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Aber dreimal hintereinander?!

»Sie sind Njawken. Leere Hüllen von Menschen … Das sind keine Menschen … Es ist, als ob dein Mörder in der Maske einer schönen Frau zu dir käme. Oder, noch schlimmer, in der Maske deiner Mutter.«

Er betrachtete seine Finger, deren Knöchel durch den todbringenden Griff um das schmale Glas weiß hervortraten. Viel fehlte nicht — und hier würde eine Handvoll blutiger Scherben liegen. Warum tat er das?

Kaum hatte er die Macht über die eigene Hand zurückerlangt, stellte er das Glas behutsam auf der hellen Tischplatte aus Marmorimitat ab.

Er hatte Angst. Hatte Angst, empfand Schwermut. Und nicht ein Funken von dem Gefühl war in ihm zurückgeblieben, das er in den letzten Monaten für Glück gehalten hatte. Für ein Ersatzglück. Eine Art stellvertretendes Glück.

Er brauchte ja nicht wieder in diese Wohnung zu gehen. Er konnte sie vergessen. Djunka — oder diejenige, die er für Djunka zu halten gelernt hatte — hatte kein Essen nötig. Sie hatte überhaupt nichts nötig …

Abgesehen von ihm, Klaw. Seine Anwesenheit war für sie lebensnotwendig. Mehr als einmal hatte sie das erwähnt, und auch er selbst hatte es gesehen, wenn er nach einer langen Zwangspause wieder bei ihr erschienen war und ihr Gesicht bleich und hohlwangig aussah, wenn ihr Körper leblos und abgemagert schien.

Er presste die Zähne aufeinander. Was war das? Ein Tauziehen? Er zog sie zu sich, ins Leben, während sie …

»Njawken verkehren in der Regel mit Menschen, um diese umzubringen. Gewissermaßen um die Chancengleichheit wiederherzustellen.«

»Wollen Sie noch etwas bestellen, junger Mann?«

»Ja. Noch einen Saft. Und … zweihundert Gramm Kognak.«

Die Frau wunderte sich nicht im Geringsten. Klaw wirkte offenbar wie ein Mann, der es gewohnt war, Kognak aus Teegläsern zu trinken.

Was, wenn er sie aufgab? Wenn er Djunka der Einsamkeit überließ? In der abgeschlossenen Wohnung?

Plötzlich meinte er in dem alten Mann, der am Tisch gegenüber saß, den Tröster vom Friedhof wiederzuerkennen. Das müde Allerweltsgesicht. Der eindringliche Blick unter den zusammengezogenen Augenbrauen. »Ich bin nur ein Lum. Ich tu, was ich kann.«

Klaw blinkerte. Nein, dieser Alte war ganz anders. Ein pausbäckiger, ihm unbekannter Mann.

Er kippte seinen Kognak wie Medizin herunter — und erstickte beinah daran. Zum Glück klopfte ihm jemand kräftig auf den Rücken. »Du solltest ein anständiges Getränk nicht so herunterstürzen, mein Junge!«

Klaw war noch immer nüchtern. Er drehte den Kopf …

… und erschrak nicht. Wie einem alten Bekannten nickte er dem Tschugeist zu.

Von ihm ging ein Geruch nach feuchtem Fell aus. Klaw schüttelte den schweren Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen. Wenn der Tschugeist in seiner Fellweste in den Regen kam, würde er vermutlich wie ein Wolf riechen. Aber es regnete gerade nicht, und außerdem handelte es sich um Kunstpelz.

Sie alle waren offenbar gerade erst reingekommen. Sie hatten einen Ecktisch mit Beschlag belegt, weswegen Klaw, der einsam seinen Kognak schluckte, sie nicht bemerkt hatte. Jetzt beobachteten ihn drei vom Tisch aus, während einer vor Klaw stand …

Sie waren sich schon über den Weg gelaufen. Genau ihm war er schon einmal begegnet. Nur zerfloss jetzt sein Gesicht, außerdem schaffte Klaw es nicht, die auseinanderstiebenden Gedanken zu bündeln und sich zu erinnern, wo genau und auch worüber dieser lange, schlaksige Kerl da mit ihm, Klaw, geredet hatte.

»Ist dir nicht gut? Brauchst du Hilfe?«

Nach Klaws Ansicht hatte sich sein Kopf in den Erdball verwandelt, so schwer war er ihm, so unaufhaltsam drehte er sich.

Und es ließ sich kaum noch ertragen, ihn, diesen Kopf, zu schütteln, um den guten Tschugeist mit einer schlichten Geste, einem klaren Nein, fortzujagen.

Als Klaw unter den Kuratoren Fedora erblickte, war ihm klar, dass ihm ein unerträglich anstrengender Tag bevorstand.

