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Alle wollten in die Manege, weil dich da alle sehen und die Scheinwerfer so weiße Kreise machen. Die großen und mutigen Kinder sind auch wirklich alle dahin gelaufen. Aber manche hatten auch Angst. Denen wurden die Beine ganz kalt, und der Po tat ihnen auch weh, nachdem sie die ganze Zeit nur dagesessen hatten. Die Mamas fanden das nicht gut und guckten böse. Alle Kinder hielten den Atem an, als die runde Kreissäge den Kasten zersägte, wo drei Jungen drin waren. Und alle freuten sich, als die Jungen wieder gesund und munter heraushüpften. Allerdings nur zwei. Ob der dritte aus einem anderen Kasten kam? Oder ob er gleich zurück in den Saal zu seiner Mama gerannt war?

Das Orchester spielte ganz laut, und jemand trommelte wild auf den weißen Trommeln. Es war ein richtiges Orchester, und am allerwichtigsten waren die riesigen gelben Becken. Die Musiker trugen alle glitzernde Fracks. Damit das Mädchen sie angucken konnte, musste es sich aufrichten und den Hals ganz lang machen. Deshalb sah es auch nichts von dem, was in der Manege passierte.

Am Rand der Manege stand eine Frau mit einem ganz hässlichen blauen Kleid, die etwas sagte und die Lippen seltsam verzog.

Irgendwann sprang der Direktor in die Manege, ein langer Mann mit Schnauzbart und weißem Puder im Gesicht. Am Anfang der Vorstellung hatte er alles noch ganz normal erklärt. Aber jetzt hatte er Angst, das sah man. Richtig dolle Angst, und auch das Mädchen mit der weißen Schleife erschrak, und ihr Nachbar, ein kleiner Junge in kurzen Samthosen: Der fing sogar an zu weinen. Der Direktor rief etwas Lustiges. Das Mädchen verstand jedoch sofort, dass er eigentlich nicht zu Späßen aufgelegt war.

Die Frau in dem hässlichen Kleid kletterte so ungeschickt über die Absperrung, dass ihr Kleid hochrutschte. Sie guckte in die Kästen der Zauberer, packte die beiden Künstler bei den Schultern, und schließlich verstand das Mädchen auch, was sie sagte: »Wo ist mein Kind? Wo ist Pawlik? Hört mit diesem Unfug auf! Mein Kind ist nierenkrank! Es darf nicht … Gebt mir sofort mein Kind zurück!«

Am Eingang zur Manege drängten sich inzwischen mehrere Frauen und ein verzweifelter großer Junge, der ältere Bruder von einem kleinen Kind. Alle rannten zum Direktor, der jedoch nicht mit ihnen redete, sondern hinter einem Samtvorhang verschwand.

Dann ging das Licht aus.

Jemand lachte, jemand klatschte, jemand pfiff. Der erschrockene Sitznachbar des Mädchens schrie los, seine Mama nahm ihn auf den Arm und schimpfte ganz laut, weil die Vorstellung so blöd war. Der Papa eines anderen Kindes, der gleich hinter dem Mädchen saß, lachte seinen kleinen Sohn aus und sagte, er soll keine Angst haben, und das nächste Mal würde man den Feigling gar nicht in den Zirkus reinlassen.

Plötzlich schrie in der Manege jemand. Dann schrien auch die Leute im Publikum, alle ganz verschieden. Auch das Mädchen wollte schreien, aber ihre Mama hielt sie fest umschlungen.

Das Licht ging an. Dann wieder aus. Dann wieder an, wobei es flackerte, wie wenn im Fernsehen ein Raumschiffunglück gezeigt wird.

In der Manege stand ein Käfig. Seine Tür war auf. Ein ge­streifter kleiner Tiger stand auf einem der beiden Zau­berkünstler. Seine Schnauze war rot. Neben ihm rannte die Frau herum, die die ganze Zeit nach Pawlik rief.

Dann kamen noch zwei Tiger. Und ein bildschöner Löwe. Das Mädchen hatte überhaupt keine Angst, doch kaum hatte sie ihre Mama angesehen, spürte sie, wie der Sitz unter ihr feucht wurde.

