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Ywha weinte sehnsüchtig. Das Warten zog sich quälend und überlang dahin.

Irgendwann brach sich Begeisterung in ihrem Innern Bahn, explosionsartig, wie eine Leuchtpatrone. Und Funken rieselten vor ihren Augen herab.

Das Mädchen im Ballsaal zitterte in Vorfreude. Gleich würde sie eine vertraute Stimme hören und, sich an ihrem Lachen verschluckend, dieser entgegenstürzen. Der kleine Junge schrie freudig auf, er würde gleich auf eine warme Brust voll wohlschmeckender Milch treffen. Der verzweifelte Teenager blinzelte; gleich würde er in der Ferne eine Fackel erblicken, die gelbe Lichter auf die ölige Oberfläche des Flusses warf.

Ywha riss sich frei, versuchte aus der Welt der verhörten Hexe herauszukriechen, doch die Vorfreude auf ein absolutes Glück, das in diesem Augenblick das Mädchen, den Jungen und den Teenager erfasste, raubte ihr jeden Willen. Absolutes Glück gibt es nicht, jedenfalls nicht außerhalb dieser Welt. Weshalb sollte sie also fortrennen, wenn sie doch bleiben konnte? Wenigstens einen Moment noch. Um abzuwarten.

So entspannte sie sich und war bereit, sich der Welt jener Hexe zu überlassen. Aber jemand, der die ganze Zeit außerhalb dieser Welt ausgeharrt hatte, riss sie abrupt in ihre eigene windgepeitschte Welt zurück.

»Ich habe versucht, mein Handwerk aufzugeben. Stets wusste ich, wie undankbar, grausam und schmutzig es ist. Indes, ich bin dafür geboren wie kein Zweiter. Letztlich muss jemand die Latrinen säubern, andernfalls ertrinkt die Welt in Unrat.

Seit einigen Tagen verfolgt mich der Geruch von Rauch, der Geruch eines Holzfeuers.

Ich brachte den Kauf eines Landguts zum Abschluss. Das wird mir Sorgen und Kosten eintragen, doch liegen dort eine Wiese und ein See, und, so Gott will, werde ich Karpfen züchten und Lilien pflanzen. Möglicherweise verlangt es mich schlicht nach Ruhe, ich möchte von Bienen umgeben sein, die über dem Blütenstand summen.

[…] Denn ich, und nur ich, habe mein Tun vor dem göttlichen Thron zu verantworten. Die Flüche meiner Herrinnen, der Hexen, setzen mir zu wie Grind, und mein Leid wird mir bald als Verdienst anerkannt, bald zur Last gelegt.«

Der Inquisitionspalast schien ausgestorben. Nur die Dämmerung gab es, die durch die hohen vergitterten Fenster sickerte, um fünf Uhr morgens. Der Fahrstuhl schlummerte in seinem Eisenkäfig, auf dem Geländer dieses ewig verrauchten Treppenhauses lag, sobald man einen Absatz erreichte, eine kleine weiße Schneewehe kalter Zigarettenasche.

Vermutlich kam Ywha sein Wunsch, zwischen zwei Etagen, im Halbdunkel der langen Wendeltreppe, innezuhalten, seltsam vor. Sie ließ sich ihre Verwunderung jedoch nicht anmerken. Und er wollte schlicht und ergreifend sein Büro nicht sehen. Weder das Vorzimmer noch den Referenten, weder seine Angestellten noch das Schild an der Tür.

»Geben Sie mir eine Zigarette«, flüsterte Ywha. Automatisch hielt er ihr die Schachtel hin, zog die Hand dann jedoch abrupt zurück. »Du rauchst doch gar nicht!«

»Jetzt schon«, sagte sie mit einem angedeuteten Grinsen. »Oder tut es Ihnen um Ihre Zigarette leid?«

»Ja.« Er steckte die Schachtel in die Tasche.

Ywha verzog das Gesicht. Die Grimasse verunstaltete sie. Es sah aus, als habe ein brutaler Fotograf vor die roten Haare ein fremdes, ziemlich unangenehmes Gesicht geklebt.

»Haben Sie Angst, das Rauchen schade meiner Gesundheit? Und ich wäre nicht mehr kräftig genug, um auf den Scheiterhaufen zu klettern?«

Er wartete auf eine Welle der Wut — die aber ausblieb. Nur Müdigkeit verspürte er. »Hör auf damit, Ywha«, bat er mit ungewöhnlich leiser Stimme. »Bring mich nicht auf die Palme. Wir sind doch … Kollegen.«

»Ach ja.« Der unangenehme Ausdruck wollte nicht aus ihrem Gesicht verschwinden. Sie sah nach unten, in den dunklen quadratischen Brunnen mit dem Fahrstuhlschacht in der Mitte.

