17. (30.1 Januar. Heute haben wir einen schönen Schrecken gehabt! Plötzlich war Mütterchen aus der Wohnung verschwunden, sie ging am Morgen aus und war am Abend noch nicht zurückgekehrt. Ich war im Bureau, Saschenka zum ersten Mal wieder im Lazarett, und das dumme Kindermädchen konnte uns nichts erklären, hatte nicht einmal bemerkt, wie Inna Ivanowna das Haus verliess, hatte es keinem von uns mitgeteilt. Es war ganz natürlich, dass wir befürchteten, Mütterchen sei bei ihrer Zerstreutheit und Achtlosigkeit unter die Trambahn oder ein Automobil geraten. Ich rief Saschenka, wir verloren beide den Kopf, ich stürzte ans Telephon, bei allen Bekannten und sogar bei den Polizeistationen Erkundigungen einziehend, und plötzlich . . ., erschien Mütterchen. Sie war ausgegangen, ohne jemand ein Wort zu sagen, und hatte am äussersten Ende des Wassili Ostrow eine alte befreundete Dame besucht. Bei dieser hatte sie dann bis zum Abend gesessen! Wie hätte einem dies einfallen sollen?
Natürlich machte Saschenka ihr heftige Vorwürfe, Mütterchen fühlte sich beleidigt und begann zu weinen: wir mussten sie noch beruhigen. Sie wird von nun ab bewacht werden müssen.
20. Januar (2. Februar). Die Deutschen begannen Dampfer zu versenken. Was kann man anders tun, als über ein solch wahnsinniges, jede Grenze des menschlichen Verstandes überschreitendes Vorgehen die Achseln zu zucken? Sind nicht diese Unterseeboote schon an sich selbst etwas unendlich Böses, das naturgemäss alles sinnlos überfallen und vernichten muss? Werden die Menschen von Dunkelheit und Hitze dort unten nicht vergiftet, nicht zu Wahnsinnigen, die jedes menschliche Empfinden verlieren? Unser Kontor entrüstet sich, ich aber zucke nur zweifelnd die Achseln und fühle, dass ich eben so dumm aussehen muss wie diese Deutschen, die Schiffe versenken. Was ist da zu sagen?
14. (27.) Februar. Ich war erkältet und habe die ganze Woche mit einer heftigen Influenza daheim gesessen. Ungeachtet der Krankheit hätte die Zeit eine Erholung für mich sein können, wären nicht die Zeitungen gewesen, die ich aus Mangel an Beschäftigung las, wie ein Trunkener, die Ereignisse dieser furchtbaren Zeit betrachtend. Was sie schreiben, was sie tun . . . es ist unsagbar. Besonders empörte mich ein sehr geehrter Herr, der durch ein seltsames Missverständnis zu den Koryphäen unserer Literatur gerechnet wird. Meinem Gewissen nach kann
ich seine gemeinen Artikel nur niederträchtig und verbrecherisch nennen, wenn sie auch unser ganzes dummes Kontor in Entzücken versetzen. Gottlose Artikel! In funkelnden, farbenprächtigen Ausdrücken will dieser Herr, der die Sprache beherrscht wie ein Advokat, uns davon überzeugen, dass der Krieg der Menschheit ein aussergewöhnliches Glück bringen wird, natürlich erst in ferner Zukunft. Von der gegenwärtigen Menschheit fordert er, dass sie in aller Ergebenheit für das Glück der kommenden zugrunde gehe. Der heutige Krieg ist für ihn wie eine Krankheit, die die einzelnen Zellen im Organismus abtötet und dadurch den ganzen Körper erneuert, mögen die einzelnen Zellen sich damit trösten! Aber wer sind diese Zellen? Anscheinend ich, Inna Ivanowna, unser armer gefallener Pawluscha und alle die Millionen Getöteten, Zerfleischten, in deren Blut und Tränen diese unselige Erde bald ertrinken wird.
Nicht schlecht, diese Ansicht!
Das Endresultat ist, dass wir, die Zellen, nicht nur nicht protestieren, uns nicht empören und keinen Schmerz empfinden, sondern überdies von grossem Entzücken beseelt sein und frohlocken sollen, weil wir uns nützlich erweisen dürfen. Wenn wir nun aber nicht frohlocken wollen? Das macht auch nichts, das ist unsere Sache. Der Krieg nimmt was er
braucht, fünf oder zehn Millionen Menschen, dann werden die Gesundung und das Glück kommen. Um das zu erreichen, ist aber, den Worten des Herrn Schriftstellers zufolge nötig, dass die Zurückgebliebenen, Erschöpften Frondienste tun, aussergewöhnliche Dinge vollbringen, einander lieben, noch bei lebendigem Leibe zu Engeln werden. Gelänge es mir diesen Evangelisten zu packen, ich würde ihm einen warmen Empfang bereiten, schliesslich gibt es ja noch Ruten auf der Welt und wir haben uns noch nicht in Engel verwandelt! Ausserdem wäre es für Engel unpassend, sich wie Zellen zu zersetzen.