Als Nächstes sprang ein Mann mit einem Schlauch in die Mange, wie um Blumen zu gießen. Stattdessen bespritzte er aber den Tiger, der auf dem Zauberer stand. Der andere Tiger sprang den Mann an. In dem Moment hob der Direktor den Arm, und es knallte, erst einmal, dann noch einmal. Das Mädchen sah, wie der Direktor mit einer Pistole schoss, aber niemanden traf.

Schließlich rannten alle schnell zum Ausgang; jemand wurde eingequetscht.

Der Dompteur im roten Frack und Sporthosen lief in die Manege. Auch er fing an zu schießen.

In der Manege entstand eine Pfütze von dem Wasser aus dem zerschossenen Schlauch.

Als alle Leute losrannten, wurde das Mädchen von seiner Mutter getrennt.

Während das Mädchen in wilder Panik zwischen den fremden Leuten, die wie Blinde herumirrten, nach seiner Mama suchte, rempelte es einen Mann an, der sich gar nicht bewegte und ein ganz böses Gesicht machte. »Mama!«, schrie es.

Genau in dem Augenblick, als das Mädchen, sich an Tränen verschluckend, in der Menge verschwand, schien der Schleier in seinem Gedächtnis zu zerreißen. Er witterte sie.

Jeden, der ihm in die Quere kam, anrempelnd, raste er zum Bühnenausgang, und zwar auf schnellstem Weg, quer durch die Manege, in der es entsetzlich stank, Wasser aus dem Schlauch spritzte und die Reste der Kisten von den Zauberern rumlagen. So musste ein Hund losschießen, der eine Spur aufgenommen hatte, die schon fast kalt war und die er zu verlieren drohte.

Der Krankenwagen fuhr weg. Klawdi schrie einem Polizisten zu, er solle ihn aufhalten, doch der war so konfus, dass er den Befehl nicht verstand. Daraufhin zog Klawdi seine sonst völlig überflüssige Dienstpistole aus dem Schulterhalfter und schoss auf die Wagenräder. »Die Inquisition!«

Er hielt dem Polizisten die funkelnde Dienstmarke unter die Nase, schubste einen Gaffer aus dem Weg und jagte dem Krankenwagen nach, der die Fahrt angeschlagen fortsetzte. Noch bevor er die Türen aufgerissen hatte, nahm er die gierige Kampfbereitschaft einer Hexe wahr.

Neben dem Fahrer saß ein junger Mann mit breitkrempigem Hut und einer geblümten Seidenkrawatte. Klawdi riss die aneinandergelegten Arme in Richtung seiner zu Schlitzen verengten Augen hoch. Der Fahrer hickste dumm, der Verwundete auf der Trage stöhnte.

Der Beifahrer fasste sich an die Kehle. Sich windend, versuchte er dem Zugriff der Inquisition zu entkommen. Die bleichen Wangen nahmen eine grünliche Farbe an. Er verfügte über eine gewaltige Angriffslust, bei nur schwacher Verteidigung.

Der Mann zirpte schwach und ging ins Hohlkreuz. Sein Jackett klaffte an der Brust auseinander, das Seidenhemd spannte und zeichnete deutlich die Konturen von zwei kleinen festen Brüsten nach. Klawdi schlug noch einmal zu. Und noch einmal, wobei dieser letzte Schlag von purer Grausamkeit geprägt war. Die Hexe tauchte in die Bewusstlosigkeit ab.

Der Fahrer staunte mit offenem Mund — und plötzlich sah sich Klawdi in seinen Augen, wie er, eine Bestie, grundlos auf einen Menschen einschlug. Noch dazu eine Frau — denn der Mann mit dem breitkrempigen Hut war eine Frau, was jedoch als verzeihliche Sünde gelten durfte, die es nicht rechtfertigte, auf einen Krankenwagen zu schießen, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen, eine Frau zu quälen und bewusstlos zu schlagen!

»Die Inquisition der Stadt Wyshna«, erklärte Klawdi angeekelt.