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»Wäre das mit einem Digitalthermometer nicht leichter?«, fragte Luke. »Im Drogeriemarkt kriegen Sie so was bestimmt schon für zwei, drei Dollar. Mit Ihrer Rabattkarte sogar noch bill…«

»Spar dir deine Sprüche für deine Freunde auf. Hose runter, und beug dich über den Sessel, sonst helfe ich dir dabei. Was dir nicht gefallen würde.«

Luke ging langsam zu dem Sessel, knöpfte seine Hose auf, schob sie nach unten und beugte sich vor.

»Na, da ist er ja, unser Vollmond!« Zeke stellte sich vor ihn, in einer Hand das Thermometer, in der anderen eine Dose Vaseline. Er tauchte das Thermometer in die Dose und zog es heraus. An der Spitze hing ein Klümpchen Glibber, das Luke wie die Pointe eines dreckigen Witzes vorkam. »Siehst du? Ordentlich Schmiermittel. Tut überhaupt nicht weh. Mach einfach deine Arschbacken locker, und denk dran: Solange du nicht meine beiden Hände auf dir spürst, bleibt dein Hintern Jungfrau.«

Er trat hinter Luke, der vornübergebeugt dastand, die Unterarme auf der Sitzfläche und das Gesäß nach hinten gereckt. Luke roch den Schweiß des Mannes, stark und ranzig. Er versuchte, sich klarzumachen, dass er nicht das erste Kind war, das im Institut so behandelt wurde. Das half ein bisschen… aber eigentlich doch nicht so recht. Der Raum, in dem er sich befand, war voller Hightechgeräte, und trotzdem machte dieser Mann sich daran, ihm auf die primitivste Art, die man sich vorstellen konnte, die Temperatur zu messen. Warum?

Um mich zu brechen, dachte Luke. Um mir unmissverständlich klarzumachen, dass ich ein Versuchskaninchen bin, und wenn man Versuchskaninchen hat, kann man die Daten auf jede beliebige Weise sammeln, die einem einfällt. Vielleicht wollen sie diese speziellen Daten nicht einmal haben. Vielleicht geht es nur darum, mir zu sagen: Wenn wir dir so was in den Arsch stecken können, was können wir dir sonst noch reinstecken? Antwort: Alles, was uns in den Sinn kommt.

»Du kommst fast um vor Spannung, stimmt’s?«, sagte Zeke hinter ihm. Der Dreckskerl klang dabei tatsächlich amüsiert.

9

Nach der Demütigung mit dem Thermometer, die unglaublich lange zu dauern schien, stellte Zeke bei Luke den Blutdruck fest, steckte ihm ein Sauerstoffmessgerät an den Zeigefinger und maß seine Körpergröße und sein Gewicht. Er spähte Luke in den Rachen und in die Nase. Während er die Ergebnisse notierte, summte er vor sich hin. Inzwischen war Gladys wieder hereingekommen. Sie trank Kaffee aus einem mit Gänseblümchen bedruckten Becher und lächelte ihr falsches Lächeln.

»Zeit für eine Spritze, Lukey, alter Junge«, sagte Zeke. »Du wirst mir doch weiterhin keine Probleme machen, oder?«

Luke schüttelte den Kopf. Er wollte jetzt absolut nichts anderes, als in sein Zimmer zurückkehren und sich die Vaseline aus dem Hintern wischen. Eigentlich gab es nichts, wofür er sich hätte schämen müssen, aber er schämte sich trotzdem. Er fühlte sich erniedrigt.

Zeke gab ihm eine Injektion. Diesmal war keinerlei Hitze zu spüren, nur ein kleiner Schmerz, der sofort wieder verschwand.

Zeke blickte auf seine Armbanduhr und bewegte die Lippen, während er die Sekunden abzählte. Das tat auch Luke, nur ohne die Lippen zu bewegen. Er war bei dreißig angelangt, als Zeke den Arm sinken ließ. »Spürst du Übelkeit?«

Luke schüttelte den Kopf.

»Hast du einen metallischen Geschmack im Mund?«

Das Einzige, was Luke schmecken konnte, waren die Reste vom Orangensaft. »Nein.«

»Okay, gut. Schau jetzt mal an die Wand. Siehst du irgendwelche Punkte? Vielleicht sehen sie auch größer aus, wie runde Flecke.«

Luke schüttelte wieder den Kopf.

