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Jetzt verstehe ich meine Furcht gar nicht mehr und kann mich ihrer nur schämen. Sie ist nur mehr wie die Blümchen Lidotschkas, eine Tatsache, die mein Gewissen bedrückt. Mag ich nun ein Feigling sein oder nicht, darüber kann ich nach all diesem nur mehr Vermutungen anstellen, aber von meiner Ehren-

haftigkeit war ich stets überzeugt gewesen. Hier, in diesem Tagebucti, allein mit Gott und meinem Gewissen, kann ich sogar sagen: ich bin nicht nur ein ehrenhafter, sondern sogar ein äusserst ehrenhafter Mensch, stolz auf meine Rechtschaffenheit; und als solchen kennen mich auch die Leute.

Und ich, nach bestem Wissen und Gewissen ein ausserordentlich ehrenhafter Mensch, Hess an jenem verfluchten 20. Juli (2. August) in Schuwalow unsere Köchin Anissia zurück, ihrer Bitten und Tränen nicht achtend.

Man verstehe, heute erscheint dies nur komisch und kann höchstens ein Lächeln hervorrufen: was hätten sie dieser dummen Anissia in Schuwalow antun sollen? Und sie haben ihr auch nichts getan, zwei Tage später erschien sie, leibhaftig, in unserer Stadtwohnung, hatte voller Schlauheit die Bahn erreicht und sogar die Salzgurken mitgebrachh Damals aber war das ganz anders gewesen, damals floh ich doch und hätte, falls ich sie mitnahm, sie vor dem Verderben gerettet, und ich Hess sie deshalb zurück, weil es im Fuhrwerk keinen Platz mehr gab und es wichtig war, einen Menschen zurückzulassen, der die Sachen einpackt und behütet Die Sachen vergass ich nicht, Bourgeoisl

Eines muss ich mir zum Trost sagen, wie sehr Anissia damals auch weinte und bat, so

nahm sie es uns doch gar nicht übel, dass wir sie verliessen, machte auch keinem von uns Vorwürfe darüber. Dummes Weib.

15. (29.) August Dieses Tagebuch schreibe ich abends und nachts, unter dem Vorwande, im Geschäftsbuch, das ich immer nach tiause mitnehme, zu arbeiten. Meine Frau, Alexandra Jewge-newna, ist in jeder Beziehung ein wundervoller und sogar seltener Mensch, intelhgent, gut, empfindsam, aber zwischen uns gibt es jene Verschiedenheit, die sich zwischen allen, sich noch so nahe stehenden Menschen findet und für mich ist es äusserst wichtig und unentbehrlich, dass niemand lese, was ich schreibe, sonst verliere ich die Freiheit im Ausdruck meiner Gedanken. Ich finde, es gibt viele Dinge, von denen es selbst mit nahen und geliebten Menschen zu sprechen beschämend ist, und in meinen jetzigen Gedanken sehe ich sogar die Gefahr irgend einer Versuchung für weniger zurückhaltende Naturen als die meine. Ich werde niemand in seinem Denken stören, will aber auch, dass man mich nicht störe.

Ich beginne mit dem grossen Bekenntnis: Inmitten des allgemeinen Unglücks bin ich ein gewissenlos glücklicher Mensch) Dort der Krieg, Blut und Entsetzen, hier meine Sa-schenka, die eben im warmen Wasser mein

Engelchen Lidotschka und den Schelm Petka gebadet hat und jetzt mit den Kleinen lacht, nachher wird sie irgend etwas für sich tun, Ordnung machen für den morgigen Sonntag oder vielleicht Klavier spielen. Gestern erhielten wir eine Karte von Pawluscha und nun wird Saschenka eine Woche lang heiter und beruhigt sein; natürlich kann man nicht wissen, was geschehen wird, wenn man aber nicht zu weit in die Zukunft blickt, dann ist unser Leben eines der glücklichsten. Das Pianino haben wir für Saschenka gemietet, die sehr die Musik liebt und sich früher aufs Konservatorium vorbereitet hatte; angesichts der schlechten Zeiten wollte Saschenka, um die Ausgaben einzuschränken, das Instrument aufgeben, aber ich bestand darauf, es zu behalten: was sind fünf Rubel im Monat, wenn die Musik dem ganzen Haus eine so angenehme Stimmung verleiht. Und auch Lidotschka beginnt schon spielen zu lernen, sie hat zweifellos Talent, sogar ein erstaunliches für ihre sechseinhalb jähre.

