Ja, und noch vieles Andere wird nie mehr sein, in das innerste Herz meines Nestes ist die Verwüstung eingedrungen. Ich habe den Gedanken an das Neutapezieren der Zimmer aufgegeben, es hat sich plötzlich eine solche Teuerung bemerkbar gemacht, dass dem minderbemittelten Menschen die Sorge um Brot und Beheizung die Haare zu Berge stehen macht . . . übrigens will ich mein Tagebuch nicht mit diesen prosaischen Einzelheiten unseres Daseins ausfüllen.
Ach Krieg, Krieg, was bist Du doch für ein Ungeheuer)
8. (2t.) August.
Kowno, unsere Festung, von der die militärischen Autoritäten behaupten, dass sie uneinnehmbar sei, ist in den Händen der Deutschen; sie haben sie geöffnet wie eine Nuss und sogleich verschlungen.
12. (25.) August. Ossowitz ist gefallen.
15. (28.) August.
Die Festung Brest ist gefallen.
Wie gut, dass ich dieses Tagebuch habe, in dem ich, ohne den Ritter sonder Furcht und Tadel spielen zu müssen, dem unerträglichen Angstgefühl, das mich erfasst hat, Ausdruck verleihen kann. Vor den Leuten muss man dies natürlich verbergen, muss ein tapferes Gesicht zur Schau tragen . . . denn was geschähe, wenn alle in Petrograd von ihrer Furcht sprächen und bebten, wie ich jeden Augenblick zu beben bereit bin? Und diese Furcht ist keine Einbildung, kein leeres Geschwätz, mit dem man die Anderen ängstigt, derweil man selbst dabei ein gewisses Vergnügen empfindet. Man möchte fliehen, sich verstecken . . . aber wohin, womit, woher das Geld dazu nehmen?! Du stehst wie ein Baum am Waldesrand, der von einem blätterraubenden Sturmwind überfallen, bis ins Mark, bis zu seinen tiefsten Wurzeln erschüttert wird. Ich habe noch die eine tioffnung, dass unser Kontor evakuiert wird, es wird in diesen Tagen dort so geheimnisvoll geflüstert, Bücher werden hin und hergetragen . . . wäre es doch sol
Was eigentlich das Unheimliche, Furchtbare für die Kinder und mich ist, kann ich mir nicht recht vorstellen, begreife ich gar nicht mehr. Sogar das Wort «Krieg» hat für mich seinen Sinn verloren, «Krieg» — das ist nur
mehr etwas Lebloses, ein leerer Schall, an den wir uns schon längst gewöhnt haben, nun aber nähert sich uns etwas Lebendes, Ungeheueres, alles Erschütterndes. «Sie k o m -me n 1 » Dies sind die schrecklichen Worte, mit denen sich keine anderen vergleichen lassen. Sie kommen, sie kommen!
Jetzt beginne ich schon den weissen Nächten, die mich nach Lidotschkas Tode so sehr gepeinigt haben, nachzutrauern. Das Licht ist doch gleichsam ein Schutz, aber was soll man in den dunklen Herbstnächten tun, die schon an und für sich, auch ohne die Deutschen gar unheimlich sind? In der gestrigen Nacht, da mir die Erregung den Schlaf raubte, sah ich im Geiste ein phantashsches Bild der Deutschen, wie sie, lauter fremde deutsche Gesichter, untereinander in einer mir unbekannten Sprache redend, mit ihren Kanonen und anderen Mordwaffen heranzogen. Ich erblickte sie, genau wie im Traum, um die Wagen herumlaufend, die Pferde anschreiend, sich auf den Brücken drängend, schwer über die krachenden Bretter dahinstampfend, . . . fast glaubte ich ihre Stimmen zu vernehmen, so klar stand das Bild vor meinen Augen.
Und diese ungeheuere Zahl, diese Millionen unheimlich dahinmarschierender Menchen, mit ihren unerbittlichen Gesichtern, den Messern in der Hand, bereit uns die Gurgel durch-
zuschneiden, kommen geradeaus auf uns, auf Petrograd, auf den Poistamskoi-Platz, auf mich zu. Sie nahen auf Chausseen und Landstrassen, in Automobilen, fahren in halbzer-Irümmerten Eisenbahnwaggons, fliegen in Aeroplanen voraus und werfen Bomben, springen von einem Hügel zum anderen, verstecken sich hinter Erdhaufen, halten Ausblick, laufen einen Schritt vor, sind mir wieder um eine Werst näher gerückt, fletschen die Zähne, schleppen die Kanonen, stellen sie ein, und in der Ferne das Morgengrauen erblickend, laden sie dieselben rasch — und kommen, kommen, kommen! Und so bange wird mir, als lebte ich in irgend einem verborgenen Dörfchen, einem einsamen Haus im Walde, und Räuber und Mörder drängen dasselbe vor, um uns alle zu ermorden.
