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Luke, der normalerweise ganz gut Small Talk machen konnte, schwieg. Er war sich ziemlich sicher, dass Nicky sich in der gleichen Situation ebenso verhalten würde.

»Wenn bloß die Stechmücken nicht wären… puh!« Sie wedelte ein paar unsichtbare Insekten weg und lachte. »Denk dran, immer anständig Mückenmittel aufzutragen, wenigstens bis zum Juli.«

»Wenn die Libellen ausschlüpfen.«

»Ja! Genau!« Sie stieß ein trällerndes Lachen aus.

»Wo gehen wir hin?«

»Das siehst du dann schon.« Sie klimperte mit den Augen, als wollte sie sagen: Verdirb dir nicht die Überraschung.

Die Aufzugtür ging auf. Zwei Männer in blauer Pflegeruniform stiegen aus. Der eine hieß JOE, der andere HADAD. Jeder hatte ein I-Pad in der Hand.

»Hi, Leute«, sagte Gladys fröhlich.

»Hallo, Süße«, sagte Hadad. »Wie läuft’s?«

»Super«, zwitscherte Gladys.

»Und wie steht’s mit dir, Luke?«, fragte Joe. »Findest du dich zurecht?«

Luke sagte nichts.

»Du strafst uns mit Schweigen, hm?« Hadad grinste. »Vorläufig ist das okay. Später vielleicht nicht mehr unbedingt. Weißt du, es ist so, Luke – wenn du nett zu uns bist, sind wir auch nett zu dir.«

»Nur wer mitspielt, kann gewinnen«, fügte Joe hinzu. »Goldene Worte. Sehen wir uns später, Gladys?«

»Klar doch. Du schuldest mir einen Drink.«

»Wenn du meinst…«

Die Männer gingen ihres Weges. Gladys begleitete Luke in den Aufzug, in dem es keinerlei Tasten mit Zahlen gab. Sie sagte »B«, zog eine Karte aus der Hosentasche und wedelte damit vor einem Sensor. Die Tür ging zu, und die Kabine fuhr nach unten, aber nur ein kurzes Stück.

»B«, säuselte eine sanfte Frauenstimme von oben her. »Das ist Ebene B.«

Gladys wedelte wieder mit ihrer Karte. Die Tür ging auf, und man sah einen breiten, von durchsichtigen Deckenpaneelen erleuchteten Flur. Im Hintergrund lief leise Musik von der Sorte, die Luke für sich als Supermarktmusik bezeichnete. Mehrere Leute gingen umher. Manche schoben Wägelchen mit Geräten darauf, eine Frau trug einen Drahtkorb, der vielleicht Blutproben enthielt. Die Türen waren mit Zahlen gekennzeichnet, denen jeweils der Buchstabe B vorangestellt war.

Eine große Operation, hatte Nicky gesagt. Eine richtige Anlage. Das stimmte offenbar, denn wenn es eine unterirdische Ebene mit der Bezeichnung B gab, musste es logischerweise auch eine Ebene C geben. Vielleicht sogar D und E. Eigentlich müsste es wirklich eine Regierungseinrichtung sein, dachte Luke. Aber wie könnte man eine so große Operation geheim halten? Was hier läuft, ist schließlich nicht nur illegal und verfassungswidrig, es werden sogar Kinder gekidnappt.

Als sie an einer offenen Tür vorüberkamen, blieb Luke stehen und blickte hinein. Es handelte sich offenbar um einen Pausenraum, denn er war mit Tischen und Warenautomaten ausgestattet (allerdings fehlte der Hinweis, man solle verantwortungsbewusst trinken). An einem Tisch saßen drei Leute, ein Mann und zwei Frauen. Sie trugen normale Kleidung, Jeans und Hemden, und tranken Kaffee. Eine der Frauen, sie hatte blondes Haar, kam ihm bekannt vor. Zuerst wusste er nicht, weshalb, dann fiel ihm eine Stimme ein, die sagte: Klar, alles, was du verlangst. Es war das Letzte, woran er sich aus der Zeit erinnerte, bevor er hier aufgewacht war.

»Du«, sagte er und zeigte auf sie. »Das warst du.«

Die Frau sagte nichts, und ihr Gesicht sagte auch nichts aus. Aber sie sah ihn an. Das tat sie immer noch, als Gladys die Tür zuzog.

»Das war sie«, sagte Luke. »Das weiß ich.«

»Nur noch ein kleines Stück«, sagte Gladys. »Es wird nicht lange dauern, dann darfst du wieder in dein Zimmer. Wahrscheinlich willst du dich ausruhen. Die ersten Tage können erschöpfend sein.«

»Haben Sie nicht zugehört? Das war die, die in mein Zimmer gekommen ist. Sie hat mir was ins Gesicht gesprüht.«

Keine Antwort, nur wieder das Lächeln. Jedes Mal wenn Gladys es aufsetzte, kam es ihm ein bisschen gruseliger vor.

