Eine der Damen weinte lauthals und bat darum, nach Hause gehen zu dürfen. Mit versteckter Schadenfreude untersagten es ihr die Polizisten. Jemand wollte ein verloren gegangenes Brillantcollier suchen, ein anderer fluchte wie ein LKW-Fahrer, aber die meisten standen schweigend an den mit Seide bespannten Wänden. Männer in Smokings, aber mit nackten Beinen, und auch Frauen. Klawdi fing den Blick einer Blondine auf, deren Bekleidung aus einem Tischtuch bestand, das sie vom Tisch gerissen und zum Lendenschurz umfunktioniert hatte. In der Spalte zwischen den großen, gebräunten Brüsten verlor sich ein an einer goldenen Kette baumelndes Goldamulett. Die Dame musste an einem Spezialstrand gelegen haben. Wo sonst bekam man eine derart nahtlose Bräune, der jede bleiche Kontur des Badeanzugs fehlte?
Klawdi spürte, wie sich sein Körper anspannte, der plötzlich eigene Wege zu beschreiten schien; die Blondine zog einen Mundwinkel zufrieden nach oben.
Glücklicherweise geriet er in Wut. Und die erwies sich als stärker als jedes fleischliche Verlangen. Der Geschäftsführer fuhr zusammen, als er Klawdis Blick auffing.
»Die Sache ist die«, erklärte der rosawangige Hauptmann der Polizei, der sich ihnen lautlos genähert hatte, »dass hier eine Stripteasetänzerin gearbeitet hat. Sie hat vor einem Monat angefangen … ohne Papiere vorzulegen. Man hat überhaupt auf sämtliche Papiere verzichtet, nur weil sie verdammt schöne Titten hatte!«
Der rosawangige Hauptmann legte eine empörte Pause ein. Klawdi, der seinen Arbeitsrhythmus nun gefunden hatte, empfand sie lediglich als langes, sinnloses Schweigen.
»Ohne Papiere, nur wegen der Titten«, wiederholte er kalt. »Und weiter?«
Der Hauptmann brauchte einige Zeit, um zu schmunzeln. Klawdi wartete geduldig. »Als die Lady heute auf die Bühne gekommen ist … haben sie … das kann niemand vernünftig erklären! Die Tellerwäscherin der Bar hat es immerhin noch geschafft, die Polizei zu rufen. Stellen Sie sich das vor, die Tellerwäscherin! Sobald wir hier waren, haben wir uns mit Ihnen in Verbindung gesetzt, weil es sich hier um eine Angelegenheit Ihrer Behörde handelt. Da drüben also …«
Der Hauptmann nickte einem jungen Polizisten zu, der neben den Körpern Wache stand, die mit Laken bedeckt waren. Der Mann zog den Stoff weg, wobei er versuchte, woanders hinzusehen.
Fünf Menschen, mit den furchtbaren Gesichtern der Erwürgten, jeweils mit Spuren einer Schnur am Hals, absolut nackt. Vier Männer und eine fülligere Frau. Klawdi wandte sich ab.
»An den Deckenlampen haben sie sich aufgehängt«, informierte ihn der Hauptmann, nachdem er eine — diesmal ergrimmte — Pause eingelegt hatte. »Ein paar mit Gürteln, ein paar mit Schnüren … Hingen da wie Birnen, während die anderen … Niemand von denen kann sagen, was genau passiert ist, deshalb haben wir Sie ja auch … Und alle haben sie sich ausgezogen …«
»Wieso das?« Klawdi warf den Kopf in den Nacken.
Der Hauptmann nickte dem beleibten Herrn zu, durch dessen Brusthaar eine kunstvolle Tätowierung schimmerte. Er trat vor, ungeachtet eines protestierenden Ausrufs vonseiten des für Ordnung sorgenden Polizisten. »Meine Herren Inquisitoren … Ich möchte nicht, dass mein Name an die Presse durchsickert … Ich bin ein in dieser Stadt recht bekannter Mann … Insofern bin ich auch bereit, für die Ergreifung dieser Hexe eine beachtliche Summe auszusetzen. Es ist eine große, füllige Schwarzhaarige, die auf der linken Schulter ein Muttermal hat.«
»Was ist hier geschehen?«, unterbrach ihn Kosta sanft.
