Выбрать главу

Es stellte sich als kurz und völlig schmerzfrei heraus. Nicht mehr als ein Wort: Schluss.

Schluss, jetzt war alles aus. Irgendwie war ihr sogar leichter zumute. Sie konnte selbst nicht erklären, warum. Die entsprechenden Worte standen ihr nicht zur Verfügung. Sie fühlte es einfach. Genau wie wohl eine Füchsin um den Moment weiß, da ihr Junges keinen Schutz mehr braucht, auf die raue, schmale Zunge und den warmen, weich bepelzten Bauch verzichten kann.

Schluss.

Sie schlüpfte unter der Decke hervor und zog sich im Halbdunkel an.

Der zerrissene Reißverschluss an den Jeans forderte ihr ein paar lautlose Tränen ab. Was für ein falscher Unterton in der pathetischen Szene ihrer Trennung! Schließlich gehörte es sich für eine junge Frau nicht, mit offenen Hosen auf die Straße zu gehen.

Sie wusste, wo Nasar Nadel und Faden aufbewahrte; sie hatte das Nähzeug selbst an diese Stelle gelegt. Nasar schlief, die Falte an seiner Nasenwurzel grub sich immer tiefer ein, während sich seine ehemalige Freundin hastig die Hosen nähte, die sie gerade am Körper trug. Stich für Stich, ein Zischen unterdrückend, wenn sie sich die Nadel in den Körper rammte.

Nachher würde er aufwachen — und erleichtert sein. Vielleicht würde er sich das nicht einmal selbst eingestehen. Er würde sich traurig, verletzt, möglicherweise sogar verraten fühlen. Aber das entscheidende Gefühl würde das der Freiheit sein. Professor Mytez würde dies vermutlich ebenfalls zu schätzen wissen, der gute alte Professor Mytez.

Ywha biss den Faden ab. Die Hosen waren zu, Nasar schlief, unter der dunklen Zimmerdecke schwamm das dunkle Schiff, das zusammen mit dem Licht auch einen Großteil seines Zaubers eingebüßt hatte. Schluss.

In der Tür schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ihm etwas zu schreiben, ein paar Worte, wie es in allen Melodramen üblich war.

Aber sie hatte keinen Bleistiftstummel, keine Zigarettenschachtel, nicht einmal Bonbonpapier.

Deshalb ging sie schweigend hinaus, die Tür fest hinter sich schließend.

9

»Meine Brüder, die Inquisitoren, verlangen von mir, etwas über die Natur der Mutterhexe zu erfahren. Selbst die Magd zeigt sich überaus neugierig und fragt mich danach. Sobald ich ihnen allen antworte, Einzelheiten ließen sich nicht bei mir, sondern nur bei der Mutterhexe selbst in Erfahrung bringen, machen flugs Gerüchte die Runde, der alte Ol habe den Verstand verloren.

Was gelten meine Überlegungen denn schon? All meine Gedanken, Schlussfolgerungen und Ansichten? Bisweilen dünkt mich, es komme längst nicht nur eine Mutterhexe in die Welt, sondern ihrer unzählige würden zur gleichen Stunde geboren, auf dass in einem Duell auf Leben und Tod die stärkste unter ihnen ermittelt werde.

Es ist ein langer und warmer Herbst. Ich habe das Zimmermädchen angewiesen, in meinem Arbeitszimmer Blätter statt eines Teppichs auszulegen. Der Duft belebt mich, das Rascheln beruhigt mich. Freilich lässt mich der Staub husten, mithin vermag ich nach einem langen Arbeitstag nicht einzuschlafen, weshalb ich heute Morgen befahl, die Blätter wieder einzusammeln und hinauszutragen.

Auf drei großen Plätzen sind gestern neue Scheiterhaufen errichtet worden.

Die Natur meiner Herrinnen entzieht sich unserer Ratio. Gewiss, wir können uns an die Stelle des niedersten Käfers versetzen, der an Blattwerk nagt, um den Hunger zu stillen. Uns dergleichen vorzustellen sind wir imstande, da der Hunger uns nicht fremd ist. In unseren sündigen Träumen können wir uns gar an die Stelle des Hirschs setzen, welcher die Hirschkuh deckt, dieweil auch uns die Fleischeslust nicht fremd ist. Kein Einziger von uns vermag indes je zu verstehen, was die Mutterhexe antreibt. Sie bringt Junge hervor, die sie hernach zumeist tötet. Vergießt ein ehrgeiziger Herrscher das Blut seiner und fremder Untertanen, so verstehen wir selbst das, ist der Stolz doch auch uns nicht fremd. Erlaubt ein unersättlicher Arzt der Krankheit, um sich zu greifen, auf dass er den verzweifelten Kranken das Dreifache abverlangen kann, so vermerken wir eine Geldgier, die stärker als das Gewissen ist. Meine Herrinnen, die Hexen, sind weder ehrgeizig noch unersättlich. Sie trachten nicht nach Geld noch nach Macht, sie kennen keinen Hunger noch Fleischeslust. Sie wissen nicht, was gut ist und was wir schlecht nennen. Sie sind unschuldig. Sie richten uns einzig durch ihr Dasein zugrunde.«

