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Wie bin ich doch verächtlich! Eine Zelle.

Und doch, erlauben Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf einen denkwürdigen Tag zu len-

ken, einen Tag, zu dessen Angedenken ich ein bronzenes Monument errichten möchte, zur Erinnerung für die Nachkommen. Und dies ist der Tag, an dem ich, eine Woche nach Li-dotschkas Tode, als ehrlicher Arbeiter wieder in meinem, verfluchten Kontor erschien. Was soll ich darüber sagen? Es sind lauter gute Leute bei uns, sie merkten sogar, dass ich grau geworden: «Ach, wie Sie abgemagert sind!» Und alle sprachen ihre Teilnahme zu unserem Verlust aus, aber nicht in zu starken Worten, sondern in den althergebrachten Höf-lichKeitsformeln: «Ich hÖre, dass Ihr Töchterchen gestorben ist, wie traurig.»

Ja, sehr traurig. Es ist nichts, ich arbeite, schreibe, lese. Teilnehmende Freunde bemerken auf meinem Aermel einen Trauerflor: «Was ist das? Hat man Ihnen schon wieder jemand im Kriege getötet?»

«Nein, warum immer nur im Krieg? Ich trage ihn für meine verstorbene Tochter Lydia.»

«Ahl» . . .

Und dann sind sie wie verwandelt; Pan Swoliansky verficht in seinen Gesprächen in der artigsten, diplomatischsten Form die Ansicht, dass man selbst (selbstl) um die Gefallenen keine Trauer anlegen sollte, um nicht ungünstig die allgemeine Stimmung zu beeinflussen. Ein Mensch kleidet sich zum Beispiel

sorgfältig zum Spaziergang an, Halstuch und LacKstifletten, da läuft ihm irgend eine düstere Gestalt, ein grauhaariger Mensch in Trauer über den Weg: es wirkt peinlich — die ganze Stimmung ist verdorben. Natürlich wagte Herr Swoliansky nicht, dies Beispiel anzuführen, aber aus seinen Worten ging klar und deutlich hervor, dass, wenn man schon für die Gefallenen, die einzig und allein wirklich Verstorbene sind, keine Trauer anlegen soll, um wie viel weniger noch für irgend ein kleines sechsjähriges Mädchen, das eines natürlichen Todes starb. Es gibt doch genug sechsjährige kleine Mädchen auf der Welt.

Im allgemeinen gaben sie mir in der zartesten Art zu verstehen, dass mein Verhalten ein äusserst unkorrektes sei, fast so, als ob ich mich in dieser allgemein erregten Zeit dem Trünke ergeben hätte; das Gleiche deuten mir die Bekannten, denen ich am Newsky begegne, an: «Ach so, das kleine Mädchen! ...»

Bestreite ich es denn? Nicht im geringsten; im Gegenteil, ich unterwerfe mich der öffentlichen Meinung, habe den Trauerflor vom Aermel abgenommen und in meiner Westentasche versteckt, um niemand peinlich zu berühren und in seiner glänzenden Shmmung zu stören. Ich wage Keinen zu beunruhigen, habe als Staatsbürger nicht das geringste Recht dazu. Staatsbürger oder — Schuft . . . was

bin ich eigentlich? Weiss es gar nicht mehr. Aber ich schweige, schweige.

20. Juni (3. Juli). Es regnet, ich gehe mit aufgespanntem Schirm durch die Strassen und überlege, was das wichtigste sei. Das Allerwichtigste ist, dass man sie verscharrt. Zu töten ist eine Kleinigkeit, ein Zufall, die Hauptsache ist, dass man sie verscharrt. Sind sie verscharrt, so ist nichts mehr zu sehen — und alles ist gut. Nein, stellen Sie sich nur vor, was das heisst: vier oder fünf Millionen getötete und sofort verscharrte Menschen . . . und wenn man sie nicht verscharren würde! Welcher Gestankl Wie viel Skelette in zerfetzten Uniformen!

Welche Qual, keiner vermag sie zu schildern, möge man was immer auch sagen gleich einem Narren. Wie langbeinig man doch wird; indes ich gehe, fühle ich selbst, wie lang meine Beine sind. Ob ich wohl den Verstand verliere?

Das gleiche Datum, nachts.

Mag sein, dass ich ein Verbrecher bin, ein Schurke, ein Bösewicht, was ihr wollt, aber Gott helfe mir, es tut mir nicht leid um eure Gefallenen, ich habe nichts mit ihnen zu tun. Ich habe das Morden nicht angestiftet, tötet, zerreisst einander in Stücke, bitte, ganz wie ihr wollt.

Wie sind unsere Zimmer doch so leer, nur von einem unsichtbaren Grauen bewohnt. Voriges Jahr waren wir um diese Zeit in der Sommerfrische und ahnten nicht, was kommen würde. Lidotschka lebte.

