»Weißt du was, Klaw … Warum heiraten wir nicht? Schon morgen könnten wir uns trauen lassen. Was meinst du, Klaw, was das für ein Spaß wäre!«
»Morgen«, erwiderte er mit lehrerhaft erhobenem Finger, »habe ich eine Prüfung. In Weltgeschichte.«
»Und übermorgen bin ich dran«, meinte Djunka enttäuscht. »Wann wollen wir dann heiraten? Na, sag schon!«
Verstört bemerkte Klaw, dass er nicht wusste, ob sich Djunka einen Scherz erlaubte oder nicht. Oder scherzte sie nur zum Teil? Vielleicht zu sechzig Prozent?
Er schüttelte den Kopf. Diese dämlichen Prüfungen raubten ihm noch den Verstand. Selbst die simpelsten Gedanken rechnete er bereits in Prozent um.
»Und dann gehen wir auf Hochzeitsreise«, sagte Djunka verträumt. »Fahren ins Ausland, in ferne Länder, ans Meer, zu den alten Schlössern …«
Das in dem Reifen eingeschlossene Wasser plätscherte leise. Durch das so entstandene runde, schwarze Fenster glaubte Klaw bis zum Grund, bis auf jenes grüne Geflecht mit den kahlen Stellen aus hellem Sand hinunterspähen zu können. Djunkas lange Beine blitzten hier und da auf, weiß wie eine Süßkirsche.
»Hey, das ist ja ein echtes Bullauge«, begeisterte er sich. Djunka lächelte.
Im nächsten Augenblick tauchte sie unter. Wie eine Seeschlange glitt sie durchs Wasser. Ihre Beine verschwanden aus dem Blickfeld des runden Fensterchens, und der Reifen schwankte. Plötzlich sah Klaw Djunkas Gesicht.
Unter Wasser schaute sie ihn durch das Bullauge an. Klaw verschlug es den Atem. Die Unterwasser-Djunka lächelte ihm mit geschlossenem Mund zu, als sei sie ein Bild in einem alten Rahmen und betrachte ihn aus der Tiefe eines Spiegels heraus. Wie schaffte sie es nur, die Luft derart lange anzuhalten?
Das Schilf knackte. So wie sich ein Eisbrecher seinen Weg durchs Eis bahnte, pflügte der Autoreifen die Rohre nieder. Das Geräusch weckte den Angler.
Djunkas Lippen waren fischkalt. Zu lange war sie unter Wasser geblieben. Klaw dagegen schien sich den weißen Rücken verbrannt zu haben. Morgen, bei der Prüfung, würde ihn sicher ein Fieber schütteln. Egal.
Er hatte beschlossen, nicht mehr mit ihr über die Heirat zu sprechen. Für ihn war die Sache klar, aber diese Entscheidung sollte vorerst ruhig noch sein Geheimnis bleiben. Sonst würde sie vermutlich an nichts anderes mehr denken können und durch ihre Prüfung rasseln. Außerdem würde sie ihm die ganze Zeit mit der Genehmigung für die Hochzeit in den Ohren liegen. Aus irgendeinem Grund hielt man eine Siebzehnjährige für reif genug, diesen Schritt zu tun, während ein junger Mann, der ein Jahr weniger auf dem Buckel hatte … Egal. Er fühlte sich nicht mehr wie ein Teenager. Seit Langem hielt er sich in jeder Hinsicht für einen erwachsenen Mann.
Die drei am Strand machten sich allmählich Sorgen, natürlich ausschließlich um ihren Schlauch. Klaw rechnete schon mit Vorwürfen, aber ein Lächeln von Djunka genügte, um ihn jede Schimpftirade ertragen zu lassen. Die Weiden raschelten, der Wind hatte den Sand in die Sandalen geweht, die unter einem Strauch lagen.
»Wie schön es hier ist«, flüsterte Djunka. »So schön, dass es fast ein bisschen schrecklich ist. Oder nicht, Klaw?«
(Seine Intuition schwieg nach wie vor.)
»Du bist mir eine! Normalerweise bekommen es die Menschen mit der Angst zu tun, wenn etwas nicht schön ist.«
»Übermorgen findet meine Prüfung statt, und ich habe noch keinen blassen Schimmer von …«
»Meine ist morgen. Und mir geht es so ähnlich.«
»Lüg mich nicht an. Du weißt immer alles.«
»Du bist eine Süßholzrasplerin. Eine Schmeichelzunge …«
»Nenn mich nicht so!«
»Doch! Du schmierst mir Honig ums Maul, drischst Komplimente … Ich habe bisher keinen einzigen Blick ins Lehrbuch geworfen.«
»Hindert dich vielleicht jemand, es zu lesen?«
»Du!«
Kreischend sprangen ein paar nackte, braun gebrannte Jungen im Wasser herum. Der heiße Wind trieb den Sand auf die vergilbten Seiten des alten Lehrbuchs, das von Verrat und Kriegen berichtete. Djunka langweilte sich.