»Wir haben alle miterlebt, was wir taten.« Der bekannte Mann senkte den Blick. »Es war … schrecklich. Wie in Trance, wie unter Hypnose …«
»Sie legten alle einen Striptease hin«, erklärte der Hauptmann mit nervösem Lachen. »Alle, Männer und Frauen, tanzten nackt, während dieses Luder sie beobachtete … Dann haben sie angefangen, sich aufzuhängen. Am Ende hätten sich mit Sicherheit alle aufgehängt.«
»Ihren Augen waren …« Der Mann schlug die Hand vors Gesicht. »… wie aus Fluidum … falls das so heißt.«
»Und dann? Wie ist sie entkommen?«
Nun mischte sich der Geschäftsführer ein. Obwohl sich der Schatten der baldigen Entlassung bereits auf sein Gesicht gelegt hatte, gelang es ihm dennoch, die Kontrolle über sich zu wahren. »Sobald die Polizeisirenen erklangen … ist sie verschwunden. Durch den Hintereingang.«
»Warum haben Sie sie denn nicht aufgehalten?!«, empörte sich der stadtbekannte Mann. Der Schatten im Gesicht des Geschäftsführers trat deutlicher hervor.
»Wollen Sie sie verhören?«, fragte der Hauptmann mit einem freundlichen Nicken in Richtung der halb nackten Gäste, die der Hysterie nah waren.
Klawdi schüttelte den Kopf.
Die Anwesenheit einer Hexe — ließ sich irgendwie nicht ausmachen. Seine inneren Alarmglocken schrillten, vage und immer stärker, verkündeten die Gefahr.
Kosta, der Leiter der Einsatzgruppe, hatte eine noch bessere Witterung. Seine Männer standen in einer engen Gruppe zusammen; Klawdi entging nicht, wie sie instinktiv Paare bildeten, sich Rücken an Rücken aufstellten. Also spürten auch sie die Gefahr.
»Bringen Sie … die Opfer weg«, wies Klawdi den Hauptmann an. »Evakuieren Sie das Personal und rufen Sie Ihre Leute ab. Im Gebäude bleibt nur die Inquisition zurück.«
Obwohl der Hauptmann wie ein begossener Pudel dreinsah, widersprach er nicht.
»Oft stellen mir die Menschen eine Frage, die auch mich selbst beschäftigt: Geht die Meisterschaft des Inquisitors nicht mit der Kunst der Zauberei einher? Wir alle wissen, dass die Hexen ihre Kraft aus ihrer Hexenschaft schöpfen, und es erstaunt nicht, wenn meine Herrinnen ohne jedes Gift eine Quelle zu vergiften vermögen, ohne jede Lanzette Blut abzulassen vermögen … Welcher Art ist nun die Kraft, die meine Herrinnen, die seit Jahrhunderten ohne jede Zügel durchs Leben gehen, an die Leine nimmt?
Von Inquisitoren heißt es, sie seien Zauberer. Man beliebt zu sagen, jenes Zeichen auf einem Stein, mit dem meine Brüder, die Inquisitoren, meine Herrinnen — die Hexen — martern, sei nichts anderes als ein Zauberzeichen. Man beliebt auch zu sagen, die Inquisitoren unterwürfen die Hexen durch Zauberkunst. Auch mich fragt man danach, allerdings antworte ich nie.
Diejenigen, die sich Zauberer nennen und in Höhlen leben, zwingen Fledermäuse zu Gehorsam. Sie sind, wie mich dünkt, seltsam und ohne Fromm. Wieder und wieder beteuern sie, einzig Wissen zusammenzutragen — doch was ist ihr Wissen anderes als der Staub, der sich auf jahrhundertelanger Unkenntnis gebildet hat? Ihre Sprüche zeigen gleichermaßen Wirkung bei Fledermäusen wie bei Eichhörnchen, ja, gar bei Menschen und Hexen. Die Zauberer pflegen keinen Unterschied zu machen. Ihr Können ist schöner und eitler Wahn, mehr nicht. Was liegt denn Gescheites darin, eine Fledermaus abzurichten, Wein zu servieren? Der Anblick einer so gequälten Kreatur ruft einzig Bitternis hervor. Noch nie vermochte jedoch einer derjenigen, die sich selbst Zauberer nennen, einen Alten zu verjüngen, einer Hafendirne die längst vergessene Jungfernschaft zurückzugeben.
Indes, ich schweife ab. Das Wasser in der Flasche, die ich mir, die Füße zu wärmen, unterlegte, ist erkaltet. Ich sollte die Magd anweisen, mir eine neue Flasche zu bringen. In diesem Winter feien uns selbst die dicksten Fensterläden nicht gegen die Kälte. Meine Gelenke schmerzen, die Schikanen des Arztes verhalfen mir nur bedingt und nicht auf lange Zeit zu Linderung.
Vorgeblich leiden Zauberer nicht unter Gelenkschmerzen. Dem Vernehmen nach erkranken sie niemals, sondern legen sich, gesund wie die Vögel im Frühling, ins Grab. Gesund zu sterben aber ist eine Schmach. Krank zu leben ist freilich eine noch weitaus größere Schmach. Doch was rede ich da: als hätte ich, der Großinquisitor von Wyshna und vorgeblich selbst ein Zauberer, mich mit Heilumschlägen zu plagen!