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»Bei den Zenerkarten schaffe ich meistens neunzig Prozent«, sagte Kalisha. Ohne zu prahlen, ganz sachlich. »Und ich kann dir den Vornamen deiner Großmutter sagen, wenn du ihn ganz vorne in deinen Kopf schiebst, aber tiefer komme ich nicht.«

Der Vorname meiner Großmutter ist Rebecca, dachte Luke.

»Rebecca«, sagte Kalisha, und als sie Lukes verblüffte Miene sah, bekam sie einen Kicheranfall, bei dem sie wie das Kind aussah, das sie vor kurzem noch gewesen war.

»Du kriegst die Weißen«, sagte Nicky. »Ich spiele immer Schwarz.«

»Nick ist unser Ehrenrevoluzzer«, sagte George.

»Den Beweis sieht man an seinem Gesicht«, sagte Kalisha. »Es bekommt ihm nicht gut, aber offenbar kann er nicht anders. Das Chaos in seinem Zimmer ist auch so eine kindische Rebellion und macht Maureen bloß mehr Arbeit.«

Nicky sah sie scharf an. »Wenn Maureen wirklich die Heilige wäre, für die du sie hältst, würde sie uns hier rausholen. Oder sich bei der nächsten Polizeistation melden und das Ganze auffliegen lassen.«

Kalisha schüttelte den Kopf. »So läuft das nicht. Wenn du hier arbeitest, gehörst du dazu. Egal ob du gut oder schlecht bist.«

»Beziehungsweise fies oder nett«, fügte George hinzu. Er blickte ernst drein.

»Außerdem hocken in der nächsten Polizeistation wahrscheinlich bloß ein Haufen Hillbillys«, sagte Iris. »Da du dich anscheinend zum Obererklärer ernannt hast, Nicky, wie wär’s, wenn du dem Neuen wirklich sagst, was Sache ist? Shit, weißt du denn nicht mehr, wie krass es ist, hier in ’nem Zimmer aufzuwachen, das wie deins zu Hause aussieht?«

Nicky lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Luke sah aus den Augenwinkeln, wie Kalisha ihn anhimmelte. Wenn die Nicky mal einen Kuss gab, tat sie das bestimmt nicht nur, um ihre Windpocken weiterzugeben.

»Okay, Ellis, dann erzähle ich dir jetzt mal, was wir wissen. Oder was wir zu wissen glauben. Es wird nicht lange dauern. Ihr zwei Ladys könnt gern was beitragen. George, du hältst die Klappe, wenn du ’nen Bullshit-Anfall kriegen solltest.«

»Danke für den Hinweis«, sagte George. »Da kannst du lange warten.«

»Kalisha ist am längsten hier«, sagte Nicky. »Wegen den Windpocken. Wie viele Kids hast du in der Zeit kennengelernt, Sha?«

Sie überlegte. »So um die fünfundzwanzig. Vielleicht auch ein paar mehr.«

Er nickte. »Die Kids – wir – kommen von überall her. Sha ist aus Ohio, Iris ist aus Texas, George ist aus Schwanzloch, Montana…«

»Ich bin aus Billings«, sagte George. »Einer absolut anständigen Stadt.«

»Als Erstes markieren sie uns, als ob wir Zugvögel oder irgendwelche verdammten Büffel wären.« Nicky strich seine Haare zurück und klappte sein rechtes Ohrläppchen nach vorn. Eine Scheibe aus glänzendem Metall, halb so groß wie eine kleine Münze, wurde sichtbar. »Sie untersuchen uns, sie machen Tests an uns, sie geben uns manchmal eine Spritze für Blitze, dann untersuchen sie uns wieder und machen weitere Tests. Wenn du ein Pink bist, kriegst du mehr Spritzen und wirst öfter getestet.«

»Ich bin in den Wassertank gekommen«, rief Iris in Erinnerung.

»Schön für dich«, sagte Nicky. »Wenn wir pos sind, lassen sie uns allerhand dämliche Hundetricks machen. Ich bin zufällig selbst TK-pos, aber George, die Labertasche da, ist in der Hinsicht wesentlich begabter als ich. Einmal war einer da, weiß nicht mehr, wie er heißt, der hat George sogar noch übertroffen.«

»Bobby Washington«, sagte Kalisha. »Ein kleiner Schwarzer, etwa neun. Der konnte ’nen Teller einfach so vom Tisch rutschen lassen. Wie lange ist der jetzt schon weg, Nicky? Zwei Wochen?«

»Etwas weniger«, sagte Nicky. »Wenn es zwei Wochen wären, wäre ich noch gar nicht da gewesen.«

»An einem Abend saß er am Esstisch, und am nächsten Tag war er im Hinterbau«, sagte Kalisha. »Simsalabim! Eben noch da, schon wieder weg. Die Nächste bin wohl ich. Hab den Eindruck, dass sie mit ihren ganzen Tests allmählich fertig sind.«

»Bei mir auch«, sagte Nicky säuerlich. »Wahrscheinlich sind sie froh, mich loszuwerden.«

»Das wahrscheinlich kannst du streichen«, sagte George.