Schliesslich wurde mir das Ganze so greifbar, dass ich im Bette liegend gespannt lauschte, den Kopf bei jedem nächtlichen Geräusch vom Kopfkissen hob. Es schien mir, als näherten sich Schritte, als ginge jemand suchend umher. Unerträglich! Ja, jetzt sehe ich, dass ich ein Feigling bin; aber was soll ich tun, um mich nicht zu fürchten? Ich weiss es nicht, ich weiss es nicht. Es ist schrecklich.
Und ich wollte noch das Zimmer tapezieren lassen, ich Narr!
15. (29.) August.
Ich habe mich ein wenig beruhigt und betrachte unsere Lage mit etwas mehr Mut. Die Zeitungen und unsere Strategen im Kontor versichern, dass die Deutschen nicht bis Petrograd kommen werden. Ich glaube ihnen, — glaube es, — was soll man anders tun? Aber in den Strassen ist es so öde und trübselig, nur wenn man ein wenig die Deutschen vergisst, sieht alles noch wie früher aus, die Tramways, die Droschken, die Läden. Nur viel Schmutz und Staub liegt umher und macht einem, wenn ihn ein Windstoss aufwirbelt, ganz blind, und der Pferdekot riecht schlecht. Häuser und Höfe sind voll Schmutz, über der Newa schwebt ein Staubdunst, hüllt die ganze Petrograder Seite in Nebel ein.
Noch immer lese ich mit Erregung die Duma-Berichte, schreibe aber meine Eindrücke aus einem Gefühl der Vorsicht lieber nicht nieder. Nur eines versetzt mich stets wieder in Erstaunen: die Verblendung, mit der ich allem gegenüberstand, allem vertraute, nur die Aussenseite der Dinge sah. Ein guter Staatsbürger bist Du, Ilia Petrowitschl In einem geordneten Staate Hesse man Dich nicht über die Türschwelle, — hier macht das nichts ... Du bist ja ein anständiger Menschl Ein Huhn bist Du, das zu anderen Hühnern
auf Besuch geht, und aus voller Kehle über die zerschlagenen Eier gackert.
Dieser Gedanke gefällt mir; — ich bin ein Huhn und mein Jenka ist nichts anderes als ein «Hühnerjunge». Jetzt erst verstehe ich die ganze Bosheit, die in diesem Schimpfwort enthalten ist. Und auf den Strassen laufen gegenwärtig Hühner und Hühnerjungen herum, sowie Hundesöhne.
Stopp Maschine)
llia Petrowitsch Dementjew; Buchhalter und Hühnerspross, ich habe die Ehre.
21. August (3. September). Es ist etwas so Furchtbares geschehen, dass ich seit vier Tagen nicht einmal den Mut hatte, es in mein Tagebuch einzutragen. Eigentlich hätte man es schon längst aus dem Abflauen unserer Geschäfte und den immer schwieriger werdenden Verhältnissen voraussehen können, ich wusste dies ja alles, und nur meine gewöhnliche Verblendung und mein Vertrauen zu den Menschen Hess mich auch in dieser Beziehung sorglos bleiben. Unser Kontor ist ruiniert, geschlossen, Ivan Awksentisch ist plötzlich gestorben (wahrscheinlich hat er Selbstmord begangen, aber seine Verwandten verheimlichen dies) und wir Angestellten sind alle entlassen worden. Aus besonderer Grossmut wurde den alten Angestellten, zu denen
auch ich gehöre, noch das Monatsgehalt ausgezahlt; wenn man den vollkommenen Krach des Hauses in Betracht zieht, so ist dies wahrhaftig grossmütig.
Und wie werde ich jetzt mich und die Kinder ernähren? Dieser Gedanke ist noch schrecklicher, als der an die Deutschen, von denen es noch nicht gewiss ist, ob sie auch wirklich kommen werden, doch dies ist Tatsache: nach einiger Zeit werde ich nichts mehr haben, um mich und die Kinder zu ernähren.
Vor Saschenka habe ich es bis jetzt noch verheimlicht, ich finde die rechten Worte nicht, um es ihr mitzuteilen. Zuhause wissen sie nichts, jeden Morgen gehe ich zur gewohnten Stunde fort, wandere durch entlegene Strassen, damit ich niemand begegne oder erblicke, in den Tawritschewskischen Garten, und kehre um fünf Uhr zurück, als käme ich aus dem Kontor.
Man muss irgend etwas ausfindig machen, unternehmen.
22. August (4. September). Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich arbeitslos. In meiner Jugend kam es natürlich manchmal vor, dass ich zwei Wochen oder einen Monat ohne Beschäftigung war, aber ich erinnere mich gar nicht mehr, wie ich diese Zeit verbracht habe. Wohl leicht und gedanken-