Ja, ich bin glücklich und die Hauptsurache meines Glückes, über die ich zu niemand, ausser diesem Tagebuch, sprechen kann, ist diese: ich bin fünfundvierzig Jahre alt, kann also, was immer dort auch geschehe n m a g , auf keinen Fall einberufen werden. Natürlich darf man das nicht laut aussprechen.

Im Gegenteil, man muss, wie alle anderen, heucheln, sagen, dass man, wäre man lünger, gesünder, unbedingt als Freiwilliger gehen würde und dergleichen mehr; in Wirküchkeit aber bin ich unsäglich glücklich, dass ich ohne das Gesetz zu verletzen nicht in den Krieg gehen und mich der Kugel irgend eines Narren aussetzen muss.

Hier bin ich mehr als aufrichtig. Als sie in der heissen Jahreszeit bei uns im Kontor zu schreien begannen, dass dieser Krieg kein gewöhnlicher sei, dass er unbedingt bis aufs äusserste geführt werden müsse, stritt ich nicht, für wen wäre auch meine unmassgebliche Meinung wichtig gewesen? Entweder hätten sie mich ausgelacht oder mich beschämt, wie sie unlängst den Kontoristen Wassia Paloneg bis zu Tränen beschämten; angesichts der allgemeinen Erregung hätten meine unvorsichtigen Worte nur schädlich wirken, schlecht ausgelegt werden können.

Aber was immer sie im Kontor auch reden, wie immer sie in den Zeitungen über den Krieg schreien und für ihn eintreten mögen, für mich steht fest: es missfällt mir entsetzlich, dass Krieg ist. Es mag wohl sein (ja, und es ist so), dass höhere Geister, Politiker, lournalisten imstande sind, einen Sinn in dieser ungeheuerlichen Balgerei zu sehen, meinem kleinen Geiste aber ist es unverständlich, was daran

Erhabenes und Vernünftiges sein soll. Und wenn ich mir vorstelle, dass ich in den Krieg ginge, inmitten eines freien Feldes stünde und die anderen absichtlich mit Waffen und Kugeln wider mich losgingen, um mich zu töten, das Gewehr auf mich anlegten, sich bemühend, mich zu vernichten, so fängt das Ganze an, mir lächerlich zu erscheinen, einen Hauch von übernatürlicher Dummheit zu bekommen.

Und ich betrachte mich vorsätzlich von oben bis unten, was ist an mir so verlockend, dass sie mich aufs Korn nehmen? Und wo sitzt dies Verlockende: in der Stirn, in der Brust, im Bauch? Und wie ich mich auch immer ansehen und betasten mag, ich sehe nur eines; sehe einen Menschen, ich bin ein Mensch und nur einem Narren kann es einfallen, auf mich zu schiessen. Darum nenne ich, ohne mich viel zu genieren, die Kugel eine Narrenkugel. Wenn ich mir dann weiter vorstelle, dass mir gegenüber auf der anderen Seite ein Deutscher sitzt, der ebenfalls seinen Bauch betastet und mich mit meinen Waffen für einen uniformierten Narren hält, ist mir die Sache nicht nur lächerlich, sondern auch widerlich.

Ja, aber wenn der Deutsche nicht seinen Bauch betastet und ganz ernstlich zielt, um zu töten, und begreift, weshalb dies geschehen muss? Wenn es sich erweist, dass ich mit meinem Nichtverstehen der Narr bin, und mehr

als ein Narr, ausserdem noch ein Feigling, was ja schliesslich sehr leicht möglich ist? Es kann sein, dass ich ein Narr, ein Feigling bin, aber vielleicht bin ich nicht der einzige in Petersburg, Tausend, Hunderttausende führen vielleicht so ein Tagebuch und freuen sich, dass sie nicht einberufen und getötet werden, und urteilen genau so wie ich.

Genug davon, selbstverständlich kann man keinen Stolz darüber empfinden, dass man für sein Leben fürchtet und seinen Bauch betastet wie ein Krüglein, das Georgskreuz mit dem Band wird man dafür nicht erhalten, aber ich strebe nicht nach dem Georgskreuz und verlange nicht das Grab eines Helden. Mein Leben lang habe ich niemand gestossen und in seinem Vergnügen gestört, nun wünsche ich auch mit vollem Rechte, dass mich niemand störe und niemand niederknalle wie einen Sperling! Ich habe den Krieg nicht gewollt und Wilhelm hat mir auch keinen Boten mit der Frage gesandt, ob ich damit einverstanden sei, mich zu schlagen, er hat einfach erklärt: «Geh los!»