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»Das glaube ich nicht«, antwortete Klawdi leise. »Es dür­f­te ihm wohl eher gelungen sein, ihre Nervenzentren auf­zuspüren. Und einen zielgenauen Schlag zu landen. Mit Hilfe des archaischen Verstärkerfluchs beispielsweise.«

»Zielgenau«, meinte der Herzog nachdenklich.

»Wie bitte?«

»Ein zielgenauer Schlag. Dieser Verstärkerfluch ist ja schön und gut. Aber seit jener Zeit sind vierhundert Jahre vergangen.«

Eine Unruhe durchzog Klawdi. Die Angst, die in der Seele des Herzogs nistete, hatte nicht abgenommen, ließ sich jetzt jedoch klarer definieren. Und der Herzog schämte sich ihrer nicht. Er blickte an Klawdi vorbei, starrte auf das Geständniszeichen.

»Ich bin nicht panisch, Starsh. Sie sollten meine Worte nicht für das Gejammer eines Kerls nehmen, der in Panik gerät. Wie Sie wissen, bin ich auch der Oberbefehlshaber … Einer modernen Armee stehen wirksamere Mittel zur Verfügung als ein Ritualdolch. Deshalb händige ich Ihnen … Er sieht wie ein Telefonhörer aus. Den Zugang erhalten Sie über Ihren Fingerabdruck in Kombination mit dem Code. Danach müssen Sie nur noch die Koordinaten eingeben. Und die Zeit. Finden Sie Ihre Mutterhexe, und zwar so schnell wie möglich, bevor unsere verzweifelten Nachbarn anfangen, uns mit Bomben zu überziehen. Sehen Sie zu, sich selbst möglichst fern der Schusslinie zu halten. Es wäre schön, wenn es an einem unbewohnten Fleckchen geschähe … das versteht sich von selbst.«

»Ich verstehe gar nichts«, bekannte Klawdi zögernd.

»Sie verstehen sehr wohl«, widersprach der Herzog mit gequältem Lächeln. »Womöglich kommt das für Sie einer Beleidigung gleich, aber die Inquisition ist in unserer Welt eben nicht die stärkste Kraft, Klaw. Gegenwärtig haben wir nichts Besseres an der Hand als Raketen mit netten kleinen Sprengköpfen. Geben Sie die Koordinaten durch. Dann wird es zu der von Ihnen festgesetzten Zeit eine zielgenaue Atomexplosion geben. Im äußersten Notfall natürlich nur, das versteht sich, wie gesagt, von selbst. Versuchen Sie es vorher ruhig mit Ihren Dolchen und Verstärkerflüchen.«

Klawdi sagte kein Wort.

»Vielleicht kommt es Ihnen merkwürdig vor«, vermutete der Herzog mit zuckender Wange, »dass ich Ihnen derart vertraue?«

Aus irgendeinem Grund fiel Klawdi Helena Torka ein. Das brennende Theater, und dann ihre Worte: »Klawdi, Sie sind ein guter Mensch.«

»Eure Durchlaucht können versichert sein, dass ich Ihr Vertrauen rechtfertigen werde«, sagte er tonlos. »Genau wie wir wohl auf derart drastische Maßnahmen werden verzichten können. Ich nehme … Ihr Angebot an, jedoch nicht, um davon auch Gebrauch zu machen.«

Nach einer kurzen Irritation nickte der Herzog unsicher.

Offenbar löste sich der dunkle Klumpen der Angst, die ihn zu diesem Gespräch veranlasst hatte, erst jetzt auf.

»Liefern Sie mich am Ende also doch aus?«

»Ywha, du kommst weder ins Gefängnis noch unter Arrest. Nicht eine einzige Wyshnaer Hexe genießt momentan das Recht der Freiheit! Versteh mich doch!«

Obwohl sie kein Wort sagte, sprach ihr Blick Bände.

Klawdi hätte viel dafür gegeben, hätte er ihnen beiden diese Szene ersparen können, doch er durfte das Ganze nicht weiter hinauszögern. Wenn er wollte, dass man seine Befehle ernst nahm, musste er selbst mit gutem — wenn auch vielleicht nicht gerade mit mustergültigem — Beispiel vorangehen. Darüber hinaus hatte der Besuch des Herzogs einmal mehr die Gültigkeit einer alten Regel unter Beweis gestellt: Wenn du nicht willst, dass dir die Dienerschaft in den eigenen vier Wänden nachspioniert, tritt dir die Schuhe vor der Tür ab.

