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Sascha ist noch im Lazarett. Am Samstag, als so viele Verwundete gebracht wurden, dass man sie sogar auf den Fussboden betten musste, kam Sascha nicht nach Hause, um die Kinder zu baden Dies geschah nicht zum ersten Mal. Gewöhnlich badet sie dann das Kindermädchen, diesmal aber hatte ich aus irgend einem Grunde Lust, Jenia selbst zu baden. Wie er mager ist, man kann ihm alle Rippen zählen, und diese kleinen, kleinen Knochen] Während ich das magere Körperchen und die dünnen Härchen abtrocknete, fragte ich mich selbst: Warum weine ich denn nicht?

Im Gegenteil, durch meine Ungeschicklichkeit tat ich ihm weh, kratzte ihn, und als er zu weinen begann, empfand ich keinerlei Mitleid, wurde ärgerlich und übergab ihn dem Kindermädchen. Was ist denn mit mir vor-

gegangen? Wenn früher ein Mensch in meiner Lage war, so erzählen die Alten, ging er in die Kirche, betete sich gesund und wurde wieder wie früher — aber wer kann mich gesund beten? Albernheiten!

Russland tut mir nicht leid, möge es vernichtet werden, ich selbst tue mir auch nicht leid. Und stürbe Sascha heute, mich deucht, ich würde nicht einmal mit der Wimper zucken. Es heisst, es greife eine Art Cholera um sich, — und wenn schonl Möge die Cholera kommen. Möge die Pest kommen. Mögen Meer-und Erdbeben alles verwüsten, was gehts mich an?

26. Juni (9. Juli). Unser Kontor hat eine Sensation: der Pole Swoliansky ist als Freiwilliger in den Krieg gezogen, um gewissermassen mit eigener Hand sein Warschau zu verteidigen. Zuerst glaubten wir, dass es nur seine gewöhnliche Phrasenmacherei sei, aber es erwies sich als vollkommen ernst . . . wer hätte dies von dem Schwätzer erwartet? Ein Blitz aus heiterem Himmel, wie man zu sagen pflegt. Natürlich feierten ihn die Kollegen durch ein feuchtfröhliches Abschiedsfest, an dem ich aber, unter dem Vorwand mich unwohl zu fühlen, nicht teilnahm. Mögen sie ohne mich «patrio-tisieren», ich fürchte ihre scheelen Blicke und ihren Spott nicht.

In einem Zwiegespräch erklärte mir mein Swoliansky in den erhabensten Ausdrücken, dass ihn, ginge er jetzt nicht auf andere schiessen, sein Gewissen für alle Zeiten foltern würde. «Gewissenl» Ich nehme an, dass ihm das Herz wirklich weh tut um sein Polen, man darf ihn nicht zu streng beurteüen, aber vom Gewissen hätte er lieber schweigen sollen.

Und so viele aus seinem Kreis sind, wenn man sie darauf betrachtet, ganz Gewissen. Ich passe nicht zu den gewissenhaften Leuten, sie machen mich sogar verlegen, Dummkopf, der ich bin. Sie rauben, üben Verrat, töten Kinder, alles mit vollkommen gutem Gewissen, man kann ihnen nicht widersprechen, der Krieg muss so sein! Aber wer braucht denn diesen Krieg, air diese Tränen? Und die betrügerischen Kaufleute und Fabrikanten setzen Fett an; und was für Paläste werden sie nachher erbauen, in was für Automobilen sich wiegen lassen, was für Freudenfeste und Trinkgelage feiern! Man müsste sie alle hängen, aber es geht ja nicht — das Gewissen.

Ich hatte bemerkt dass Inna Ivanowna, Gottes altes Weiblein, immer die Füsse unter ihren Röcken versteckte, beim Sitzen die Beine unterschlug wie eine Gans. Warum wohl? Es erwies sich, dass ihre Schuhe so zerrissen waren, dass die Zehen bei den Löchern herauslugten und so kroch sie herum,

die arme Alte. Ich fragte sie: «Sctiämen Sie sich denn nicht, Mütterchen, warum haben Sie es nicht Sascha oder mir gesagt? Nun?»

Sie weinte und schwieg. Es war kein Wort aus ihr herauszubekommen, offenbar verletzte ich irgend ein Sparsamkeitsgefühl in ihr. Und doch ist es einfach lächerlich zu sparen, zu rechnen,, sich um jede Kopeke zu schlagen, wenn Du mit Deinen eigenen Augen siehst, dass diese Kopeke von selbst, wie bei Zauberkünstlern dem Kaufmann in die Tasche fliegt. Zauberkünstler]

Ich kaufte Inna Ivanowna selbst ein Paar Stifletten, brachte sie ihr voll Eifer nach Hause und fühlte mich als Wohltäter. Natürlich fing sie sofort wieder zu weinen an, ich sah zu, wie ihre Tränen flössen und dachte: könnte ich nur eine einzige dieser Tränen weinenl

3. (16.) Juli.

