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»Siehst du?«, sagte George. »TK-pos in Aktion. Leider hält es nicht lange.«

Wohl wahr. Die Mücken waren bereits wieder da, sie umkreisten ihn und wurden sichtlich nur durch das Abwehrmittel, das er aufgetragen hatte, auf Distanz gehalten.

»Dein zweiter Wurf auf den Korb vorhin«, sagte Luke. »Hättest du den reingehen lassen können?«

Mit bedauernder Miene schüttelte George den Kopf.

»Wäre toll, wenn sie mal einen TK-pos herschaffen würden, der richtig Power hat«, sagte Iris. Die Aufregung, jemand Neues kennenzulernen, hatte sich in Luft aufgelöst. Jetzt sah sie müde, verängstigt und älter aus, als sie war. Luke schätzte sie auf etwa fünfzehn. »Einen, der uns schleunigst hier rausteleportieren könnte.« Sie setzte sich auf eine Bank am Picknicktisch und legte die Hand über die Augen.

Kalisha setzte sich daneben und legte den Arm um sie. »Komm, Knuffel, komm, es wird schon wieder gut.«

»Nein, wird es nicht«, sagte Iris. »Sieh dir das an, ich bin ein richtiges Nadelkissen!« Sie streckte die Arme aus. Auf dem linken klebten zwei Pflaster, auf dem rechten drei. Dann rieb sie sich kräftig die Augen und setzte ein Pokerface auf. »Sag doch mal, Neuer – kannst du absichtlich Sachen verschieben?«

Über den auch als Psychokinese bekannten Triumph von Geist über Materie, zu dem Luke fähig war, hatte er noch nie mit jemand gesprochen – außer mit seinen Eltern. Seine Mutter sagte, die Leute würden schlicht durchdrehen, wenn sie darüber Bescheid wüssten, und sein Vater meinte, es sei das Unwichtigste an ihm. Mit beidem stimmte Luke überein, aber diese Kids da drehten bestimmt nicht durch, und hier war so etwas doch wichtig. Das war klar.

»Nein«, sagte er. »Ich kann nicht mal richtig mit den Ohren wackeln.«

Die anderen lachten, worauf Luke sich entspannte. Dieser Ort war seltsam und beängstigend, aber immerhin schienen die drei da in Ordnung zu sein.

»Ab und zu bewegen sich Sachen von selbst, das ist alles. Teller oder Besteck. Manchmal geht eine Tür von alleine zu, und ein paarmal ist die Lampe auf meinem Schreibtisch angegangen. Was Besonderes ist nie passiert. Ich war mir dabei nicht mal ganz sicher, ob es an mir lag. Ich dachte, vielleicht ist es ein Luftzug… oder ein Beben tief in der Erde…«

Die drei blickten ihn wissend an.

»Okay«, sagte er. »Ich hab es doch gewusst. Meine Eltern ebenfalls. Aber es war nie eine große Sache für uns.«

Vielleicht, dachte er, wäre es ja anders gewesen, wenn ich nicht so verdammt intelligent wäre, dass mich gleich zwei Colleges angenommen haben, obwohl ich erst zwölf bin. Wenn ein Siebenjähriger so gut Klavier spielen könnte wie Van Cliburn, würde es dann irgendjemand kümmern, wenn er außerdem noch ein paar simple Kartentricks beherrschte? Oder mit den Ohren wackeln konnte? Vor George, Iris und Kalisha konnte er das allerdings nicht sagen. Es hätte angeberisch geklungen.

»Stimmt, es ist wirklich keine große Sache!«, sagte Kalisha in wütendem Ton. »Das ist das Beschissene daran! Wir sind nicht die Justice League oder die X-Men!«

»Sind wir eigentlich gekidnappt worden?«, fragte Luke und wünschte sich inbrünstig, dass die anderen laut loslachten. Dass einer von ihnen sagte: Natürlich nicht!

»Was denn sonst?«, sagte George.

»Aber warum? Weil du irgendwelche Mücken dazu bringen kannst, dich einen Moment in Ruhe zu lassen? Weil ich…« Er dachte daran, wie das Blech in der Pizzeria zu Boden gefallen war. »Weil ab und zu hinter mir die Tür von selbst zugeht, wenn ich in ein Zimmer gehe?«

»Na ja«, sagte George. »Wenn sie die Leute nach Schönheit auswählen würden, wären Iris und Sha bestimmt nicht hier.«

»Vollpfosten«, sagte Kalisha

George grinste. »Ein extrem niveauvoller Konter. Fast so gut wie ›Leck mich am Ärmel‹.«

»Manchmal kann ich es kaum erwarten, dass du in den Hinterbau kommst«, sagte Iris. »Gott wird mir dafür wahrscheinlich in den Arsch treten, aber…«

