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1 ERSTER TEIL.
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^ 1914.
Petersburg, den 15. (28.) August.
Offen und etirlicti gestanden, als wäre icti hier im Beichtstutil, ist es mir bis heute noch nicht klar geworden, weshalb ich damals so furchtbar erschrocken bin.
Freilich, Krieg ist Krieg, man freut sich dessen natürlich nicht, klatscht ihm nicht Beifall, aber es ist doch eine einfache und schon dagewesene Sache ... Ist denn der iapa-nische Krieg schon so lange her? Und jetzt, da die blutigen Schlachten bereits begonnen haben, empfinde ich diese eigenartige Furcht nicht, lebe wie vorher, versehe meinen Dienst, mache Besuche, ja gehe sogar ins Theater und in den Kinematograph, kann im allgemeinen keinerlei Veränderung in meinem Leben beobachten. Wäre nicht der Bruder meiner Frau, Pawluscha, im Kriege, so könnte man zeit-
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weilig vollkommen alle diese entsetzlichen Begebenheiten vergessen.
Es lässt sich nicht leugnen, dass in der Seele eine starke Unruhe, ein Beben ist . . . ich weiss nicht recht, wie ich es nennen soll, richtiger vielleicht eine nagende Qual, die sich besonders am Frühmorgen bemerkbar macht. Wie kann man die Zeitungen lesen (ausser auf die «Kopeke» bin ich jetzt noch auf zwei grosse Zeitungen abonniert), wie sich erinnern, was dort geschieht, vor allem dieser unglücklichen Belgier, der Kinderchen, der zerstörten Häuser, der Unseligen, die wie mit einem Mal von allem entblösst, ins eisige Wasser versenkt, nackt in den Frost hinausgejagt worden sind. Aber auch hier ist keine Furcht, einzig nur das Gefühl menschlichen Bedauerns und Mitleidens für die Unglücklichen.
Aber wie ich damals crschrack, bis zur Lächerlichkeit, das ist nicht nur zum Erzählen, sondern selbst als blosse Erinnerung beschämend. Man bedenke nur, am 20. Juli (2. August) zahlte ich d r e i s s i g Rubel für ein schmutziges Lastfuhrwerk, um von Schuwalow aus, der Sommerfrische, die Stadt zu erreichen, und nach etwa fünf Tagen fuhr ich mit meiner ganzen Familie nach der Datsche zurück und lebte dort in aller Seelenruhe bis zum 12. Aug. Beschämend ist es zu denken, was
damals mit uns vorging! Meine Frau, ungewaschen, ungekämmt, verstört, wie eine Verrückte aussehend, die Kinder in dem Fuhrwerk durcheinandergerüttelt, und ich, ein Familienvater, nebenher marschierend, mit dem Gefühl, als ob hinter meinem Rücken der Weltuntergang begönne und es notwendig sei zu fliehen, zu fliehen, ohne sich umzusehen, unaufhörlich zu fliehen . . . nicht nur bis Petersburg, nein, bis an die unbekannteste Grenze der Erde.
In allen Läden, an denen wir vorbeifuhren, wurde Brot verkauft, so viel man nur haben wollte, und ich hatte mir irgend eine vermaledeite, trockene Brotrinde in die Tasche ge-stecktl Auf alle Fälle! Umsicht und Berechnung, o Gott!
Das Wetter war wundervoll, aber wir glaubten nicht daran, es schien uns, als ströme der Regen wie zur Zeit der Sündflut, als fiele plötzlich Schnee und peitschte Hagel hernieder — im Juli) und würden wir alle, so sehr wir auch die Pferde antrieben, auf halbem Wege umkommen. Ich entsinne mich noch eines beschämenden Umstandes: ich pflückte einige blaue Blümchen vom Wegrand, Glockenblumen, und gab sie meinem Töchterchen Lidotschka, scherzte dabei mit ihr; dies ist ja nichts, ist etv/as ganz Natürliches, weil ich meine Kinder und besonders Lidotschka sehr liebe . . . aber was dachte ich mir, wäh-
rcnd ich scherzte? Ich dachte: «Nun, bis jetzt habe ich den Kopf noch nicht verloren, kann mich vollkommen beherrschen, nicht wie die anderen: sogar Blumen pflücke ich, scherze, ermutige Frau und Kinder!»
«Welch gewaltiger Held bin ich!»
Und wie war es erst, als wir gegen Abend unsere Wohnung erreicht hatten; ein Osterfestl Aufrichtiges Entzücken, Seligkeit und Frohlocken! Und als dann die Kerzen brannten (das elektrische Licht war noch von der Zeit unserer Abwesenheit her abgestellt) und die ganze Familie um den Samowar herumsass!