»Du sagst doch die Wahrheit, Kumpel, oder?«

»Ja, keine Punkte. Keine runden Flecke.«

Zeke sah ihm mehrere Sekunden in die Augen (Luke hätte ihn am liebsten gefragt, ob er da drin vielleicht irgendwelche Punkte sah, hielt sich jedoch zurück). Dann richtete er sich auf, klopfte sich theatralisch die Hände ab und wandte sich an Gladys. »So, jetzt kannst du ihn rausschaffen. Heute Nachmittag will Dr. Evans ihn für die Augensache wieder dahaben.« Er deutete auf das projektorartige Gerät. »Sechzehn Uhr.«

Luke überlegte, ob er fragen sollte, worum es sich bei der Augensache handelte, aber eigentlich kümmerte es ihn nicht besonders. Er war hungrig, daran schien sich nichts zu ändern, egal was man ihm antat (zumindest bisher), aber vor allem wollte er sich reinigen. Er fühlte sich – man konnte es nicht anders ausdrücken – im Arsch.

»Na, war doch gar nicht so schlimm, oder?«, sagte Gladys, als sie im Aufzug nach oben fuhren. »Viel Theater um nichts.« Luke hätte sie gern gefragt, ob sie diese Meinung auch gehabt hätte, wenn es ihr eigener Arsch gewesen wäre. Nicky hätte die Frage vielleicht wirklich gestellt, aber er war nicht Nicky.

Sie setzte das falsche Lächeln auf, das ihm immer grässlicher vorkam. »Du lernst offenbar, dich zu benehmen, und das ist einfach wunderbar. Da hast du eine Wertmünze. Ach, nimm gleich zwei. Heute bin ich in Spendierlaune.«

Er nahm die Münzen entgegen.

Als er später mit gebeugtem Kopf unter der Dusche stand und sich das Wasser durch die Haare rinnen ließ, weinte er wieder ein bisschen. In mindestens einer Hinsicht war er wie Helen; er wollte, dass das Ganze nur ein Traum war. Er hätte alles hingegeben, vielleicht sogar seine Seele, wenn er aufwachen könnte, während das Sonnenlicht wie eine zweite Decke über sein Bett fiel und aus der Küche der Duft von brutzelndem Bacon heraufzog. Schließlich versiegten die Tränen, und er spürte etwas anderes als Kummer und Verlorenheit – etwas Härteres. Eine Art Grundgestein, das ihm bisher nicht bekannt gewesen war. Es war eine Erleichterung zu wissen, dass so etwas in ihm vorhanden war.

Das Ganze war kein Traum, es geschah wirklich und wahrhaftig, und von hier wegzukommen reichte nicht mehr aus. Der harte Untergrund in ihm wollte mehr. Er wollte den ganzen Haufen von Kidnappern und Kinderfolterern ans Messer liefern, von Mrs. Sigsby bis hinunter zu Gladys mit ihrem künstlichen Lächeln und Zeke mit seinem schleimigen Rektalthermometer. Er wollte das Institut auf die Köpfe dieser Typen herabstürzen lassen, wie Samson den Tempel des Dagon auf die Philister stürzen ließ. Dass das nur die rachsüchtige, ohnmächtige Fantasie eines zwölfjährigen Jungen war, wusste Luke durchaus, aber er wollte es trotzdem tun, und wenn es irgendeine Chance dazu gab, würde er sie ergreifen.

Wie sein Vater gern sagte, war es gut, Ziele zu haben. Die konnten einen durch harte Zeiten tragen.

10

Als er schließlich in den Aufenthaltsraum kam, war dort niemand außer einem Hausmeister (auf seinem Namensschild stand FRED), der den Boden wischte. Es war noch zu früh fürs Mittagessen, aber auf einem Tisch ganz vorn stand eine Schale mit Obst – Orangen, Äpfel, Trauben, ein paar Bananen. Luke nahm sich einen Apfel, dann ging er zu den Automaten und verwendete eine von seinen Münzen, um einen Beutel Popcorn zu ziehen. Ein Frühstück für Helden, dachte er. Mama würde einen Anfall kriegen.

Er ging mit seinem Essen in den Loungebereich und blickte auf den Spielplatz hinaus. An einem der Picknicktische saßen George und Iris; sie spielten Dame. Auf dem Trampolin stand Avery und versuchte sich an ziemlich vorsichtigen Sprüngen. Von Nicky und Helen war nichts zu sehen.

»Ich glaube, das ist die schlimmste Essenskombination, die ich je gesehen habe«, hörte er Kalisha hinter sich sagen.

Er zuckte zusammen, wobei eine Handvoll Popcorn aus dem Beutel auf den Boden fiel. »Mensch, hast du mich erschreckt!«

»Tut mir leid.« Sie hockte sich hin, hob ein paar Körner Popcorn auf und warf sie sich in den Mund.

»Vom Boden?«, sagte Luke. »Das glaub ich ja nicht!«