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Montag, den 22. Dezember (4. Januar). Pawluscha ist gefallen. Mein Gottl

Nachts. Pawluscha, Du mein Pawluschenkal Mein unersetzlicher kleiner Junge, mein geliebtes Brüderchen! Wir waren uns fremd, zu wenig zärtlich war ich Dir, ich habe ja nicht gewusst, dass Du sterben wirst, ich bekenne mich schuldig und weine jetzt darüber bittere Tränen. Wo sind nun Deine sanften Augen, Dein unentschlossenes Lächeln, Dein Schnurrbärt-chen.über das wir alle immer lachten? Getötet, ich kann es nicht fassen, was das heisst. Getötet!

Du mein Täubchen, mein Freund! Mein Verteidiger! Nun liegst Du unter der Erde und hörst mich nichL Du schriebst, dass Dich friere . . . könnte ich Dich in meine Arme nehmen. Dich fest an mich drücken, Deinen

ganzen Körper erwärmen, Dir all meine Wärme geben. Du mein kleiner Junge, mein einziger! Und Du wirst nicht wissen, wie dieser Krieg, der Dich so interessierte, endigt . . . Pawluschal Pawluschenka.

Ö4

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1915.

5. (18.) Januar. Von Pawluschas Tod wurde ich durch seinen Kameraden, den FreiwiUigen Petrow, benachrichtigt. Anscheinend ängstigte sich Pawluscha, seiner Mutter und Saschenka eine Trauerkunde unvermittelt zukommen zu lassen, und hatte schon vor längerer Zeit seinem Kameraden meine Kontoradresse gegeben, damit ich es sei, der seinen nahen Anverwandten die entsetzliche Nachricht überbringe. Niemals werde ich den furchtbaren Augenblick vergessen, als ich das von fremder Hand adressierte Feldpostkuvert öffnete und sofort ein Unglück ahnend, die kurzen Zeüen las. Dies geschah im Kontor und alle bemitleideten mich, aber was half mir ihr Mitleid? ... Ich wollte mich sofort nach Hause begeben, gefoltert von dem Gedanken, wie ich es Saschenka und Mütterchen mitteilen solle.

Aber schon auf dem Wege ins Lazarett, wo sich Saschenka befand, kehrte ich um und rannte zwei Stunden lang sinnlos durch die Strassen, trat sogar ins Kaffee Filischow ein. Ich entsinne mich nicht, ob an diesem Tag so viel Schnee gefallen war, aber alles erschien mir ungewöhnlich, fast unnatürlich weiss; fremd und seltsam war es, die Leute und die Trambahnen anzusehen, und als die Glocken der Trams ertönten, ging mir dieser Klang schmerzhaft durchs Gehirn. Alle Menschen schwiegen, nur eine Tramglocke läutete und läutete wie verrückt. Damals konnte ich nicht weinen, der Gedanke an Saschenka und Mütterchen Hess meine Tränen versiegen.

Doch wozu dies schildern, es ist doch alles so begreiflich) Nur eines will ich sagen: lieber die Todesstrafe, lieber jegliche Folter erleiden, als einer Mutter als Erster sagen, dass ihr Sohn gefallen ist, tot ist. Käme ich noch einmal in diese Lage, ich würde eher Hand an mich selbst legen, als noch einmal solche Worte aussprechen, in Augen sehen, die noch ahnungslos, voller Fragen und Vertrauen auf mich blicken. Und wie traurig sie auch jetzt sind, wie weh es mir tut, allabendlich die Gespräche über den geliebten Pawluscha anhören zu müssen, ich kann mich nicht erwehren, froh zu sein, dass dies schon alles hinter uns liegt, dass es sich nicht mehr wiederholen

kann. Und weiss doch nicht, ob es nicht leichter wäre, selbst zu sterben, als dies Leid mitansehen zu müssen.

Naiürlich sind wir nicht nach Finnland gefahren. Saschenka hat ihr Lazarett im Stich gelassen und verbringt, den eigenen Kummer bekämpfend, die ganze Zeit mit Inna Ivanowna. Und was ist über die alte Frau zu sagen? Sie ist nicht gestorben, aber sie lebt auch nicht mehr. Ich begreife sie nicht. Genau zwei Stunden weint sie für sich in irgend einem Winkel, dann geht sie mit Saschenka die Seelenmesse anhören, irrt ziel- und sinnlos in der Wohnung umher, beginnt mit einem Mal Staub zu wischen, wo nie Staub gelegen, bringt mir wie immer den Kaffee ohne Zucker. Gestern war sie plötzlich verschwunden. Eine halbe Stunde lang suchten wir sie vergebens; was sie sich dachte, wissen wir nicht, aber es scheint, dass sie sich ins Waterklosett eingeschlossen hatte und die Tür nicht mehr zu öffnen vermochte. Wir riefen sie, schrien nach ihr — aber sie gab keine Antwort; erst als wir fast die Tür einrannten, erhob sie ihre Stimme. Aber wie immer wir ihr auch durch die Tür erklärten, wie sie dieselbe zu öffnen habe, gelang ihr dies doch nicht. Man musste ins Kontor gehen und den Schlosser herbeirufen. Saschenka machte ihr Vorwürfe: «Du hättest

