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Welche Qual, o welche Qual . . . und wenn man bedenkt, wie viele Menschenherzen heute von der gleichen Qual erfasst sind, wie viel Flüche ausgestossen werden . . . und was weiter? noch Martern, und was dann? Empörung . . . und was weiter? Nichts! Atme, seufze, armselige Blattlaus, weiter ist dir nichts geblieben, seufze, einmal wirst du dann ruhen dürfen. Sie seufzen nicht nur, diese Dementiews, fluchten, stöhnten. Sie murrten, sie forderten, dachten, man würde sie hören, ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie in Gold einrahmen . . . Aber wer versteht sie? Sic atmen, das ist alles)

30. Juli (12. August). Ich folge den Reden, die in der Staatsduma gehalten werden und steige jeden Tag höher auf den Berg, von wo aus man einen Ueber-blick gewinnt. Aber was für einen Ueberblickl Und die Deutschen dringen nach der Einnahme Warschaus immer weiter vor; die Festungen Kowno und Grodna haben sich nicht ergeben, halten sie vor ihren Mauern auf, das ist weil?

nigstens etwas. Merkwürdig ist, dass ich schier physisch die Nähe der Deutschen empfinde, an jeder Strassenecke erwarte ich, dass ein Deutscher hervorspringt. Und ich sehe ganz deutlich sein deutsches Gesicht, seinen spitzen Helm, höre seine dreisten, herausfordernden Worte. — Verschone uns o Herr!

]a die Perspektiven, die Perspektiven, die Haare stehen einem zu Berge über diese Per-spekhven. Aber warum bin ich so geartet... so unbedeutend, armselig? Ich bin doch ein anständiger Mensch, warum habe ich früher nichts gewusst, nichts verstanden, habe alles mit einem idiotischen Vertrauen betrachtet, wie ein verzauberter Esel, wenn man sich so ausdrücken darf. Warum bin ich ein so nichtig Geschöpf? «Das Vaterland ist in Gefahr», welch unsäglich schreckliche Worte, das Vaterland ist in Gefahr. Und wozu hin ich da, wie zum Teufel nütze ich dem Vaterlande. Irgend ein beliebiges Pferd ist dem Vaterland in dieser furchtbaren Zeit nützlicher als ich, mit meiner ganzen widerlichen Anständigkeit, — es ist ekelhaft, ekelhaft.

Jetzt hört man schon auf allen Seiten, sogar in unserem ungläubigen Kontor die Worte: «Herr, errette Russlandl» Wenn aber Gott sich Russland nicht zuneigen und es nicht erretten will? Wenn er ihm zuruft: «Wenn Du so dumm und räuberisch und gemein bist, gehe zugrunde mit Deinen Miasojedows!»

Was geschähe, wenn jetzt dieses ganze Land, das man Russland nennt, zugrunde ginge? Schrecklich! Mit allen Kräften der Seele kämpfe ich gegen diesen Gedanken, will ihn nicht aufkommen lassen . . . aber im Herzen ist ein Entsetzen, eine Kälte, eine nagende Pein. Doch was kann ich tun?l Hier brauchte man einen Simson, brauchte man Helden und wie weit bin ich mit meinem ganzen Heldenmut davon entfernt. Ich stehe wie ein nackter, armer Sünder beim letzten Gericht, erbebend in Angst und Schauern und kann kein Wort zu meiner Rechtfertigung finden . . . beim letzten Gericht gibt es kein Lügen, kein Advokat kann Dich verteidigen. Deine irdische Schlauheit und List sind hier zu Ende, zu Ende!

Dies empfand beim Betrachten des Weltkrieges llia Petrowitsch Dementjew, Petersburger Buchhalter und Rechnungsführer.

DRITTER TEIL

5. (18.) August.

In den letzten Tagen war ich zu erregt und gegen mich selbst allzu ungerecht gewesen. Die Erregung trübt das Urteil, wo es nötig wäre, die Dinge klar und ruhig ins Auge zu fassen. Besonders haben mich die Enthüllungen erschüttert, die unsere ciceronischen Dumaabgeordneten wie Peitschenschläge auf die Anwesenden herabsausen Hessen. Es ist eine müssige Frage, ob i c h etwas zu tun unterlassen habe, wenn selbst unsere Duma-Cice-ros nichts sahen. Für sie wäre die fürsorgliche Umsicht auf jeden Fall mehr Pflicht gewesen.

