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In dem ersten Raum hingen Poster mit Tommy Pickles und Zuko – zwei Nickelodeon-Figuren – an der Wand, auf der Kommode stand ein ganzer Trupp Actionfiguren aus der Serie G.I. Joe. Mehrere davon erkannte Luke sofort, da er vor noch nicht allzu langer Zeit seine eigene G.I.-Joe-Phase durchgemacht hatte. Auf der Tapete tummelten sich fröhliche Clowns mit Luftballons.

»Heilige Scheiße«, sagte Luke. »Das ist ja ein Zimmer für kleine Kinder.«

Maureen warf ihm einen belustigten Blick zu, als wollte sie sagen: Du bist auch nicht gerade steinalt. »Stimmt«, sagte sie stattdessen. »Der Junge heißt Avery Dixon, und laut meiner Liste ist er erst zehn. Machen wir uns an die Arbeit. Bestimmt muss ich dir bloß ein einziges Mal zeigen, wie man das Laken richtig glatt zieht. Du machst den Eindruck, als würdest du schnell lernen.«

10

In sein eigenes Zimmer zurückgekehrt, hielt Luke eine von den Wertmünzen vor die Kamera des Laptops. Dabei kam er sich leicht bescheuert vor, aber der Computer reagierte sofort und präsentierte als Erstes einen blauen Bildschirm mit der Begrüßung: WILLKOMMEN ZURÜCK, DONNA! Luke runzelte die Stirn, dann musste er lächeln. Irgendwann vor seiner Ankunft hatte der Computer jemand namens Donna gehört (oder war ihr zur Verfügung gestellt worden). Der Begrüßungsbildschirm war noch nicht geändert worden. Da hatte jemand einen Fehler gemacht. Nur einen ganz kleinen, aber wo ein Fehler war, gab es vielleicht noch weitere.

Die Begrüßung verschwand und wurde durch ein standardmäßiges Desktopbild ersetzt, einen menschenleeren Strand unter dem frühmorgendlichen Himmel. Die Leiste unten am Bildschirm sah aus wie die auf seinem Computer zu Hause, allerdings mit einem auffälligen (aber inzwischen nicht mehr überraschenden) Unterschied: kein Briefsymbol für E-Mails. Allerdings gab es Icons für zwei Internetbrowser. Das überraschte ihn, aber es war eine schöne Überraschung. Er rief Firefox auf und tippte AOL Login ein. Daraufhin kehrte der blaue Bildschirm wieder, diesmal mit einem pulsierenden roten Punkt in der Mitte. Eine sanfte Computerstimme sagte: »Es tut mir leid, Dave, aber das kann ich nicht tun.«

Einen Moment dachte Luke, das wäre ein weiterer Fehler – erst Donna, dann Dave–, dann wurde ihm klar, dass es sich um die Stimme von HAL 9000 aus 2001: Odyssee im Weltraum handelte. Also kein Schnitzer, sondern nerdiger Humor und unter den gegebenen Umständen so lustig wie ein Besuch beim Zahnarzt.

Als Luke Herbert Ellis googelte, hörte er wieder nur HAL. Er dachte nach, dann gab er das Orpheum Theater in der Hennepin Avenue ein, nicht weil er vorhatte, dort eine Vorstellung zu besuchen (was er in der näheren Zukunft wohl nirgendwo würde tun können), sondern weil er wissen wollte, zu welchen Informationen er Zugang hatte. Irgendwas musste er ja anschauen dürfen, wieso hätte man ihm sonst überhaupt einen Zugang zum Internet geben sollen?

Das Orf, wie seine Eltern es nannten, schien eine der Websites zu sein, die für »Gäste« des Instituts zugänglich waren. Luke erfuhr, dass Hamilton wieder aufgeführt werden sollte (»Auf vielfachen Wunsch!«) und dass im nächsten Monat Patton Oswalt auftrat (»Sie werden Tränen lachen!«). Er versuchte es mit seiner Schule und kam problemlos auf deren Website. Als er Mr. Greer, seinen Beratungslehrer, googelte, hörte er wieder HAL. Allmählich begriff er, weshalb Dr. Dave Bowman im Film so frustriert war.

