Foma legte eine Pause ein. Der peinliche Zwischenfall, der ihn unter anderen Umständen den Kopf gekostet hätte, diente heute dazu, die Wahrheit seiner Worte zu illustrieren. Eine Untermalung in grellen, ja, schreienden Farben.
Foma senkte den schweren, unter einem Übermaß an Kinnmasse leidenden Kopf. Im Grunde war er fertig. Die Lage im Kreis konnte mit einiger Mühe stabilisiert werden — und zwar nur deshalb, weil er die Sünde auf sich genommen habe, von einer buchstabengetreuen Umsetzung des letzten Befehls aus Wyshna abzusehen. Jetzt würde er vermutlich wegen Amtsanmaßung und Insubordination zur Verantwortung gezogen werden. Ein anderer an seiner Stelle hätte es sicher vorgezogen, den Kreis in strenger Befehlserfüllung in den Abgrund zu treiben. Das sei alles, was er, Foma, zu sagen habe, jetzt sei er bereit, auf Fragen zu antworten.
Klawdi, der während der ganzen Ansprache mit unbeweglichem, freundlichem Gesicht dagesessen hatte, zauberte jetzt eines seiner charmantesten Lächeln auf die Lippen. »Meine Herrschaften, ich schlage vor, erst alle anzuhören. Dann werden wir zu den Fragen zurückkommen, sozusagen in ihrer Gesamtheit.«
Foma zuckte die gut gepolsterten Schultern und nahm vorsichtig Platz. Er führte überhaupt jede Bewegung voller Vorsicht aus. Risikofreudig, kühn oder überraschend konnte er nur in Worten und Taten sein.
Nacheinander sprachen der Kurator von Korda und der neue Kurator aus Rjanka. Der Erste holte weit aus, blieb vage und erschöpfte sich in Anspielungen auf die kurzsichtige und allzu dominante Führung in Wyshna, ließ jedoch auch eine Reihe nebulöser Anschuldigungen gegen die Hexen vom Stapel, die in der Tat ausgesprochen aggressiv aufträten. Der Zweite, der frischgebackene Kurator Juryz, beschränkte sich auf eine Aufzählung der Maßnahmen, die er bereits ergriffen hatte. Sie liefen im Wesentlichen darauf hinaus, alles, was sein Vorgänger angeordnet hatte, rückgängig zu machen. Klawdi zerquetschte unterm Tisch ein Päckchen Zigaretten. Juryz war ohne Zweifel talentiert. Warum hielt er sich mit solchen Kleinigkeiten auf? In zwanzig Minuten würde Klaw eine Pause ausrufen. Zum Rauchen.
Die Ansprache Antors, des Kurators aus Egre, stellte einen schlecht verhüllten Angriff gegen die Position Fomas aus Altyza dar. Treffsicher pickte Antor aus der emotionalen Rede den Punkt heraus, der dem Kurator das Genick brechen musste: Die große Zahl unregistrierter, in der Landwirtschaft tätiger Hexen, die angeblich keine Aggression erkennen ließen und, heimlich von der Inquisition überwacht, in ihren Hütten lebten. Die Enthüllung einer solchen Tatsache hätte in früheren Zeiten nicht nur zur Amtsenthebung, sondern gleich zum Ausschluss aus der Inquisition aufgrund professioneller Unzulänglichkeit geführt. Antor sprach leise, seine Stimme klang metallen. Klawdi senkte die Lider ein wenig und beobachtete einen Sonnenstrahl, der über den weißen, polierten Tisch kroch. Formal hatte Antor recht. Faktisch war jedoch Foma im Recht. Die Methoden, die für Großstädte geeignet waren, versagten häufig bei den vereinzelt liegenden Gehöften und kleinen Ortschaften.
Er schielte auf die Liste, die in der offen stehenden Schublade des Tisches lag. Die letzten Zahlen aus den Kreisen, die er sich im Übrigen nicht direkt von den Kuratoren besorgt hatte, sondern heimlich, durch Spione. Der ruhigste Kreis war ausgerechnet Altyza. Noch gestern hatte Egre am besten dagestanden. Am schlimmsten hatte es …
Er fasste sich an die Schläfe. Fedora sah zu ihm herüber, doch er erwiderte ihren Blick nicht.