»Hör mal, Klaw, ich schwimme noch eine Runde, während du lernst.«
»Ist es nicht zu kalt?«
»Pah!«
Er sah ihr nach, wie sie zum Wasser hinunterging. In der Sonne funkelte der schlangenfarbene Badeanzug, die träge Flusswelle wich zur Seite, um dem geschmeidigen Körper Platz zu machen.
Ihm standen noch drei lange Kapitel bevor, Arbeit für eine Stunde.
Erst als der Schatten der kleinen Weide an sein Buch herankroch, tauchte er wieder aus seiner Lektüre auf. Beinahe schlaftrunken schüttelte er den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. Richtig festgelesen hatte er sich, noch dazu in dieser Hitze.
Der Strand hatte sich inzwischen geleert. Die Jungs waren verschwunden, die Datschenbesucher wollten gerade nach Hause zurückkehren, der Angler marschierte mit einigen kleinen Brassen in einem Drahtnetz vorbei. Auf den Sohlen von Djunkas Sandalen häufte sich Sand. Wie Scherben in alten Amphoren …
Die drei, die ihnen das Schlauchboot geliehen hatten, pressten gerade konzentriert die Luft aus diesem heraus, indem sie sich nacheinander auf das immer schmaler werdende schwarze Gebilde legten.
Die Schmerzen in den verspannten Muskeln ignorierend, erhob sich Klaw.
Der Sand hatte die Farbe gewechselt. Das Wasser ebenfalls. Am anderen Ufer spielten ein paar Leute zwischen den Kiefern Volleyball.
Verärgert biss sich Klaw auf die Lippe. Wie zu erwarten, war Djunka zum anderen Ufer geschwommen, nachdem sie ihren schwächlichen Freund in Gesellschaft seines Lehrbuchs zurückgelassen hatte. Und es wäre ja in der Tat seltsam gewesen, wenn der Anblick der Volleyballspieler sie nicht angelockt hätte. Schon die ihr eigene übermäßige Geselligkeit musste sie zu ihnen getrieben haben.
Er schlenderte zum Wasser hinunter. Die Augen mit der Hand abschirmend, schaute er zu den Volleyballern hinüber. Ein oder zwei Mal glaubte er, einen schlangenfarbenen Badeanzug dazwischen auszumachen. Aber die Spieler, darunter auch ein paar junge Frauen, trugen Jeans und T-Shirt, einzig eine magere Frau in mittleren Jahren sprang im Bikini herum.
Klaw wurde wütend. Er kehrte zur Strandmatte zurück, hockte sich hin und schnappte sich sein Buch. Das Lesen wollte ihm jedoch nicht glücken.
»Lass dich nicht unterkriegen.«
Neben ihm stand ein junger Mann, einer der Besitzer des Autoreifens. Seine Freunde beluden in aller Ruhe ihre Motorräder.
»Lass dich nicht unterkriegen. Du weißt doch, wie die Frauen sind. Wenn du einmal nicht nach ihrer Pfeife tanzt, spielen sie prompt die beleidigte Leberwurst.«
»Aber wir haben uns gar nicht gestritten«, bemerkte Klaw, selbst verblüfft darüber, dass er sich überhaupt auf ein Gespräch mit diesem aufdringlichen Kerl einließ.
»Eine Klassefrau«, erklärte der Typ völlig aufrichtig und ohne jede Geringschätzung. »Meine Freundin ist auch nicht schlecht, aber deine … echt stark …«
Zehn Minuten später heulten die Motorräder auf. Die noch anwesenden Datschenbesucher blickten ihnen verdrossen nach. Klaw tigerte am Wasser auf und ab.
Warum tat sie ihm das an? Wusste sie denn nicht, was für Sorgen er sich machte? Jetzt war es schon bald sieben Uhr. Ausgerechnet heute Morgen war er versehentlich auf seine Uhr getreten, die seitdem stand.
Die prätentiösen Zeilen ließen ein beklommenes Gefühl in ihm aufsteigen. Er konnte sich nicht erinnern, wo er sie überhaupt gelesen hatte. In einer Zeitschrift? In einem Buch? Oder hatte Djunka sie ihm vorgetragen? Sie hatte diese Angewohnheit, mit geheimnisvoller Miene Vierzeiler vorzulesen und mit großen Augen auf Klaws Reaktion zu lauern.