doch rufen sollen, Mama, wir haben uns nach Dir heiser geschrien!» —

Die alie Frau schwieg, dann begann sie zu weinen. Noch jetzt schämt sie sich, wenn Lidotschka oder das Kindermädchen sie dorthin begleiten und man kann sie doch nicht allein lassen.

Und das nennt man — Feiertage, Weihnachten! Es ist schrecklich! Die Tage sind doch noch erträglicher, nachts aber liege ich mit verhaltenem Atem lauschend, wer früher in seinem Bett zu weinen beginne, — Saschenka oder Mütterchen. Es kommt vor, dass es bis zur Morgendämmerung still bleibt, vielleicht schlafen sie, — ich beeile mich selbst einzuschlummern — und höre plötzlich, dass das Bett vom Schluchzen erschüttert wird ... Es fängt wieder an!

Zum letzten Mal haben wir Pawluscha am 4. (17.) August gesehen, noch in der Sommerfrische, als Mütterchen bei uns zu Besuch war. Das Regiment, das im Innern Finnlands gestanden, zog aus, um seine Stellung einzunehmen und Pawluscha eilte zwischen zwei Zügen, auf eine halbe Stunde zu uns. Es war bereits Nacht, wir waren erstaunt, verwirrt, wie verloren. Er trug seine schwere Felduniform, Stiefel und Sack, war braun gebrannt, verstaubt, schier unkenntlich in dieser kriegerischen Ausrüstung mit dem ungeschnitte-

nen Haar. Sie hatten irgendwo im Walde Bäume gefällt, den Boden aufgegraben und er glich mehr einem Bauern als einem Soldaten. Er flüstert uns zu: «Wünscht mir Glück zum Feldzug, wir gehen nach Warschau, aber verheimlicht es Mütterchen einstweilen noch.»

Natürlich sprach man nur von gleichgültigen Dingen, bemühte sich, ihm gut zu essen zugeben, hungrig war er, wie ein echter Soldat. Wir Sassen alle auf der Terrasse.

Ich betrachtete sein Gewehr, es war schlank wie ein junges Mädchen, die Nummer desselben habe ich vergessen, obwohl er sie mir sagte; wie soll ich auch die Nummer noch wissen, wenn ich mich nicht mehr an seinen Gesichtsausdruck erinnern kann, nur noch weiss, dass er ganz eigenartig war. Ich tat damals auch nicht, an was ich all' die Zeit über dachte: führte ihn nicht durch das ganze Haus, damit er sich davon verabschiede. Wie hätte man auch sagen können:

«Nimm von allen Abschied, Pawluscha . . . Es kann sein, dass Du dies alles nie mehr sehen wirsti»

Er dachte wohl das Gleiche, wenn er sich auch nicht entschliessen konnte, es auszusprechen; so Sassen wir abseits auf der einen Terrasse, gingen nicht einmal in die Zimmer hinein. Dann begleiteten wir ihn alle zu der unweit unseres Hauses gelegenen Station;

kiissten ihn herzlich und sahen, wie er rasch in den Lastwaggon kletterte, in dessen Dunkel einzelne Soldatengestalten, lachend und scherzend, sichtbar wurden — seine neuen Kameraden. Der lange Zug setzte sich sehr bald in Bewegung, an allen Türen standen Soldaten und schrien «Hurrah» — dann trat eine grosse Stille ein; alles war vorbei. Warum entsinne ich mich noch so gut des roten Lichtes am letzten Waggon? Gerade dieses? Weiter erinnere ich mich noch, wie still es im Hause war, als wir heimkehrten.

Und jetzt ist er tot und wo sie ihn verscharrt haben, wissen wir nicht; ich kann es nicht fassen, ich kann es nicht! Ich begreife die Ereignisse, begreife den Krieg nicht. Ich fühle nur, dass er all die Unsern erwürgt, dass es vor ihm für Klein und Gross keine Rettung gibt. Alle Gedanken empören sich dagegen, ich lebe in der eigenen Seele wie in einem frem* den Hause, an keinem Fleckchen derselben kann ich mich selbst wiederfinden. Wie war ich früher? ich entsinne mich dessen nicht mehr.

Irgend etwas hat mich mit seinen ungeheueren Tatzen erfasst und modelliert nun aus mir eine seltsam frem^de Figur... woher Kraft zum Widerstand nehmen?