Am schlimmsten hatte es Odnyza getroffen. Und die Lage spitzte sich weiter zu. Der Statthalter von Odnyza hatte Kurator Mawyn sogar schon eine offizielle Anfrage geschickt, ob …
Antor, der Kurator aus Egre, endete. Er blieb kurz stehen, um alle Anwesenden nacheinander zu betrachten. Dann setzte er sich, genauer: er plumpste auf den Stuhl. Er zeichnete sich durch ein gewisses Ungeschick aus, in seinen Bewegungen und in der Kleidung, jedoch nie in seinen Taten. Zumindest auf Antor durfte Klawdi zählen.
Foma, den Antors Rede gekränkt und verletzt hatte, verzog seinen großen weichen Mund zu einem giftigen Lächeln. Er verlangte Revanche und bekam nach Klawdis Dafürhalten weiche Knie. Zu viel hatte er auf eine Karte gesetzt — und konnte nun in der Tat erst recht rausfliegen.
Alle sahen Tanas an, den Kurator aus Rydna. Die erste halbe Stunde war längst vorbei, jetzt kam der Zeitpunkt für sein gewichtiges Wort.
Tanas hüllte sich jedoch weiter in Schweigen. Beide Winkel seiner dünnen Lippen wiesen nach unten. Der eine stärker, der andere schwächer. Alle warteten. Tanas schwieg.
Was tun wir hier eigentlich, dachte Klawdi angeekelt. Einen akrobatischen Tanz führen wir auf, unter Einbeziehung eines hohen Stuhls. Dem einen helfe ich auf den Sitz, den anderen schubse ich runter. Du klettere ruhig auf den Sitz, während ich mich neben die rechte Armlehne stelle, und unser Freund hier soll sich neben die linke stellen. Dann stoße ich dich mit seiner Hilfe runter und schiebe ihn auch weg, woraufhin sich ein neues Gesicht neben die Armlehne stellt …
Er wollte schon den Mund öffnen, um die Pause zu verkünden, als er sah, dass sich der Kurator aus Bernst langsam und — wie immer in sich selbst versunken — entrückt und bleich von seinem Stuhl erhob.
Die Hexen nannten ihn, Wikol, eine eiserne Schlange. Ein eisernes Wesen, das mit seinen Gelenken klirrte und am Ende selbst das wendigste Huhn schnappte. Erbarmungslos konnte er einen erwürgen, in null Komma nichts.
Klawdi mochte Wikol nicht. Gerade weil er so entrückt wirkte. Ein unbeteiligter Inquisitor — das ging einfach über Klawdis Horizont.
»Herrschaften!« Mit dieser gefühllosen Stimme sprach Wikol auch mit seinen Hexen. »Nach dem Erhalt des Befehls des Großinquisitors bezüglich der außergewöhnlichen, die Hexen aller Kategorien betreffenden Maßnahmen und insbesondere nach einem entsprechenden Versuch, diese auch zu realisieren, bin ich nicht minder verärgert als Kollege Foma.«
Wikol verstummte. Vermutlich konnte eine einzige dieser Pausen selbst die hartnäckigste Hexe im Schweiß schwimmen lassen.
»Herrschaften! Ich sehe mich gezwungen einzugestehen, dass die durch den Großinquisitor vorgeschlagenen Maßnahmen längst nicht ausreichen. Wir stehen vor einem Abgrund, Herrschaften, vor dem wir nur zu gern die Augen verschließen wollen.«
Die eintretende Stille durchbrach ein langer, ein ungebührlich langer Seufzer.
Niemand wandte sofort den Kopf. Alle zählten innerlich bis fünf, manche sogar bis sieben, erst dann gestatteten sie sich, Fedora Ptach anzusehen, die zweite Kuratorin von Odnyza, die — wie alle wussten — ehemalige Geliebte von Klawdi Starsh.
Der Einzige, der sich nicht rührte, war Klawdi. Starr hielt er den Blick auf den obersten Knopf am Jackett von Kurator Wikol gerichtet.
Wikol wartete eine Minute. Seine Stimme klang völlig unverändert, als er, die schweigende Runde betrachtend, klar und deutlich fortfuhr: »Das veränderte Verhalten der Hexen lässt sich weder mit dem schlechten Wetter noch den schlechten Zeiten oder irgendeinem Fehler erklären. Ich hoffe, der Großinquisitor ist weitsichtiger als wir alle und hat sich seine eigenen Gedanken zu diesem Problem gemacht.«