»Moment«, sagte Luke. »Moment. Fang bitte mal am Anfang an.«

»Das ist der Anfang, Kumpel«, sagte jemand hinter ihnen. »Leider ist es wahrscheinlich auch das Ende.«

2

Luke schätzte das Alter des frisch dazugekommenen Jungen auf sechzehn, stellte jedoch später fest, dass er zwei Jahre zu hoch gelegen hatte. Nicky Wilholm war groß und blauäugig; sein ungepflegter Haarschopf war rabenschwarz und schrie nach einer doppelten Dosis Shampoo. Er trug ein zerknittertes Hemd und ebenso zerknitterte Shorts, seine weißen Sportsocken hingen auf halbmast, und seine Sneakers waren schmutzig. Luke erinnerte sich daran, dass Maureen gesagt hatte, Nicky sei wie Pig Pen von den Peanuts.

Die anderen beäugten ihn mit respektvoller Vorsicht, und Luke begriff sofort, dass Kalisha, Iris und George zwar nicht glücklicher als er selbst darüber waren, sich an diesem Ort zu befinden, aber doch versuchten, positiv zu bleiben. Bis auf den Moment, wo Iris sich hatte gehen lassen, stellten sie die etwas alberne Absicht zur Schau, das Beste aus der Situation zu machen. Das ließ sich von dem Typen da nicht behaupten. Momentan wirkte Nicky zwar nicht wütend, aber es war klar, dass er es vor nicht allzu langer Zeit gewesen war. Seine geschwollene Unterlippe war an einer Stelle aufgeplatzt, außerdem war das ehemals blaue, jetzt noch blassblaue Auge so wenig zu übersehen wie der frische Bluterguss auf einer Wange.

Also jemand, der gern handgreiflich wurde. So welche hatte Luke schon erlebt, selbst an seiner Schule gab es ein paar, von denen er und Rolf Abstand hielten. Aber wenn dieser Ort eine Art Gefängnis war, wie Luke vermutete, würde es keine Möglichkeit geben, Abstand von Nicky Wilholm zu halten. Dass die anderen vor ihm keine Angst zu haben schienen, war immerhin ein gutes Zeichen. Wahrscheinlich war Nicky wütend auf das, was sich hinter der neutralen Bezeichnung Institut verbarg, verhielt sich gegenüber den anderen Kindern jedoch einfach schroff. Kaltblütig. In dem Fall ließen die Spuren auf seinem Gesicht nichts Gutes vermuten, vor allem wenn er nicht von Natur aus gewalttätig war. Ob er wohl von einem Erwachsenen verprügelt worden war? Hätte ein Lehrer sich zu so etwas hinreißen lassen, hätte man ihn gefeuert, wahrscheinlich angezeigt und vielleicht festgenommen, nicht nur an Lukes Schule, sondern praktisch überall.

In Kansas sind wir auch nicht mehr, Toto, hatte Kalisha gesagt.

»Ich bin Luke Ellis.« Er streckte Nicky die Hand hin, ohne recht zu wissen, was er zu erwarten hatte.

Anstatt die Hand auch nur zu beachten, öffnete Nicky den grünen Geräteschrank. »Spielst du Schach, Ellis? Die drei anderen da haben keine blasse Ahnung davon. Donna Gibson konnte wenigstens einigermaßen mithalten, aber die ist vor drei Tagen in den Hinterbau gekommen.«

»Und wir werden sie nie wiedersehen«, sagte George trübselig.

»Ich spiele Schach, aber jetzt hab ich keine Lust dazu«, sagte Luke. »Erst will ich wissen, wo ich bin und was hier vor sich geht.«

Nick holte ein Schachbrett und den Kasten mit den Figuren aus dem Schrank. Während er schnell alles aufbaute, spähte er durch die Haare hindurch, die ihm in die Augen gefallen waren, anstatt sie zurückzustreichen. »Du bist im Institut. Irgendwo in der Wildnis von Maine. Hier gibt es keinen Ort, sondern nur Kartenkoordinaten. TR-110. Das hat Sha von ein paar Leuten aufgeschnappt. Donna ebenfalls, genau wie Pete Littlejohn. Das ist ein weiterer TP, der im Hinterbau verschwunden ist.«

»Kommt mir so vor, als wär Petey schon ewig weg, dabei war er noch letzte Woche hier«, sagte Kalisha wehmütig. »Erinnert ihr euch an seine ganzen Pickel? Und daran, wie ihm immer die Brille über die Nase gerutscht ist?«

Nicky achtete nicht auf sie. »Die Zoowärter versuchen erst gar nicht, irgendwas zu verschleiern oder zu leugnen. Wieso sollten sie auch, wenn sie die Kids mit TP tagaus, tagein in die Mangel nehmen? Und wegen dem, was sie geheim halten wollen, machen sie sich keine Sorgen, weil selbst Sha nicht richtig tief eindringen kann, und die ist ziemlich gut.«