Ich blicke auf meinen Petja, meinen kleinen Jenia, die mir noch geblieben sind und denke: wäre es nicht am besten, einen Strick zu nehmen, uns zusammenzubinden und von der Troizkischen Brücke ins Wasser zu stürzen?! Weiss Gott, sie leben ohne Grund, sind keinem nötig. Zellen sind sie, kleine, schmutzige, wertlose Zellen. Wer wird sie beweinen? Petja schlug sich heute fast an einer Tischecke das Köpfchen ein, er kam zu mir, damit ich ihm die Beule küsse und ihn bedaure, aber ich konnte ihn nicht bedauern. Unglückselige Kinder, eure Mutter betreut im Lazarett die Verwundeten, erfüllt dort ihre Pflicht, euer Vater jagt wie vom Teufel besessen durch die Strassen, um Ruhe 7U finden, und ihr sitzt mit eurem dummen Kindermädchen und mit der halbverrückten Inna Ivanowna . . . arme Ge-schöpfchenl

Ich vermag nicht zu weinen, das ist meine grösste Qual. Ich suche vergebens nach Tränen und kann keine finden. Wie seltsam ist doch der Mensch geschaffen, er kann sein Blut ausströmen lassen, sich die Ädern mit dem Messer öffnen, nur zu Tränen kann er sich

nicht zwingen. Ausserdem kann ich nicht schlafen und fürchte meinen Diwan. Ich schlafe jetzt im Kabinett auf dem Diwan; das heisst ich kaure dort die ganze Nacht im fahlen Licht, das durch die unverhängten Fenster eindringt.

Gestern morgen sass ich von drei bis fünf Uhr rauchend auf dem Fensterbrett und sah auf die tote Stadt hinaus. Es war taghell, aber keine lebende Seele zeigte sich. Unserem Hause liegt ein anderes genau gegenüber, an den zahlreichen Fenstern oben und unten Totenstille, kein einziges Lebenszeichen. Ich war halb ausgezogen, sass im Hemd und Unterhosen auf dem Fensterbrett, dann ging ich in diesem Aufzug im Zimmer hin und her und kam mir wie ein Wahnsinniger vor.

Am Tage ist das Kabinett wie jedes andere Kabinett und ich bin ein Mensch wie jeder andere Mensch. Wenn mich aber jemand in der Nacht sähe? Barfuss und in Unterhosen. Doch wozu schreibe ich dies?

23. Juni (6. Juli). Wie völlig ich mich verändere, es ist zum Staunen. Niemand tut mir leid, niemand liebe ich, nicht einmal die Kinder; einzig und allein der nackte Hass lebt in mir. Ich gehe durch die Strassen, sehe mir die Leute und Häuser an und denke im Stillen mit einem Lächeln:

würdet ihr doch über die ganze Erde verstreut! Heute streckte mir ein Bettler die Hand hin und ich warf ihm einen solchen Blick zu, dass ihm die Worte versagten und er hashg die Hand zurückzog. Wie muss ich ihn doch angesehen haben! Und ich kann nicht weinen, entsinne mich gar nicht mehr dessen, wie man es macht. Was Tränen! Ich bin so ausgetrocknet, dass ich nicht einmal mehr schwitze, beim heissesten Wetter nicht. Eine höchst eigentümliche Erscheinung, man müsste einen Arzt befragen.

Heute wandte Sascha mir ihre Aufmerksamkeit zu, weinte, dass ich so anders geworden sei. Wie bin ich denn? Sie wundert sich, dass ich keine Zeitungen lese, was sollte ich aus den Zeitungen Neues erfahren? lieber Miasojedow? Dass sie morden, sengen, Schiffe versenken, das weiss ich längst, auch ohne Zeitungen. Ich will einfach nicht lesen. Sie fragt mich:

«Und was macht Dein Magen?»

«Von was für einem Magen sprichst Du? Habe ich denn einen Magen? Ach, ja richhg, danke gut. Und Deine Verwundeten?»

«Sie sind auch Deine.»

«Nein, mein sind sie nicht, ich habe nichts mit ihnen zu tun.»

«Warum bist Du so böse, llenka?» fragte sie weinend.

«Wieso, meine gute Saschenka?»

Sie wurde ärgerlich und ging ins Lazarett, vergass aucti nictit, wie es sicti für eine watir-haft liebende Gattin geziemt, die Tür tiinter sicli zuzusctilagen. Mir ist es entsctiieden ganz gleich, aber auf die Kinder dürften solche Vorfälle nicht sonderlich erzieherisch wirken, auf dies müsste man bedacht sein.

Ueberhaupt ist es ganz komisch zu be-deuKen, dass ich eine Frau habe, so selten sehen wir uns und sprechen miteinander.