Mit einem Mal fiel ihm alles wieder ein. Er wunderte sich über seine eigene Verbohrtheit — und darüber, wie sehr sich die Umstände geändert hatten. Das, was noch vorgestern wichtig erschienen war, war seinem Gedächtnis heute einfach entfallen.

»Tut mir leid, ich habe vergessen, dich zu fragen, was jetzt aus Nasar und dir wird.«

Die Antwort hätte er sich im Grunde auch selbst geben können. Finster fegte er die Asche vom Geländer und beobachtete, wie die grauen Partikel nach unten segelten.

Nun glänzte das Treppengeländer aschefrei. Es vergingen etwa fünf Minuten, bevor Ywha den Kopf hob. »Wie viele haben Sie schon auf den Scheiterhaufen geschickt, Klawdi?«

»Es gibt keine Scheiterhaufen mehr«, presste Klawdi heraus. »In den letzten hundert Jahren wird die Strafe … auf andere Weise vollzogen. Scheiterhaufen, das ist doch nur so dahingesagt.«

»Und wie wird die Strafe vollzogen?«

»Warum interessiert dich das? Auf sehr humane Art! Verflucht, Ywha, was willst du von mir?«

»›Ich habe versucht, mein Handwerk aufzugeben. Stets wusste ich, wie undankbar, grausam und schmutzig es ist. Indes, ich bin dafür geboren wie kein Zweiter. Letztlich muss jemand die Latrinen säubern, andernfalls ertrinkt die Welt in Unrat.‹«

An ihm vorbeiblickend zitierte sie den Passus in monotoner und leidenschaftsloser Weise. Nur einmal zitterte ihre Stimme, bei dem Wort »ertrinkt«.

»Du brauchst mir nicht um den Bart zu gehen. Von Atryk Ol trennen mich Welten.«

»Warum das?«, fragte sie ehrlich erstaunt. »Weil er von seinen Herrinnen verbrannt wurde?«

»Nein, nicht deshalb. Der Preis für sein Leben war das Leben der Mutterhexe. Verbrennen können sie mich auch, dabei ist gar nichts weiter …«

Endlich verkroch sich der ekelhafte Ausdruck aus ihrem Gesicht. Zum ersten Mal seit geraumer Zeit blickte sie ihm direkt in die Augen. »Sie sollten das nicht sagen.«

Er zuckte die Achseln — wenn du meinst.

Unten, dort, wo die Treppe endete, quietschte laut eine Tür. Eine magere Frau mit Eimer und Wischlappen erschien. Als sie sich wie gewohnt an die Arbeit machte, zuckte sie plötzlich zusammen und richtete den Blick auf die beiden, die hoch oben auf einem Treppenabsatz standen. Ist das der Großinquisitor?, staunte sie. Sie wollte ihren Augen nicht trauen.

»Am liebsten würde ich den Kopf in den Sand stecken«, gestand Klawdi leise. »Aber ich muss der Mutterhexe gegenübertreten … genau wie Atryk Ol. Im Unterschied zu ihm bin ich mir jedoch überhaupt nicht sicher, ob ich kurzen Prozess mit ihr machen kann.«

Die Putzfrau arbeitete sich, Stufe um Stufe sorgfältig wischend, nach oben vor.

»Atryk Ol war sich auch nicht sicher«, erwiderte Ywha kaum hörbar.

Plötzlich empfand Klawdi Dankbarkeit. Vielleicht für diese Worte. Vielleicht erkannte er auch erst jetzt, im Nachhinein, welches Opfer sie ihm gebracht hatte; die Arbeit der vergangenen Nacht war gefährlich und schmerzvoll gewesen, und am Vorabend hatte seine Kollegin offenbar eine schwere persönliche Krise durchlebt.

»Willst du mir etwas … von Nasar erzählen, Ywha?«

Sie senkte den Kopf. Die herabfallenden roten Haare verbargen ihr Gesicht.

»Ich möchte mich waschen«, erklärte sie statt einer Antwort. »Von mir abwaschen, was …«

Er verstand sie, noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte. Und er bemerkte, er selbst wolle das ebenfalls. Sich diese Nacht abwaschen. Sich die Ereignisse des letzten Monats von der Pelle schrubben. Das brennende Theater vergessen, das Straßenbahnunglück und das Blutbad im Zirkus — und sei es auch nur für ein paar Stunden. Nicht mehr an Fedoras Hundeaugen denken, die eisige Stimme des Herzogs und den Schatten der Mutterhexe, der langsam auf Wyshna und die Welt zukroch. Vielleicht war es Atryk Ol ähnlich ergangen, als er das Landgut gekauft hatte und sich wünschte, Lilien zu pflanzen.