Schließlich standen sie vor einer Tür mit der Aufschrift B31. »Benimm dich, dann kriegst du fünf Münzen«, sagte Gladys. Sie griff in die Hosentasche und holte eine Handvoll Metallscheiben heraus, die wie Vierteldollarmünzen aussahen, nur dass auf beiden Seiten ein Dreieck eingeprägt war. »Siehst du? Ich hab sie schon in der Tasche.«

Sie klopfte an die Tür. Der blau gekleidete Mann, der öffnete, war TONY. Er war groß, blond und gut aussehend, wenn man davon absah, dass er auf einem Auge leicht schielte. Luke fand, dass er wie ein Schurke aus einem James-Bond-Film aussah, zum Beispiel wie der smarte Skilehrer, der sich später als Mörder entpuppte.

»Hallo, schöne Frau.« Tony gab Gladys einen Kuss auf die Wange. »Und du hast Luke mitgebracht. Hi, Luke!« Er streckte ihm die Hand hin. Luke, der sich weiterhin an Nicky Wilholm orientierte, ergriff sie nicht. Tony lachte, als wäre das ein besonders guter Witz. »Nur hereinspaziert!«

Die Aufforderung galt offenbar ausschließlich Luke, denn Gladys gab ihm nur einen leichten Schubs an die Schulter und machte dann von außen die Tür zu. Was Luke in der Mitte sah, war erschreckend. Es erinnerte an einen Zahnarztstuhl, nur dass der hier Gurte mit Schnallen an den Armlehnen hatte.

»Setz dich, mein Freund«, sagte Tony. Nicht Kumpel, dachte Luke, aber so ähnlich.

Tony trat zu einer Arbeitsfläche, zog die Schublade darunter auf und kramte darin. Dabei pfiff er vor sich hin. Als er sich wieder umdrehte, hielt er in einer Hand etwas, was wie eine kleine Lötpistole aussah. Er schien erstaunt zu sein, dass Luke immer noch an der Tür stand, und grinste. »Setz dich, hab ich gesagt!«

»Was wollen Sie damit machen? Mich tätowieren?« Er musste daran denken, dass man den Juden Häftlingsnummern auf den Arm tätowiert hatte, wenn sie in Auschwitz im KZ ankamen. Eigentlich war das eine total lächerliche Idee, aber…

Tony blickte verblüfft drein, dann lachte er. »Du lieber Himmel, nein. Ich mache dir bloß einen Chip ans Ohrläppchen. Ist nicht anders, als wenn man ein kleines Loch für einen Ohrring sticht. Nichts Besonderes. Alle unsere Gäste kriegen so was.«

»Ich bin kein Gast«, sagte Luke und wich ein Stück zurück. »Und an mein Ohr kommt überhaupt nichts.«

»Doch, kommt es«, sagte Tony, weiterhin grinsend. Er sah immer noch wie der Typ aus, der am Babyhang den kleinen Kindern half, bevor er versuchte, James Bond mit einem Giftpfeil zu töten. »Sieh mal, es ist bloß so, wie wenn einem jemand ins Ohr kneift. Mach es uns beiden also nicht so schwer. Setz dich auf den Stuhl da, dann ist es in sieben Sekunden vorbei. Wenn du fertig bist, kriegst du von Gladys eine Handvoll Münzen. Wenn du dich weigerst, kriegst du den Chip trotzdem eingepflanzt, aber keine einzige Münze. Na, was meinst du?«

»Ich setze mich da nicht hin.« Luke fühlte sich ganz zittrig, obwohl seine Stimme sich relativ kräftig anhörte.

Tony seufzte. Behutsam legte er das Werkzeug auf die Arbeitsfläche, ging auf Luke zu und stemmte die Arme in die Hüften. Jetzt sah er ernst, ja beinahe kummervoll drein. »Bist du dir da sicher?«

»Ja.«

Luke sah kaum, wie Tonys rechte Hand hochzuckte, da dröhnte ihm schon der Kopf von einer Ohrfeige. Er taumelte einen Schritt zurück und starrte den groß gewachsenen Mann mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Vater hatte ihm einmal ein paar (sanfte) Klapse auf den Hintern verpasst, als er im Alter von vier oder fünf Jahren mit Streichhölzern gespielt hatte, aber ins Gesicht war er noch nie geschlagen worden. Seine Wange brannte, aber er konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war.

»Das hat eindeutig mehr wehgetan als ein Kniff ins Ohrläppchen«, sagte Tony. Sein Grinsen war verschwunden. »Willst du noch eine? Den Gefallen tue ich dir gern. Ihr Kids meint wirklich, euch gehört die Welt. Mannomann.«