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»Ihr habt also als Netz gearbeitet? Nicht einen starken Schlag geplant, sondern viele kleine Schubser, Fäden gesponnen und Knoten geknüpft, Brunnen vergiftet und Zöpfe in Schaffell geflochten? Ja?«
Ywha war schlecht. Mit ihrem ganzen Körper spürte sie den Druck, den der Mann in dem hohen Stuhl ausübte — obwohl dieser eigentlich auf eine Frau gerichtet war, die in der Mitte des Verhörraums stand. Doch Ywha, die sich in einer tiefen Nische in einer Seitenwand verbarg, bekam ihn ebenfalls ab, davor bewahrte sie selbst der Gobelin mit einem eingewebten Zeichen nicht. Das Zeichen reizte sie, quälte sie wie Sand in den Augen, letztlich aber spürte die befragte Hexe allein seinetwegen Ywhas Anwesenheit nicht. Es war ein sogenanntes Tarnzeichen.
»Ich würde gern wissen, Orpyna, warum du, die du niemals Freundschaft schließt, dich in dieser Weise auf die Hexen eingelassen hast. Wegen dieser dämlichen Schafe? Was sind das nur für komische Interessen?«
Die Vernommene, eine Blondine von fünfunddreißig Jahren, ließ die Schultern immer tiefer hängen. Der Inquisitor hatte sie vollständig unter Kontrolle, und zwar einzig durch seinen Blick. Doch obwohl sie schwächer und schwächer wurde, senkte sie den Kopf nicht und wandte auch die vor Hass lodernden Augen nicht von ihrem Gegenüber ab.
»Hat man dir dafür etwas versprochen? Geld? Irgendeine andere Bezahlung?«
»Ich habe niemandem etwas Böses getan«, sagte die Frau tonlos. »Keinem Menschen.«
»Soll ich vielleicht annehmen, du hättest etwas Gutes vollbracht? Du bist vor zwei Jahren initiiert worden. In diesen beiden Jahren hast du dir nichts zuschulden kommen lassen. Den Hexentrank können wir hier getrost außer Acht lassen. Warum hast du dir jetzt das Vieh vorgenommen? Warum ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt? Fünfhundert tote Schafe innerhalb einer Woche, von zwei vollständig ruinierten Höfen ganz abgesehen …«
Der Inquisitor erhob sich. Einen kurzen Augenblick schob sich sein von der Kapuze verhüllter Kopf zwischen Ywha und die Fackel. Die verhörte Hexe prallte zurück.
»Ich habe bereits alles gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen.«
Der schwarze Stoff verhüllte das Gesicht des Inquisitors bis zum Kinn. Hinter den schmalen Sehschlitzen herrschte undurchdringliche, mit Händen greifbare Dunkelheit. Nun stand er unmittelbar vor der Hexe. Ohne Frage kostete es sie gewaltige Anstrengungen, nicht zurückzuweichen.
»Gut, Orpyna. Warst du auf Hexensabbaten?«
Die Hexe zögerte, nickte am Ende jedoch gequält.
»Hast du mal unter Bluthochdruck gelitten?«
Wieder eine Pause. Und wieder schüttelte die Hexe am Ende gequält den Kopf.
»Hast du oft Kopfschmerzen? Fällst du ohne Grund in Ohnmacht?«
»N-nein.«
»Denk an etwas Gutes.«
Ywha erstarrte in ihrem Versteck. Mit einer geschmeidigen, katzenartigen Bewegung legte Klawdi der geradezu betäubten Hexe die Hände auf die Schultern. Kaum merklich zuckte die Frau zusammen, ihre Lippen öffneten sich ein wenig und entblößten scharfe, feucht schimmernde Zähne. Die Augen … Im Halbdunkel konnte Ywha sie nicht richtig erkennen. Die Hexe stand da, aufrecht und die Hände vor die Brust gepresst; sie schien durch den in sein Gewand gehüllten Mann hindurchzusehen.
»Ywha.«
Sie erschauderte.
»Komm her.«
Sie zwang sich, nach dem Rand des Gobelins zu fassen, ganz vorsichtig, um ja das Zeichen nicht zu berühren. Kaum traf ihr Blick auf die dunkle Kapuze, da schaute sie schon weg.