Natürlich bin ich kraftlos (ich besh-eitc es nicht), aber hängt denn meine Kraft von mir selbst ab? So wie ich bin, so bin ich, und wäre ich als Simson oder Joffre zur Welt gekommen, so wäre ich eben ein Joffre. Unverständig wäre es, wenn mir irgend ein Dumm-

köpf, in der Meinung, dass ich ein Mathematiker, eine Integralrechnung zur Lösung vorlegte, noch unverständiger ist es, von mir zu fordern, dass gerade ich die Aufgabe des Weltkrieges und der russischen Zustände lösen solle. Nicht ich wollte und begann diesen Krieg, nicht ich verursachte diesen ganzen Wirrwarr und es ist lächerlich, das Ganze auf meine Schultern zu laden. Sie haben einen Berg vor Dir aufgebaut. Dir nicht einmal eine Schaufel in die Hand gegeben und verlangen nun, dass er in einer halben Stunde abgetragen werde. Nein, — wären Sie nicht geneigt, ihn selbst abzutragen?

Im Kontor hat sich, Gott sei Dank, alles beruhigt und geht seinen alten Gang. Die Kinder sind zu meiner unsäglichen Freude gesund. Inna Ivanowna war am Magen erkrankt, doch geht es ihr schon besser; schliesslich ist sie doch ein starkes, zähes altes Weiblein und wird uns noch alle überleben. Aber ihre Krankheit verursachte uns ungeheueren Schrecken.

Ich habe mir vorgenommen, Geld zurückzulegen und dafür im V/inter das Kinderzimmer und mein Kabinett neu tapezieren zu lassen. Ganz unerträglich ist mir die Tapete in meinem Kabinett geworden, wenn ich sie nur ansehe, fallen mir sofort die weissen Juninächte ein, in denen ich ausgezogen auf dem Fenster-

breit sass, oder barfuss im Zimmer umherging und mir wie ein Wahnsinniger vorkam. In jenen Stunden betrachtete ich jede Blume der Tapete, lernte jeden Strich, jeden Flecken auswendig. Ich war erst im Zweifel, ob in diesem bösen Zeiten das Herrichten der Wohnung empfehlenswert, gewann dann aber die Lieber-Zeugung, dass es sich gerade jetzt lohne. Man darf sich den äusseren Umständen nicht in dem Masse unterwerfen, dass das persönliche Leben in ein Chaos und gleichsam in einen Schweinestall verwandelt werde. Der Krieg mag Krieg sein, aber mein tiaus bleibt doch mein Haus, meine Kinder bleiben meine Kinder.

Gestern Abend musste ich unwillkürlich lachen, als ich zusah, wie Jenitschka schlafen gelegt wurde. Er hat zugenommen, sieht frischer aus, und ein Schlaukopf ist er) Er ist ein sehr lieber Junge) Das Kindermädchen hat ihn nach ihrem Gutdünken allerlei Gebete gelehrt, alle natürlich für Papa, Mama und die Soldaten — der unerwartete Schluss des Gebetes aber war:

«Herr, sei mir Sünder gnädig!»

Und nachdem er diese furchtbaren Worte ausgesprochen, stand der Sünder plötzlich halbnackt auf dem Kopf und wälzte sich dann voller Vergnügen im Bette. Wie gut wäre es, wenn alle solche Sünder wären!

Saschenka hat meinen Brief an Nikolai Jewgenitsch, in dem ich seine Dankbarkeit zurückweise, gutgeheissen. Er schweigt und hat mir nicht geantwortet.

7. (20.) August. Jetzt, wo in der Wohnung aufgeräumt wird, zeigt es ich, wie schmutzig und vernachlässigt alles ist. Die Motten haben sich in den Tuchvorhängen, den Lehnstühlen und in den Diwan meines Kabinettes wahre Nester gebaut. Ich beschloss, um eine kleine Abwechslung zu haben, mein Kabinett in das frühere Speisezimmer zu verlegen. Man kann nicht sagen, dass es dort schöner wäre, aber es ist gemütlicher, ausserdem ist es angenehm, dass das eine Fenster eine andere Aussicht hat. Zu meinem früheren Fenster kann ich gar nicht mehr hinaussehen, wenn ich nur das gegenüberliegende Haus mit seinen zahllosen Fenstern und glatten Mauern erblicke, packt mich wieder das alte quälende Gefühl, es schwindelt mir vor den Augen, ich bekomme Herzklopfen; genau, als wäre ich schon einmal kopfüber von diesen widerlichen, glatten Mauern hinabgestürzt. Ich schleppe zusammen mit dem Hausmeister die Möbel von einem Zimmer ins andere und denke darüber nach, wie klug doch der Mensch geschaffen worden ist: die Vögel fliegen für den Winter nach dem Süden, der Mensch aber verspürt

eine grössere Zuneigung und Liebe zu seinem Heim, bereitet sorgfältig alles vor, um Regen und Schneestürmen besser trotzen zu können. Dies gewinnt in meinen Augen sogar eine gewisse Grösse und Bedeutung, und nur das Bild meiner Lidotschka, die mir im vorigen Jahre beim Umzug half, ruft einen heftigen, hoffnungslosen Schmerz in meiner Seele wach. Sie wird nie mehr da sein!