Er wollte schon Schluss machen, als er es sich anders überlegte und State Police Maine ins Suchfeld eintippte. Sein Finger schwebte über der Eingabetaste, drückte sie beinahe, zog sich jedoch zurück. Er würde doch nur HALs sinnlose Entschuldigung hören, aber damit wäre die Sache wohl nicht gegessen. Wahrscheinlich würde auf einem der Stockwerke unter ihm ein Alarm ausgelöst. Nicht nur wahrscheinlich, sondern bestimmt. Selbst wenn sie vergaßen, den Namen auf dem Begrüßungsbildschirm zu ändern, hieß das noch lange nicht, dass sie kein Programm installierten, das Alarm schlug, wenn ein »Gast« versuchte, die Polizei zu kontaktieren. Die zu erwartende Strafe würde wahrscheinlich schlimmer sein als eine Ohrfeige. Der Computer, den früher einmal jemand namens Donna verwendet hatte, war nutzlos.

Luke lehnte sich zurück und verschränkte die Arme über seiner schmalen Brust. Er dachte an Maureen und daran, wie freundlich sie ihm das Haar gezaust hatte. Nur eine kleine, zerstreute Geste, aber sie (und die Wertmünzen) hatten Tonys Ohrfeige etwas von ihrer Schärfe genommen. Hatte Kalisha nicht gesagt, Maureen habe vierzigtausend Dollar Schulden? Nein, eher den doppelten Betrag.

Teilweise wegen dieser freundlichen Geste und teilweise einfach, um sich die Zeit zu vertreiben, googelte Luke Hilfe ich bin total verschuldet. Sofort lieferte der Computer ihm allerhand Informationen über das Thema, darunter mehrere Anbieter, die behaupteten, es sei kinderleicht, das lästige Problem loszuwerden; dazu müsse der mit dem Rücken zur Wand stehende Schuldner lediglich einen einzigen Telefonanruf tätigen. Das bezweifelte Luke, aber manche Leute würden es wohl glauben; auf die Weise waren sie ja gerade in ihren Schlamassel geraten.

Zu diesen Leuten zählte Maureen Alvorson jedoch nicht, zumindest laut Kalisha. Die hatte erzählt, die Schulden habe der Mann von Maureen angehäuft, bevor er abgehauen sei. Das stimmte vielleicht oder auch nicht, aber in jedem Fall gab es Lösungen für so ein Problem. Die gab es immer, es ging nur darum, sie zu finden. Vielleicht war der Computer ja doch nicht nutzlos.

Luke rief die Websites auf, die ihm am zuverlässigsten vorkamen, und steckte bald tief im Thema Schulden und Tilgung. Sein alter Hunger, etwas zu wissen, ergriff ihn wieder. Etwas Neues zu erfahren. Die Kernfragen einzugrenzen und zu begreifen. Wie immer führte jede Information zu drei (oder sechs oder zwölf) weiteren, bis sich allmählich ein zusammenhängendes Bild entwickelte. Eine Art Geländekarte. Das interessanteste Konzept – der Dreh- und Angelpunkt, an dem alles andere hing – war simpel, aber atemberaubend (zumindest für Luke). Schulden waren gewissermaßen eine Handelsware. Sie wurden gekauft und verkauft, und irgendwann waren sie zum Mittelpunkt nicht nur der amerikanischen Wirtschaft geworden, sondern zu dem der ganzen Welt. Dennoch existierten sie eigentlich nicht. Sie waren nichts Konkretes wie Erdgas, Gold oder Diamanten; sie waren lediglich eine Idee. Ein Zahlungsversprechen.

Als der Nachrichtenton des Computers erklang, schüttelte Luke den Kopf, als würde er aus einem lebhaften Traum erwachen. Laut der Zeitanzeige auf dem Bildschirm war es kurz vor siebzehn Uhr. Er klickte auf das Ballon-Icon unten auf dem Bildschirm und las:

Mrs. Sigsby: Hallo Luke, ich leite diese Einrichtung, und ich möchte gerne mit dir sprechen.

Er überlegte, dann begann er zu tippen.

Luke: Habe ich denn eine andere Wahl?

Die Antwort kam sofort:

Mrs. Sigsby: Nein.

»Deinen Smiley kannst du dir in den…«

Es klopfte an der Tür. Als er sie öffnete, erwartete er Gladys, aber diesmal war es Hadad, einer der Typen aus dem Aufzug.

»Na, wie wär’s mit einem Spaziergang, Alter?«

Luke seufzte. »Einen Moment. Ich muss meine Schuhe anziehen.«

»Null Problemo.«

Hadad führte ihn am Aufzug vorbei zu einer Tür, die er mit einer Karte entriegelte. Nebeneinander gingen sie das kurze Stück zum Verwaltungsgebäude hinüber, damit beschäftigt, die Stechmücken wegzuwedeln.