Also heute bin ich nicht mehr Ilia Petro-witsch Dementjew, sondern eine Zelle, der es nicht einmal zukommt, ein Urteil zu haben, weil sie dadurch der allgemeinen Sache schaden könnte. Nein, sehr geehrter Herr, ich bin keine Zelle, ich bin Ilia Petrowitsch Dementjew, der war ich früher, der bleibe ich auch! Und wie sehr Sie mich auch zum fröhlichen Sterben auffordern, ich werde nicht in den Tod wie zum Tanze gehen, und wenn es Ihnen gelingen sollte, mich in den Tod oder das gelbe Haus zu treiben, so werde ich mit einem Fluch und im unversöhnlichen Hass gegen die Mörder sterbenl Nein, ich bin keine Zelle und ein Engel nach Eurem Rezept will ich auch nicht werden, lieber bleibe ich der sündige Ilia Pe-
trowitsch, der seine Sünden vor Gott zu verantworten tiat und nictit vor Dir, Du unbedeutendes, kleines Sctireiberleinl
Und will auch nictit für die kommende Mensctiheit zugrunde gehen, verspüre nicht das geringste Verlangen danach! Wenn der Mensch von gestern für mich leiden musste, ich für den von morgen leiden muss, der wiederum für den von übermorgen wird leiden müssen, wo ist dann das Ende, wo der Sinn dieser Sinnlosigkeit? — Nein, genug dieses Betruges! Ich will selbst leben, die Güter des Lebens geniessen, nicht die Erde für irgend einen zukünftigen Gentleman düngen, damit er seine Hände weiss, ungehärtet von Arbeit er'-halten kann ... ich hasse ihn mitsamt seiner ganzen Glückseligkeit. Ich habe keinen Bedarf für diesen Herrn!
Zellen! Du sollst es wissen, Pawluscha, in Deinem verlassenen Grabe, auf irgend einem öden preussischen Feld, dass Du nichts anderes warst als eine Zelle, und Sie, Inna Iva-nowna, haben Sie die Güte sich zu beruhigen, Ihre bleichgeweinten Wangen rot zu schminken, das war nicht Ihr Sohn, der gestorben ist, den sie Ihnen genommen haben, nur eine Zelle ging zugrunde und liegt dort auf dem Weg. Wage es nicht einmal, mich so zu nennen, unwissender Schriftsteller, und wenn ich sterbe, des Verstandes beraubt, zugrunde
gehe, dann tanze nicht vor Freude auf meinem Grabe, frevle nicht, — beweine mich. Jeden sollst Du beweinen, weil er nicht mehr wiederkehrt. Denke nicht daran, dass Du ein stolzer Schriftsteller und ich nur der kleine, allen unbekannte llia Petrowitsch bin, — mit allen Deinen Tränen sollst Du mich beweinen, mit aller Kraft Deines Mitleids mich bedauern, mit Blumen mein vorzeitiges Grab schmiickenl
Welche Torheit liegt in dieser ihrer Arithmetik, Menschen nach Millionen zu zählen, wie Körnchen in einem Scheffel. Sie belügen sich ja nur selbst, diese Toren mit ihrer Millionenrechnung. So kann man Körner und Gurken zählen, aber nicht Menschen, das ist keine Berechnung, das ist ein teuflischer Betrug. Jeder, der die Menschen nicht bei ihrem Namen nennt, der sie als Ziffer betrachtet, ist ein Diener des Teufels und ein Betrüger: er belügt sich selbst und andere, — sowie man anfängt die Menschen nur mehr zu zählen, geht jegliches Mitleid, jegliche Urteilskraft verloren. So schrieb zum Beispiel eine Zeitung anlässlich eines Zusammenstosses mit dem Feind: «Unsere Verluste waren unbedeutend, zwei Tote und fünf Verwundete.»
Es wäre interessant zu wissen, für wen dies «unbedeutend» Geltung hat? Für den, der getötet wurde? Interessant, ob er selbst vor Freude darüber strahlt, und ob er, wenn er aus
seinem Grabe auferstünde, diesen Verlust für «unbedeutend» erklären oder etwa ein wenig anders darüber denken würde? Könnte er sich an alles erinnern, vom Anfang an, an die Tage seiner Kindheit, die Familie, die geliebte Frau, wie er auszog und sich, von den verschiedensten Gedanken und Gefühlen erfasst, fürchtete, und wie das Ende all dieses Tod und Entsetzen war . . . Uns aber wird bewiesen, dass die «Verluste unbedeutend» sind) Dies sollst Du bedenken, gottloser Schriftsteller! Geh zum Teufel, dem Du dienst, mit Deiner weisen Arithmetik und lüge uns nichts von der allgemeinen Glückseligkeit vor, von der Du, wie ich sehe, gar nichts verstehst.