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»Fein.«

»Du kannst die zweite haben, wenn du willst.«

»Nein danke. Behalt sie für später.«

»Okay. SpongeBob ist cool, aber ich will nach Hause.« Avery schluchzte und heulte nicht, doch aus seinen Augenwinkeln quollen Tränen.

»Ja, ich auch. Rück rüber.«

Das tat Avery, worauf Luke sich neben ihn setzte. Es war eng auf dem Sessel, aber das war okay. Luke legte Avery den Arm um die Schultern und drückte ihn kurz an sich. Avery reagierte, indem er Luke den Kopf auf die Schulter legte, was ihn auf eine Weise berührte, die er nicht recht beschreiben konnte. Jedenfalls hätte er gern selbst ein bisschen geweint.

»Weißt du was?«, sagte Avery. »Maureen hat einen Sohn.«

»Echt? Meinst du?«

»Klar. Der war klein, aber jetzt ist er groß. Noch älter als Nicky.«

»Mhm, okay.«

»Es ist ein Geheimnis.« Avery blickte unverwandt auf den Bildschirm, wo Patrick sich gerade mit Mr. Krabs stritt. »Sie spart für ihn Geld.«

»Wirklich? Und woher weißt du das?«

Avery sah ihn an. »Ich weiß es einfach. So wie ich weiß, dass dein bester Freund Rolf heißt und dass du im Wilderschmus Drive gewohnt hast.«

Luke riss die Augen auf. »Mann, Avery!«

»Ich bin gut, was?«

Und obwohl Avery noch Tränen auf den Wangen hatte, kicherte er.

12

Nach dem Essen schlug George ein Badmintonmatch mit zwei Dreierteams vor: er, Nicky und Helen gegen Luke, Kalisha und Iris. Als Bonus, sagte er, könne das Team von Nicky auch noch Avery haben.

»Der ist kein Bonus, sondern ein Defizit«, sagte Helen und wedelte die Wolke aus Mücken weg, von der sie bedrängt wurde.

»Was ist ein Defizit?«, fragte Avery.

»Wenn du es wissen willst, kannst du ja meine Gedanken lesen«, sagte Helen. »Außerdem ist Badminton was für Weicheier, die nicht Tennis spielen können.«

»Bist ’ne echte Stimmungskanone«, sagte Kalisha.

Helen marschierte zu den Picknicktischen und dem Spieleschrank, wobei sie den Mittelfinger über die Schulter reckte, ohne sich umzublicken. Dabei bewegte sie den Finger auf und ab. Iris sagte, es könnten ja Nicky und George gegen Luke und Kalisha spielen, während sie selbst sich als Schiedsrichterin betätigte. Avery wollte sie dabei unterstützen. Nachdem alle zugestimmt hatten, begann das Spiel. Es stand zehn zu zehn, als krachend die Tür zum Aufenthaltsraum aufging und der neue Junge herauskam. Er schaffte es beinahe, geradeaus zu gehen, wirkte jedoch noch benommen von der Droge, mit der man ihn vollgepumpt hatte. Außerdem war er stinksauer. Luke schätzte ihn auf gut ein Meter achtzig und etwa sechzehn Jahre. Er trug eine ziemliche Wampe vor sich her, aus der sich vielleicht ein Bierbauch entwickeln würde, wenn er erwachsen war, aber seine sonnenverbrannten Arme waren mit Muskeln bepackt, und er hatte ausgesprochen eindrucksvolle Schultern, wohl vom Gewichtheben. Seine Wangen waren mit Sommersprossen und Akne überzogen, seine Augen sahen entzündet aus. Der rote Haarschopf war vom Schlaf verwuschelt. Alle hielten inne, um ihn in Augenschein zu nehmen.

»Der Typ ist ein echter Kleiderschrank«, flüsterte Kalisha, ohne die Lippen zu bewegen, wie jemand auf einem Gefängnishof.

Neben dem Trampolin blieb der Neue stehen und musterte die anderen. Als er den Mund aufmachte, sprach er so stoßweise, als hätte er es mit Urwaldbewohnern zu tun, die kaum Englisch verstanden. Er hatte einen Südstaatenakzent. »Was… zum Henker… ist das hier?«

Avery trottete zu ihm hinüber. »Das ist das Institut. Hi, ich bin Avery. Und wie heißt…«

Der Neue legte Avery die Handfläche ans Kinn und schob ihn von sich weg. Das geschah nicht besonders heftig, ja beinahe geistesabwesend, aber Avery fiel trotzdem rücklings auf eines der Polster rings um das Trampolin und starrte geschockt zu dem Neuen empor. Der beachtete weder ihn noch die Badmintonspieler, Iris oder Helen, die dabei erstarrt war, eine Patience zu legen. Er schien mit sich selbst zu sprechen.