»Frau, äh, Lys, der Herr Großinquisitor lässt Ihnen ausrichten, Ihre Dienste würden heute nicht benötigt. Man wird Sie jetzt nach Hause bringen.«

»Ich kann doch allein gehen«, antwortete sie sofort.

»So sind die Anordnungen des Herrn Inquisitors«, erklärte der Referent — nicht Myran, sondern ein anderer — traurig. »Er ist ungeheuer beschäftigt, ich kann an dem Befehl leider nichts ändern. Man wird Sie abholen.«

»Will mich der Herr Großinquisitor denn gar nicht sehen? Nicht einmal kurz?«

»Ich habe Ihnen genau wiedergegeben, was Herr Starsh angeordnet hat«, erklärte der Referent mit ausgebreiteten Armen. »Dem ist nichts hinzuzufügen. Nicht das Geringste.«

Sie kannte ihren Begleiter bereits, einen schmächtigen, älteren Mann, der sein ganzes Leben lang nur Hilfstätigkeiten ausgeübt, sich darüber jedoch nie beklagt hatte. Da Ywha wusste, wie lustig dieser ewige Assistent sonst gewesen war, irritierte sie seine plötzliche Einsilbigkeit umso mehr. Nachdem er Ywha begrüßt hatte, hatte er kaum noch ein Wort herausgebracht.

»Was ist los? Gibt es Schwierigkeiten?«

Ihr Begleiter antwortete nicht. Vielleicht hatte er die Frage auch nicht gehört, die sie ihm mehr oder weniger beiläufig gestellt hatte. Sie hielt kaum mit ihm Schritt, während er durch die verschlungenen Gänge und Treppenhäuser trabte, denn aus irgendeinem Grund verzichtete der ewige Assistent auf Fahrstühle. Kurz vorm Haupteingang — so weit kannte sich Ywha im Palastinnern inzwischen aus — blieb ihr Begleiter stehen. »Ich möchte Sie bitten, im Auto zu warten. Oder nein, folgen Sie mir. Wir müssen kurz noch etwas erledigen.«

Ywha folgte ihm gehorsam, hätte sie doch sonst rasch jede Orientierung verloren. Prachtvolle Gänge und Säle mit reglosen Wachtposten wechselten sich mit dunklen Fluren ab, wie man sie aus tristen staatlichen Einrichtungen kannte. Ywha hatte nicht die geringste Ahnung, in welchen Teil des Palasts sie besagte kurze Erledigung führte. Schließlich blieb ihr Begleiter stehen und öffnete vor Ywha eine Glastür, die mit weißer Krankenhausfarbe überstrichen war.

Hier gab es Publikum, Frauen, die auf einer langen Bank an der Wand saßen. Und einen Wachtposten, der an der gegenüberliegenden Wand in einem Sessel neben der schweren, gepanzerten Tür döste.

Ywhas Mund trocknete aus. Warum auch immer.

»Warten Sie hier!« Ihr Begleiter nickte in Richtung eines freien Stuhls und eilte zur Tür, wobei er irgendwelche Papiere aus irgendwelchen Aktenmappen kramte. Der aufwachende Posten erhaschte seinen Blick, und Ywha bemerkte, wie der ewige Assistent zu ihr hinüberschaute, als wollte er sagen: Passen Sie auf sie auf.

Sie setzte sich auf die Stuhlkante.

Mit ihr warteten — und sie warteten, das ließ sich ihrer linkischen, verkrampften Haltung klar entnehmen — vier Frauen. Sie alle starrten Ywha jetzt an. Nicht offen, sondern verschämt. Die vier, das waren: eine Alte, eine Frau in mittleren Jahren und zwei junge Frauen zusammen, eine dürre und eine pummelige. Obwohl sie sich weder in Kleidung, vom Gesicht oder Auftreten ähnelten, nahm Ywha klar eine gewisse Gemeinsamkeit wahr, die jene vier Frauen stärker miteinander verband als die Bank, auf der sie momentan saßen.