»Ein Inquisitor muss schrecklich aussehen. Stell dir vor, du wärst beim Fasching. Wollen wir uns an die Arbeit machen? Du hast doch keine Angst, oder?«
»Nein«, versicherte Ywha, wobei ihre Stimme jedoch wenig überzeugend klang.
»Ich zwinge dich nicht«, erklärte der Inquisitor sanft. »Aber es wäre sehr schön … wenn wir gemeinsam einen Durchbruch erzielen könnten. Das verstehst du doch, nicht wahr?«
»Was soll ich tun?«
»Ich werde alles tun. Ich brauche ihre Gründe, ihre wahren Motive. Von sich aus sagt sie nichts, die Folter widert mich an und bringt uns meist kaum weiter; ihre Seele kann ich nicht knacken, die hat sie gut verriegelt. Deshalb werde ich sie spiegeln — und zwar in dir. Denn erstens bist du auch eine Hexe, und zweitens bist du ausgesprochen empathisch. Mit den technischen Details werde ich dich nicht belästigen. Stell dir einfach vor, du seist ein Spiegel. Ist das so weit klar?«
Ywha grinste. Ein Bild aus ihrem Physiklehrbuch fiel ihr ein, ein Schnitt durch ein Periskop. »Wir spielen Periskop, oder?«
Endlich streifte er die Kapuze ab.
Sein Gesicht war angespannt. Müde und böse.
… Es war kalt.
Als Erstes nahm sie die schneidende Kälte wahr. Die Feuchte. Dunkle, auseinanderdriftende Linien umsponnen sie. Kein Geräusch entstand, keine Berührung kam zustande, als Grashalme wegknickten, hohe Stängel, die sich in den Himmel bohrten. Sie rannte über eine Wiese, in ihrer Hand, fest in ein Bündel eingeschnürt, lag etwas Lebendiges, das mit den Flügeln schlug. Ein Vogel.
Sie wollte sich das nicht weiter ansehen. Voller Wucht schlug die Angst über ihr zusammen: wie ein Schwimmer, der sich vom Boden abstößt, nach oben schnellt, zur Sonne.
Die Sonne. Nicht warm, aber blendend grell, schmerzte sie in den Augen. Ein kahler Hügel, ohne jedes Gras. Von ihren Händen tropfte eine ölige Flüssigkeit.
Nein, das war nicht die Sonne, sondern der Mond, rund und dick wie ein Fass. Im Schatten schief stehender Bäume krümmte sich ein Haus. Nach wie vor fehlte jeder Laut, ihren Platz nahmen Gerüche ein. Es roch stark nach Dung, schwächer nach verfaultem Holz. Und kaum noch wahrnehmbar nach Metall — denn sie hielt ein spitzes Messer in Händen. So mühelos drang die Schneide ins Holz, als handle es sich um lockere Erde. Liebevoll fuhren ihre Hände über den Griff. Seltsame, ungewohnte Bewegungen …
Der Messergriff wurde feucht. Und warm.
Ein tropfendes Geräusch.
Weiße schwere Tropfen fielen in einen Blecheimer. Es war ein Melkeimer. Immer schneller arbeiteten ihre Hände. Was tat sie da? Ein rhythmisches Ziehen und Pressen. Sie melkte den Griff des Messers … Melkte … Von ihren Fingern tropfte Milch, pladderte in den Eimer und schwappte manchmal über ihre Ärmel.
Obwohl ihr die Finger lahm wurden, vermochte sie nicht aufzuhören. Berauscht war sie, verlangte nach mehr, immer mehr …
Die Milch versiegte. Zischte nicht mehr in Strömen, tröpfelte kaum noch, füllte den Eimer nur mit Mühe …
Wieder spürte sie die Wärme. Die satte Zufriedenheit. Eine warme Flüssigkeit netzte ihre Hände, keine weiße, sondern eine schwarze.
Schwarze Tropfen fielen in den vollen Melkeimer.
Rote Tropfen. Ihre Händen wurden klebrig.
Angst keimte auf.
Sie hörte den eigenen Schrei nicht.
Ihre stumme Angst roch. Sie roch nach Eisen.
Wieder behielt er sie über Nacht bei sich. Letztlich war es ihm gleich, was man von ihm dachte. Vor allem angesichts des letzten Gesprächs mit Seiner Durchlaucht, dem Herzog.