»Was… zum Henker… ist das hier?« Gereizt wedelte er die Stechmücken weg. Wie Luke hatte er sich bei seinem ersten Besuch auf dem Spielplatz nicht mit Mückenmittel eingeschmiert. Die Biester umschwärmten ihn nicht nur, sie landeten auf ihm und kosteten seinen Schweiß.

»He, Mann«, sagte Nicky. »Du hättest den Avester nicht so umstoßen sollen. Der wollte bloß nett zu dir sein.«

Das weckte die Aufmerksamkeit des Neuen wenigstens einigermaßen. Er wandte sich Nick zu. »Wer… zum Henker… bist du?«

»Nick Wilholm. Hilf Avery auf.«

»Hä?«

Nicky sah ihn geduldig an. »Du hast ihn umgestoßen, also hilfst du ihm auch auf.«

»Das mache ich schon«, sagte Kalisha und eilte zum Trampolin. Als sie sich bückte, um Avery am Arm zu ergreifen, stieß der Neue sie ebenfalls um. Sie verfehlte das Kissen und stürzte stattdessen auf den Kies, wobei sie sich ein Knie aufschrammte.

Nicky ließ seinen Badmintonschläger fallen, ging auf den Neuen zu und stemmte die Arme in die Hüften. »Jetzt darfst du beiden aufhelfen. Bestimmt bist du total desorientiert, aber das ist keine Entschuldigung.«

»Und wenn ich das nicht tu?«

Nicky lächelte. »Dann mach ich dich fertig, Fettsack.«

Helen Simms betrachtete die Szene interessiert vom Picknicktisch aus. George hingegen hatte offenbar beschlossen, sich auf sicheres Gelände zu begeben. Er schlenderte auf die Tür zum Aufenthaltsraum zu, wobei er deutlich Abstand von dem Neuen hielt.

»Gib dich doch nicht mit dem ab, wenn er sich als Arschloch outen will«, sagte Kalisha zu Nicky. »Mit dir ist doch alles okay, Avery, oder?« Sie half ihm auf die Beine und zog sich dann langsam zurück.

»Klar«, sagte Avery, obwohl ihm wieder Tränen über die Pausbacken rollten.

»Wen nennst du ein Arschloch, Bitch?«

»Offenbar dich, da du hier das einzige Arschloch bist«, sagte Nicky und tat einen weiteren Schritt auf den Neuen zu. Der Gegensatz zwischen den beiden faszinierte Luke. Der Neue war wie ein Hammer, Nicky wie ein Messer. »Deshalb musst du dich entschuldigen.«

»Fick dich und fick deine Entschuldigung«, sagte der Neue. »Ich weiß zwar nicht, wo ich hier bin, aber ich weiß, dass ich nicht bleiben werde. Und jetzt verzieh dich!«

»Du kannst nirgendwohin«, sagte Nicky. »Du sitzt hier fest, genau wie wir anderen.« Er lächelte, ohne die Zähne zu entblößen.

»Hört auf, ihr beiden«, sagte Kalisha. Sie hatte Avery den Arm um die Schultern gelegt, und Luke musste kein Gedankenleser sein, um zu wissen, was sie dachte, denn er dachte dasselbe: der Neue war mindestens dreißig, wenn nicht gar vierzig Kilo schwerer als Nicky, und er hatte zwar eine ansehnliche Wampe, aber seine Arme waren wie Stahl.

»Letzte Warnung«, sagte der Neue. »Verschwinde, sonst hau ich dich um.«

George hatte anscheinend nicht mehr vor, sich nach drinnen zu verkrümeln. Er schlenderte auf den Neuen zu, nicht hinter ihn, sondern von der Seite her. Von hinten schlich sich dagegen Helen an, langsam und mit dem hübschen kleinen Hüftschwung, den Luke so bewunderte. Und mit einem kleinen Lächeln.

George verzog das Gesicht zu einer konzentrierten Grimasse. Seine Lippen pressten sich zusammen, seine Stirn legte sich in Falten. Die Mücken, die die beiden Kontrahenten umkreist hatten, zogen sich plötzlich zusammen und sausten auf das Gesicht des Neuen zu wie von einem unsichtbaren Windhauch getragen. Als der Neue die Hand zu den Augen hob, um sie wegzuwedeln, ließ Helen sich hinter ihm auf die Knie fallen, während Nicky ihm einen Stoß versetzte. Er krachte der Länge nach auf den Boden, halb auf Kies und halb auf Asphalt.

Helen sprang auf und tänzelte davon. Lachend zeigte sie mit dem Finger auf den Neuen. »Wir ham dich, wir ham dich, Dicker, wir ham dich voll im Sack!«