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Bereits während sie diese Tirade ausstieß, verlor sie den Glauben an die eigenen Worte, und ihre Stimme wurde leiser und leiser, bis sie am Ende ganz erstarb.

Klawdi brachte keinen Ton hervor.

»Klaw …«, presste Ywha fast lautlos hervor. »Ich muss Ihnen so viel sagen.«

»Nur zu.«

»Die Welt … die ist nicht so, wie Sie sie sehen. Wie wir … alle … sie sehen. Sie ist anders. Aber das kann ich nicht erklären.«

»Wenn du es nicht kannst«, antwortete der Mann in der Tür leicht verbittert, »warum versuchst du es dann erst?«

»Wollten Sie das denn nicht?«

»Was?«

»Die Hexen verstehen?«

Schweigen. Ywha witterte den Gefängniswärter, der ganz in der Nähe Angst verströmte.

»Jetzt will ich es eben nicht mehr.«

Als er den Kopf abwandte, glaubte Ywha schon, er würde sich einfach umdrehen und weggehen. Und die Tür hinter sich zuknallen. Schon setzte er zu einer Bewegung an …

»Klaw!«

Ihr Ausbruch war so stark, dass sie sogar seine Abwehr berührte. Instinktiv rückten die gepanzerten Platten zusammen. Ywha prallte zurück.

Langsam wandte ihr Klawdi den Kopf wieder zu.

Nein, Ywha brauchte seine Abwehr nicht zu durchbohren. Ein Blick von ihm genügte ihr, um zu verstehen, wie sehr es ihn schmerzte, sie in Fesseln zu sehen. Fast konnte Ywha den gespiegelten Schmerz spüren. Ihren eigenen Schmerz, gebrochen im Großinquisitor der Stadt Wyshna.

»Klawdi, ich kann das nicht erklären …«

»Schweig.«

»Gehen Sie nicht weg!«

»Ich bin ja hier.«

»Klawdi … kommen Sie her. Bitte.«

Er zögerte. Nach einer Weile schloss er akkurat die Tür hinter sich, betrat die Zelle und steckte die Fackel in einen Halter. Im Halbdunkel wirkten seine Augen seltsam konzentriert. Als stellte er im Kopf eine komplizierte Rechnung an.

»Ywha, du … du bist ein Monster. Noch nie habe ich eine Hexe wie dich gesehen … Verzeih mir.«

Er hob den Arm, als wolle er auf die Uhr schauen. Mit einer typischen Geste befreite er das Handgelenk vom Ärmelaufschlag.

Ywha schrie auf.

Sie glaubte, die Wände der Zelle würden sie zerquetschen, von allen vier Seiten in die Zange nehmen. Schmerz ließ sie aufkeuchen. Plötzlich fiel ihr ein, wie Klawdi Starsh in dem brennenden Theater seinen Willen gleich einem Dutzend unterschiedlicher Hexen aufgezwungen hatte.

Schließlich legte sich der Schmerz.

Jetzt saß sie in einem engen Käfig. Einem Käfig, der nicht stofflich war und den sein Wille geformt hatte. Das musste selbst ihn eine ungeheure Anstrengung gekostet haben, denn auf dem Gesicht des Großinquisitors leuchteten im Licht der Fackel deutlich Schweißperlen.

»Verzeih mir. Ich muss meinen Vorteil nutzen, solange ich noch stärker bin als du.«

Er machte einen Schritt nach vorn. Ywha kniff die Augen zusammen. Mit geschlossenen Augen spürte sie, wie seine Hand ihre Hände berührte, die in den Holzblöcken taub geworden waren.

»Ywha.«

Sie wollte ihm das Schuldgefühl nehmen, das so deutlich in diesem kaum hörbaren Wort mitschwang. Sie wollte ihm versichern, dass sie die ekelhaften Fesseln kaum noch störten. Dass sie nur noch ein paar Schritte auf dem gelben Schlangenrücken zu machen bräuchte, und dann würde sie auch diesen Käfig sprengen. Offen und ehrlich wollte sie ihm all das eingestehen. Im letzten Augenblick, gerade noch rechtzeitig, biss sie sich jedoch auf die Zunge.

»Schon gut, Klawdi. Nur lassen Sie mich nicht allein.«

Er gewöhnte sich an das Fackellicht. Obwohl er in vielen Jahren gelernt hatte, bei dieser flackernden und archaischen Beleuchtung zu arbeiten, schmerzte ihn das Licht jetzt, beunruhigte ihn, zwang ihn, die Augen zu schließen.