Andrei Wassilewitsch, mein in Aussicht genommener Leser, ist im Warschauer Hospital einer schweren Verwundung erlegen. Himmlischer Vater)

So habe ich meinen letzten Leser verloren, habe ihn kein einziges Mal mehr gesehen. Ihm ist wohl. Ich bin allein, bin wie in der Unterwelt, inmitten tanzender Teufel, heulender Verdammter. Wer braucht mich mitsamt meinem Tagebuch, es ist lächerlich, auch nur daran zu

denken. Meine Sascha, meine Frau, weiss schon längst, dass ich ein Tagebuch führe und hat mich noch nie aufgefordert, sie hineinsehen zu lassen, hat nicht einmal die geringste Neugierde an den Tag gelegt . . . dass ich allmählich immer verschlossener werde, mir alles verleidet wird, ist ihr ganz gleichgültig, sie interessiert sich weit mehr dafür, was sie mit ihren Schuhen tun soll, wenn sie krachen. Und welches geringste Recht habe ich, für mich Aufmerksamkeit und Teilnahme zu beanspruchen, wenn dort stündlich tausende von Menschen zugrunde gehen, die ganz anders, nicht von der Art des llia Petrowitsch sind. Und was geschähe, wenn jedes Zellchen, das zum Untergang verurteilt ist, zu schreien und Skandal zu machen begönne, wie ein wirklicher Mensch?

Heute sah ich am Morskoi Flüchtlinge aus Polen . . . sind das aber Gestalten des Jammersl

4. (17.) Juli.

Ich kann so nicht weiter leben, bin nicht geschaffen schlecht zu sein, böse Gefühle zu hegen und finde doch keinen anderen mehr in meiner armen Seele. Mir isfs als wäre mein Körper im Innersten weissglühend, als wäre ich ein entwurzelter Baum. Ich fürchte mich selbst, mein entstelltes Gesicht zu betrachten. Ich renne herum bis zur Ueber*-

müdung, zur völligen Erschöpfung; bis mich die Beine nicht mehr tragen können; mitunter schlafe ich wohl ein, aber Schlag drei fahre ich erschrocken auf, sitze dann bis fünf oder sechs Uhr auf dem Fensterbrett und starre gedankenlos in die schlaflose Petrograder Nacht hinaus. Schauerlich ist die Helle, schauerlich die Nacht. Und ob Regen fällt und die Mauern feuchtet, oder die Sonne auf die Schlote scheint, immer ist der Anblick dieser toten, regungslosen Stadt entsetzlich, als hätte sich die Prophezeiung bereits erfüllt, als wären alle Menschen zugrunde gegangen und es leuchtete ein nutzloser, sinnloser Tag vergebens über all' der Zerstörung.

Das gegenüberliegende Haus hatte eine sehr hohe und glatte Mauer, wollte man hinaufklettern, man fände nirgends einen Halt und ich kann mich des qualvollen Gedankens nicht erwehren, dass ich dort vom Dache, an den Fenstern und Nischen vorbei, auf's Pflaster herabstürze; sehr peinigt mich dies! Um die Mauern nicht sehen zu müssen, gehe ich im Zimmer auf und ab, was gerade keine grosse Freude ist. Halbbekleidet, barfuss, vorsichtig auf dem glatten Parkett ausschreitend, komme ich mir mehr und mehr wie ein Wahnsinniger oder wie ein Mörder vor, der irgend jemand auflauert. Und so hell ist es, so hell.

Ich kann so nicht weiter leben. Dies also bedeutet die gewisse Phrase, die besagt: «Ich bitte niemand zu beschuldigen, ich habe das Leben satt bekommen.» Aber nein, das sind Torheiten, ich bin ganz einfach krank, muss mich pflegen und irgend ein Medikament einnehmen.

Lidotschka, mein Engelchen, verzeih mir, gib mir Tränen, ich möchte um Dich weinen. Ich kann nicht so sein. Bete Du zu Gott für mich. Du bist Ihm nahe. Du siehst Ihm in die Augen, bitte für Deinen Vater. Mein kleines Mädchen, mein liebes, mein Seelchen, mein Engelchen; ich erinnere mich, wie ich Dich vom Bett in den Sarg legte und fest, fest fest . . .

8. (21.) Juh.

Es ist eine böse Sache. Rette Russland, o Herr. Es ist heute am Rande des Verderbens und aus den Tiefen ruft es um Rettung zu Dirl

Beschämend ist es zu erzählen, mit welch dummen Gedanken ich heute in die Kathedrale von Kasan, zum allgemeinen Volksgebet ging; wann der Moment war, in dem ich mit einem Male sah und begriff, dessen entsinne ich mich nicht. Ich erinnere mich, dass ich im Anfang skephsch lächelte und unter dem Volk andere Intellektuelle gleich mir bemerkte, aus deren Augen ein höherer Verstand und Spott leuchteten, entsinne mich, dass mir das Gedänge