»Patron … Bedauerlicherweise ist Kurator Mawyn schwer erkrankt. Es war sein Wunsch, dass ich ihn hier in Wyshna vertrete. Hier ist die Urkunde, in der er mir die notwendigen Vollmachten erteilt hat.«

»Danke, nicht nötig. Meine Herrschaften, nehmen wir unsere Plätze ein und beginnen wir mit der Diskussion.«

Der finstere Kurator aus Rydna zog einen Mundwinkel leicht nach oben. Ganz leicht nur.

Er, der den Luxus so liebte und die Hexen so hasste, hieß War Tanas und war etwas über fünfzig. Vor fünf Jahren hatte er die besten Aussichten auf den Stuhl des Großinquisitors gehabt. Selbst jetzt hatte er die Hoffnung darauf noch nicht aufgegeben. Wie Klawdi wusste, verfolgte Tanas die erste halbe Stunde jeder Diskussion schweigend.

»Meine Herrschaften, bevor ich mir Ihre Ansichten anhöre, möchte ich einige Worte dazu sagen, wie sich mir die Sachlage darstellt.«

Er sprach siebzehn Minuten. Fedora, die auf Mawyns Platz saß, blickte stur durch ihn hindurch. Nur mit Mühe konnte er den Wunsch unterdrücken, sich einen schmerzenden Punkt an der Schläfe zu reiben — an jener Stelle, wo ihr Blick ihn traf.

»Mir ist daran gelegen, dass wir heute möglichst offen zueinander sind. Und die größtmögliche Verantwortung für unser Tun übernehmen. Denn für die Lage, in der wir alle uns gegenwärtig befinden, dürfte es kaum Analogien geben … zumindest nicht in den letzten vierhundert Jahren.«

Sie alle verstanden nur zu gut, worauf er abzielte. Von dem Kurator aus dem Kreis Bernst vielleicht einmal abgesehen. Der saß da, entrückt und seinen eigenen Gedanken nachhängend.

»Und jetzt würde ich gern Ihre Ansichten hören … bezüglich der ungewöhnlichen Aktivität der Hexen. Und bezüglich ihrer seltsamen Tendenz zur Gruppenbildung. Sowie — warum lange darum herumreden — im Hinblick auf die Schlinge, die um unseren Hals liegt und sich allmählich zusammenzieht …«

Der Kurator aus Rydna zog wieder einen Mundwinkel nach oben. Fedora seufzte.

Ums Wort bat der Kurator aus Altyza, ein junger Mann mit braunem Haar und einem schweren, behäbigen Körper sowie einer wieselflinken, höchst dehnbaren Moral. Schwermütig sann Klawdi darüber nach, dass der Stuhl des Großinquisitors irgendwann unter dem gewichtigen Hintern von Foma aus Altyza ächzen würde. Vermutlich. Der Fettwanst besaß einen hellen Verstand und war ein meisterlicher Taktiker. Heute bildete er eine Allianz mit dem Kurator aus Rydna, indem er als Erster sein Beil auf Klawdi abfeuerte, zugunsten von Tanas.

Klawdi vertrieb den aufdringlichen Gedanken an eine Zigarette.

Foma fasste sich kurz, redete jedoch sehr emotionsgeladen.

Ja, die Situation in Altyza lasse zu wünschen übrig, woran freilich nicht die vermeintlich gesteigerte Aktivität der Hexen die Schuld trüge, sondern der letzte Befehl aus Wyshna. Altyza sei ein Kreis der Landwirtschaft, in dem es traditionell zahlreiche sesshafte und friedliche Hexen gebe. Die drakonischen Maßnahmen, die der Großinquisitor einklage, hätten die gleiche Wir­kung wie ein Päckchen Hefe, das man in die Toilette werfe. Der Abschaum würde aus allen Ritzen kriechen. Die Hexen, die jahrzehntelang zurückgezogen und unregistriert in ihren Hütten gelebt hatten — wobei sie selbstredend stillschweigend kontrolliert worden seien –, würden jetzt Gott weiß wohin verschwinden, denn falls die Inquisition von Altyza den Befehl befolgte, könnte und müsste sie sämtliche Gefängnisse des Kreises mit unregistrierten Hexen füllen. Dies wiederum würde den Haushalt aufs Äußerste belasten. Die Hexen müssten zudem in überfüllte Zellen gepfercht und unter Bedingungen gehalten werden, die jeder Beschreibung spotteten. Dies würde nur ihre Aggressivität steigern, zu Panik führen und Destabilität oder Tragödien nach sich ziehen — wie die jenes dreizehnjährigen Mädchens, das von ihrer Mathematiklehrerin initiiert worden sei und mit Zahnpasta das Zeichen der Pumpe auf die Wange ihres schlafenden Bruders gemalt habe …