Aber das Erstaunlichste ist, dass ich mich nicht genau erinnern kann, wann diese dumme Angst mich ergriff und wie es kam, dass wir fünf Tage später als seelenruhige Sommerfrischler zurückfuhren, und vor allem, dass wir uns nicht schämten. Ich nehme an, dass der grösste Teil der Waggoninsassen eben solche Helden waren wie wir, aber wie sahen wir einer den andern an? Ich entsinne mich dessen nicht, wie sie blickten, nur dass sie zurückreisten, — alle Helden! ja, sie erzählten einander noch, wie viel jeder Dummkopf für ein Fuhrwerk verlangt und erhalten habe, all dies ohne die geringste Verlegenheit.
Natürlich hatte mich auch das stumme Entsetzen meiner Frau Alexandra jewgenewna in hohem Masse beeinflusst, und damit erkläre ich
jetzt allen Bekannten unsere damalige «Flucht nach Aegypten»; meinem Gewissen aber genügt diese Erklärung nicht. Wäre ich von Natur aus ein Feigling, ein Weib — dann wäre alles verständlich und mein Gewissen würde mich nicht beunruhigen . . . Was für Gewissen haben denn eigentlich Feiglinge; nichts ist für sie beschämend! Aber ich bin von Geburt kein Feigling, eher ein mutiger Mensch, kann immer für mich einstehen; und damals hatte mich eine solche Geisterverwirrung überwältigt. Es war, als hätte ein Krampf mein Gehirn erfasst und das reine Licht der Vernunft getrübt. Wenn ich zurückblicke, wie ich da auf der Chaussee marschierend, mutig Blümchen pflückte, ein rechter Dummkopf, Feigling und Schurke; und ich hielt mich allen Ernstes für weise, dass ich ein Fuhrwerk beschafft, die Kinder rettete, in der Tasche eine Brotrinde mittrug . . . nicht wie irgend einer, aber wie ein vorsorglicher Mensch!
Wozu all dies?
Jetzt erkläre ich es mir so: mir wie allen anderen brachte dieser Tag eine Art übernatürlicher Vision, die aber nur erstaunlich, fremd und aussergewöhnlich war und mit dem Kriege keinerlei Aehnlichkeit hatte, ein Traum in der Wirklichkeit, wie der Beginn des Weltunterganges, das Ende der Erde, die Vernichtung alles Lebenden. Als ob irgendwo der
Donner grolle, die Erde auseinander spalte, einen Abgrund aufreissend, vor dem man fliehen und sich retten müsse.
An eines entsinne ich mich noch vollkommen: dass ich die Deutschen selbst mitsamt ihrem Kaiser gar nicht fürchtete, ia ihrer sogar vollkommen vergass; wie hätten auch die Deutschen in einem Tage nach Schuwalow fliegen können — ieder Dummkopf verstand, dass dies unmöglich und schon der blosse Gedanke daran töricht sei.
Ja, und wer sind denn diese Deutschen? Schliesslich sind sie Menschen genau wie wir und fürchten uns wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger als wir sie. Man kann sagen, dass die Sache auf Gegenseitigkeit beruhe . .. Aber iagten uns hier nicht wilde, vorsündflut-liche Tiere auf den Fersen nach, die Erde mit ihren Tatzen zertrampelnd? nein, es gibt keine wilden Tiere! Was ist so ein wildes Tier? Was für ein wildes Tier? Wer fürchtet sie heute? Lächerlich, der Grund lag darin, dass das Gehirn von einem Krampf erfasst ward, der das Licht der Vernunft verdunkelte, das Unterste zu oberst kehrte, mir die Empfindung gab, als ginge ich nicht auf den Füsen, sondern auf den Händen, wie ein AkrobaL
Dann erinnere ich mich noch, wie es mich wunderte,dass auf derChaussee alles wie sonst und in keiner Weise auffallend war. Es kam
mir zum Beispiel ein Mensch entgegen, ich beobachtete, wie er beim Gehen seine Füsse setzte und wunderte mich: sieh' nur, der geht! Oder eine Henne hüpfte über den Weg, oder ein Kater sass im Gebüsch, merkwürdig, ein Kater! Oder ich begrüsste die Verkäuferin in der Bude und sie antwortete mir: «Guten Tag», und nicht irgendweich unverständliche Worte, wie «bala — bala».
Als ich in der Stadt die Strassen sah, staunte ich abermals, als hätte ich zweihunderttausend Rubel gewonnen, der Polizist (ich kannte ihn sogar) stand an der Sirassenecke, und wieder erbebte ich vor Verwunderung und Freude, als müsste durch die Worte Wilhelms: «der Krieg ist erklärt» all dies in die Unterwelt gestürzt worden sein, der Kater, die Strassen, der Polizeimann; und selbst die Sprache der Menschen hätte sich in ein tierisches Brüllen oder ein unverständliches Stammeln verwandeln müssen. Welch wüste Dinge sich ein Mensch doch vorstellen kann, wennn er sich fürchtet.