»Diese Spritzen, die sie uns geben…«, sagte Iris. »Manche tun weh, andere nicht, manche machen was mit einem, manche nicht. Nach einer hab ich hohes Fieber gekriegt und brutales Kopfweh. Ich dachte schon, dass ich mich bei Sha mit Windpocken angesteckt hätte, aber nach einem Tag war es vorüber. Jedenfalls geben sie dir Spritzen, bis du die Blitze siehst und das Summen hörst.«

»Du bist noch gut weggekommen«, sagte Kalisha. »Ein paar andere Kids… Da war einer, der hieß Morty… an seinen Nachnamen kann ich mich nicht erinnern…«

»Der Nasenbohrer«, sagte Iris. »Hing immer mit Bobby Washington rum. Seinen Nachnamen weiß ich auch nicht mehr. Zwei Tage nachdem ich hier angekommen bin, ist er in den Hinterbau entschwunden.«

»Oder sonst wohin«, sagte Kalisha. »Er war nämlich nicht besonders lange hier, und nach einer von den Spritzen war er am ganzen Körper mit Flecken übersät. Das hat er mir beim Essen erzählt. Außerdem hat sein Herz wie irre geschlagen. Ich glaube, er ist total krank geworden.« Sie schwieg einen Moment. »Vielleicht ist er sogar gestorben.«

George starrte sie mit entsetzter Miene an. »Von mir aus kannst du gerne so zynisch sein, wie du willst, aber das glaubst du doch nicht wirklich, oder?«

»Ist ja nicht so, als ob ich’s glauben wollte«, sagte Kalisha.

»Klappe, ihr alle«, sagte Nicky. Er beugte sich über das Schachbrett und sah Luke in die Augen. »Ja, sie kidnappen uns. Weil wir besondere Kräfte haben. Wie sie uns finden? Keine Ahnung. Aber es muss eine große Operation sein, weil das hier groß angelegt ist. Es ist eine richtige Anlage, verdammt noch mal. Sie haben Ärzte, MTAs und Leute, die sich Pfleger schimpfen… Es ist wie ein kleines Krankenhaus, das man hier mitten in den Wald gesetzt hat.«

»Security haben sie auch«, sagte Kalisha.

»Stimmt. Der Chef von denen ist ein fettes Arschloch mit Glatze. Stackhouse heißt der.«

»Aber das ist doch verrückt«, sagte Luke. »Mitten in Amerika?«

»Wir sind hier nicht in Amerika, sondern im Königreich des Instituts. Wenn wir zum Mittagessen da reingehen, solltest du mal aus den Fenstern schauen, Ellis. Da wirst du massenhaft weitere Bäume sehen, aber wenn du genau hinschaust, siehst du noch ein Gebäude. Aus grünen Betonsteinen, genau wie das hier. Damit es zwischen den Bäumen nicht so auffällt, denke ich. Egal, das ist der Hinterbau. Wo wir hinkommen, wenn alle Tests und Spritzen erledigt sind.«

»Und was passiert dort?«

Die Antwort gab Kalisha. »Das wissen wir nicht.«

Luke lag es auf der Zunge zu fragen, ob Maureen Bescheid wusste, doch dann fiel ihm ein, was Kalisha ihm ins Ohr geflüstert hatte: Die belauschen uns.

»Wir wissen bloß, was sie uns sagen«, ergänzte Iris. »Sie sagen…«

»Sie sagen, dass alles wieder GUUUUUT wird!«

Das brüllte Nicky so laut und so plötzlich, dass Luke zusammenzuckte und beinahe von der Picknickbank gefallen wäre. Der schwarzhaarige Junge erhob sich, stellte sich in Positur und blickte zu der staubigen Linse einer Überwachungskamera hinauf. Dabei fiel Luke noch etwas ein, was Kalisha gesagt hatte: Wenn du Nicky kennenlernst, mach dir nichts draus, wenn er Randale macht. So lässt er eben Dampf ab.

»Die sind wie Missionare, die Jesus verkaufen. An einen Haufen Indianer, die so… so…«

»Naiv?«, schlug Luke vor.