Vielleicht wäre alles einfacher, wenn er mit ihr reden würde. Doch Minute um Minute verging, und Ywha schwieg. Er ebenfalls. Er sah in die müden Fuchsaugen und verstand entsetzt, dass es mit jeder Sekunde schwerer wurde, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Wenn nicht sogar gänzlich unmöglich.

Das Schulterhalfter seiner Dienstpistole, das er hauptsächlich dann trug, wenn er bei seiner aktuellen Freundin Eindruck schinden wollte, hatte er gegen eine Scheide ausgetauscht. Darin steckte, die kalte Fläche gegen die warmen Rippen ihres Trägers gepresst, ein geschwungener Silberdolch. Ein Ritualdolch, den Klawdi vor gar nicht so langer Zeit einer Hexe aus dem Herzen gezogen hatte.

»Du wirst sterben, Großinquisitor.«

»Wir alle werden sterben.«

»Alle werden sterben, aber du zuerst … Unsere noch ungeborene Mutter wartet auf dich. Sie wird warten … Das verstehst du doch nicht. Denn du gibst dich mit dem zufrieden, was du mit eigenen Augen siehst.«

Das vordringliche Gefühl, das ihn diesen ganzen langen Tag — vom frühen Morgen bis zum späten Abend — gefangen hielt, war weder Angst noch Erstaunen oder kämpferische Entschlossenheit — sondern Kränkung. Eine fast kindliche Kränkung, was sie besonders unangenehm machte. Klawdi Starsh schmollte bitterlich mit dem Schicksal.

Mit einem solchen — das heißt: beleidigten — Gesichtsausdruck sprach die ältere Frau, seine Nachbarin, mit ihrem nicht weniger betagten kleinen Hund, während dieser ärgerlich kläffte: »Helza, wie konntest du nur?!«

Wie konntest du nur?!, hatte Klawdi am Morgen noch gedacht, während er durch sein mit Karten zugepflastertes Büro gelaufen war. Und er hatte nicht zu sagen gewusst, wem er eigentlich grollte, der hoffnungslos verlorenen Ywha oder dem eigenen ruchlosen Schicksal, das ihm mit einem Hohnlächeln die Mutterhexe in die Hände gespielt hatte, wenn auch noch taub und sich ihrer selbst ganz unbewusst.

Um vier Uhr nachmittags waren alle Hilfskräfte sowie ein Teil des Stammpersonals aus dem Inquisitionspalast evakuiert worden. Sein Referent Myran hatte sich lange gequält und zwischen demonstrativem Edelmut, ehrlicher Zuneigung für Klawdi und dem gesunden Menschenverstand geschwankt. Letzterer hatte am Ende gesiegt. Schuldbewusst hatte Myran mit den Augen geklappert und Klawdi das Büro in tadellosem Zustand übergeben.

Etwa eine Stunde hatte Starsh in Gesellschaft eines hervorragenden Armeefunkgeräts zugebracht. Im Inquisitionspalast herrschte gähnende Leere, dafür hatte sich der Äther, der lange geschwiegen hatte, wieder belebt. Sämtliche Statthalter und Bürgermeister hatten sich ans Volk gewandt und sich in ihren Ansprachen jeweils zum Alleinherrscher aufgeschwungen. Völlig gelassen hatten sich die Posten der Tschugeister untereinander verständigt, in regelmäßigen Abständen hatte das Militär Rufzeichen gesandt, in der ganzen Welt hatten Amateurfunker ihren Unfug getrieben und kleine private Radiostationen lahm gelegt. Aus den aufgeregten Meldungen Letzterer hatte Klawdi erfahren, dass halb Odnyza überschwemmt und in Rydna ein gigantischer Tunnel eingestürzt war, den man vor hundert Jahren unter den Bergen angelegt hatte, während sich in Altyza ein sogenannter Kreuzzug der Inquisition unter Leitung des ehemaligen Kurators und gegenwärtigen Großinquisitors Foma gebildet hatte.

Jetzt, in der Zelle, fiel ihm wieder ein, mit welch hintergründigem Grinsen er diese Neuigkeit quittiert hatte. Allein wegen dieser Nachricht lohnte es sich schon, das Ganze hier zu überleben, damit er Foma gegenübertreten und von ihm mit schrecklicher Stimme Rede und Antwort verlangen konnte.

Irgendwann hatte er das Funkgerät abgeschaltet, sein Jackett aufgeknöpft und aus der Innentasche ein flaches, unscheinbares Kästchen mit einem schmalen grauen Display herausgeholt. Zwei schwarze Knöpfe zur Eingabe der Koordinaten. Ein großer roter Knopf zur Übertragung des Befehls an die Zentrale.