Ywha konnte nicht länger in seiner inoffiziellen Wohnung leben, aber er wollte sie auch nicht ins Gefängnis stecken, weshalb er der Ordnung halber einen Aufenthaltsraum der Wärter im Zellentrakt beschlagnahmt hatte. Die Wärter hatten das zwar nicht gerade mit Freude aufgenommen, doch der Raum strahlte sogar eine gewisse Behaglichkeit aus, zudem gab es darin alles, was zum Leben nötig war, darunter auch den staatlichen Schutz, an den Klawdi vorbehaltlos glaubte.

Als er Ywha als prophylaktisch Festgenommene in den Akten vermerkte, verspürte Klawdi keinerlei Erleichterung — immerhin hatte er sein professionelles Gewissen doch von einer gewissen Ungereimtheit befreit –, sondern nur blinde Wut und brennende Scham. Und ein Schuldgefühl, denn bereits als er die Verfügung unterschrieben hatte, war ihm klar gewesen, wie sich das Gespräch mit Ywha gestalten würde. Schon damals hatte er vor seinem inneren Auge Ywhas Gesicht gesehen, auf dem ein tödlich beleidigter Ausdruck lag, während die tränenlosen Augen wütend funkelten und die roten Locken wie Flammen züngelten.

»Ywha«, sagte er so sanft wie möglich, »wenn diese verrückten Zeiten vorbei sind — und das werden sie irgendwann sein –, mieten wir dir eine Wohnung. Mit Blick zum Fluss. Du wirst das Leben führen, das dir gefällt. Und nur du allein wirst einen Schlüssel haben. Wenn du möchtest, können wir über der Tür sogar ein Schild anbringen, auf dem steht: Hier wohnt eine absolut freie Hexe. Aber jetzt geht das noch nicht. Wir müssen den Schein wahren, damit niemand einen Grund hat nachzufragen, warum ausgerechnet diese Hexe noch in Freiheit ist.«

»Da haben Sie also meinetwegen Schwierigkeiten«, sagte sie und lachte kurz. »Gerüchte, Intrigen, Unzufriedenheit. Und ich habe geglaubt, wenn einer immun gegen derartiges Gerede ist, dann Sie.«

Er unterdrückte die überraschend in ihm aufsteigende Wut. Lachend versuchte er, ihre Kritik abzutun. »Soll ich dir beim Packen helfen?«

»Das dauert sowieso nicht lange«, erklärte sie, seinem Blick ausweichend. »Das geht schon mein ganzes Leben so. Socken und Schlüpfer in die Tasche, die Jeans und die Jacke an, ein Paar Turnschuhe, dann eine Fahrkarte für den Zug — und schon bin ich weg. Diesmal sorgen Sie halt fürs Ticket.«

»Es wäre schön, wenn du nicht allzu wütend auf einen Menschen wärest, der deinetwegen … Gut, ich sag ja schon gar nichts mehr.«

»Warum denn nicht?« Sie riss den Kopf hoch, worauf das rote Feuer ihrer funkelnden Haare greller aufloderte. »Schießen Sie ruhig los! Das gibt einen schönen Monolog für eine Daily Soap. Was habe ich nicht alles für sie getan?! Und womit gibt sie es mir zurück? Mit furchtbarer Undankbarkeit!‹«

Seufzend wandte er sich zur Tür, als wolle er gehen. Sie erreichte ihn, als er bereits in der Füllung stand, und umarmte ihn spontan — und zwar so fest und überraschend, dass er erstarrte.

»Klawdi … ich fürchte mich. Lassen Sie mich bitte nicht allein. Sie sind der einzige Mensch, dem … ich halbwegs vertrauen kann … Nehmen Sie mich heute Abend mit zu sich. Wie man ein Kind mit nach Hause nimmt, damit es morgen lustiger ist, wenn es ins Heim kommt. Nur einmal. Aus Mitleid. Ja, Klawdi?«

Er bedeckte ihre Hände, die auf seinen Schultern ruhten, mit den seinen.

Wie kamen die Spione Seiner Durchlaucht darauf, der Großinquisitor sei in »wahnsinniger Liebe« zu seinem Schützling entbrannt? Stand dahinter das typische Denkschema? Wenn sich ein Mann, in fortgeschrittenen Jahren und mit einiger Macht ausgestattet, um eine schöne junge Frau kümmert, dann kann das nur eins bedeuten …

Das Füchslein aus seiner Kindheit fiel ihm wieder ein. Der unglückliche Gefangene hinter dem Metallgitter, das freiheitsliebende Wesen, das im Gefängnis und für das Gefängnis geboren worden war.