denen Sie zusammenarbeiten.

»Soweit mir bekannt ist, sind George Iles und Helen Simms bereits abgereist«, sagte Mr. Smith. Simms kam als Simmth heraus. »Der junge Mr. Iles zu einem Onkel in Kalifornien, Miss Simms zu ihren Großeltern in Delaware.«

Tim konnte sich zwar nicht erklären, woher der Mann mit dem Lispeln diese Informationen hatte – Norbert Hollister war schon lange fort, am Motel hing ein Schild mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN, das wahrscheinlich lange da hängen bleiben würde–, aber sie trafen zu. Dass man ihn nicht aufspüren würde, hatte er nie erwartet, das wäre naiv gewesen, aber ihm passte gar nicht, wie genau Mr. Smith über die Kinder Bescheid wusste.

»Das bedeutet, dass Nicholas Wilholm und Kalisha Benson noch hier sind. Und natürlich Luke Ellis.« Das Lächeln zeigte sich wieder, wenn auch dünner. »Der Ursprung allen Elends.«

»Was wollen Sie, Mr. Smith?«

»Eigentlich nur sehr wenig. Wir kommen gleich dazu. Vorerst möchte ich Ihnen ein Kompliment machen. Nicht nur wegen Ihrer Tapferkeit in der Nacht, in der Sie das Institut praktisch im Alleingang gestürmt haben, sondern auch wegen der Sorgfalt, die Sie und Officer Wendy anschließend an den Tag gelegt haben. Sie haben die Kinder fein säuberlich aufgeteilt, nicht wahr? Zuerst haben Sie Iles weggeschickt, etwa einen Monat nach Ihrer Rückkehr nach South Carolina. Die kleine Simms zwei Wochen später. Beide mit der Geschichte, man hätte sie aus unbekannten Gründen gekidnappt, eine Weile an einem unbekannten Ort festgehalten und dann freigelassen… ebenfalls aus unbekannten Gründen. Das haben Sie und Officer Wendy alles arrangiert, obwohl Sie in dieser Zeit sicher allerhand Fragen beantworten mussten.«

»Woher wissen Sie das alles?«

Jetzt war der Mann mit dem Lispeln an der Reihe, nicht zu antworten, aber das war in Ordnung. Wahrscheinlich stammten zumindest einige seiner Informationen direkt aus den Medien und dem Internet. Die Rückkehr von gekidnappten Kindern war immer eine Nachricht wert. »Wann reisen denn Wilholm und Benson ab?«

Nach kurzer Überlegung beschloss Tim, die Frage zu beantworten. »Nicky fährt am kommenden Freitag. Zu seinem Onkel und seiner Tante in Nevada. Sein Bruder ist schon dort. Er ist zwar nicht gerade begeistert, weiß aber, dass er hier nicht bleiben kann. Kalisha ist noch ein oder zwei Wochen hier. Sie hat eine zwölf Jahre ältere Schwester in Houston und freut sich darauf, die wiederzusehen.« Das stimmte, wenn auch nicht ganz. Wie die anderen litt Kalisha an einer posttraumatischen Belastungsstörung.