Augenscheinlich ging es gut mit dem «erarbeiten» und doch trugen die meisten von ihnen schmutzige, billige Anzüge und nur bei zweien bemerkte ich echte Diamantringe und diaman-
tene Hemdknöpfe. Dafür aber hatten sie alle Wertpapiere, ein Dicker zeigte deren eine ganze Menge und nicht aus Zeitungspapier, sondern wirkliche richtige Banknoten ... es ist leicht möglich, dass ihnen der Schmutz formell nöhg ist, dass ihn diese Herren als eine Art Uniform tragenl Entsetzliche Gauner)
Ich will meine Sünden nicht verheimlichen: als ich ins Cafe ging, war ich, ohne jegliche moralische Hemmung zu allem bereit und hätte mir jemand klar und deutlich gesagt:
«Hören Sie, llia Petrowitsch, man muss heute eine Kasse aufbrechen oder Wechsel fälschen, wären Sie gegen eine anständige Vergütung dazu bereit? ...»
Ich hätte den Auftrag oder die Bestellung ohne Zögern angenommen, zu mindest glaube ich es. Nachdem ich aber etwa eine Stunde lang schweigend dagesessen und ihre Gesichter und Krawatten, ihre schmutzigen Fingernägel und Diamanten betrachtet hatte, packte mich ein unsäglicher Ekel vor diesen Leuten, ein Ekel, der sich sogar auf ihre Hemden ausdehnte, besonders aber auf sie selbst, ihre Gesichter, ihre ganz schmutzige, gemeine Existenz Entsetzliche Gauner!
Am meisten fiel mir ein Herr mit einem schwarzen Schnurrbart auf und sein Anblick Hess mich sogar eine Zeitlang meiner eigenen hoffnungslosen Lage vergessen. Er war ein
noch jüngerer, ausserordentlich gesund und stark aussehender Mann, reich gekleidet und benahm sich inmitten dieser unbedeutenden Leute mit so viel Ruhe und Wichtigkeit, dass man unwillkürlich eine gewisse Scheu vor ihm empfand. Er sprach wenig, hörte mehr zu, lächelte selten und vermied es mit vollkommener Gleichmütigkeit, einem der schmutzigen Subjekte die Hand zu reichen, was übrigens weder das Subjekt noch die anderen zu beachten schienen, genau als ob das so in der Ordnung wäre. Einmal wandte er mir seine schwarzen, gleichgültigen, harten Augen zu und seltsam, — obwohl ich klar empfand, dass er ein grosser Betrüger, vielleicht ein Bösewicht sei, erfasste mich ein sklavisches Verlangen, mich vor ihm zu verneigen und ein liebenswürdiges Gesicht zu machen. Er bemerkte mich wohl kaum oder bewertete mich nur auf einen Groschen, was ja auch mein wirklicher Wert ist, und wandte sich wieder ab. Als er fort ging, rief er niemanden, um seinen Tee zu bezahlen, fünf Leute begleiteten ihn bis zur Tür. Aus dem darauffolgenden Gespräch erfuhr ich, dass dieser Herr auf irgend eine Art und Weise einige Millionen verdient habe. Sie sprachen von drei oder vier Millionen; — und wenn man, dies für eine Uebertreibung haltend, davon die Hälfte abzieht, so bleibt immerhin nochi genug — zwei Millionen.
Nadidem ich das Cafe verlassen hatte, vermochte ich den Rest des Tages diesen Mann nicht mehr aus meinen Gedanken zu verbannen. Was hatte er wohl getan, um diese Millionen zu erwerben? Welche Räubereien, welche Verrätereien begangen? Was mag das für ein Mensch, wie eigenartig muss seine Seele beschaffen sein, dass sie so ruhig bleiben kann, dass ihr weder vor Blut und Krieg, noch vor Gott und Teufel graut. Und es ward mir schwer zu glauben, dass er aus dem gleichen Material geschaffen sei, wie ich. Ich sehe sein Gesicht vor mir, seine Kraft und Gesundheit, seine körperliche und seelische Ruhe — und fühle mich besiegt. Zu Hause während unseres Mittagessens, stellte ich ihn mir absichtlich in unserem Kreise vor neben Inna Ivanowna, die sich kaum getraut, einen Bissen Brot oder ein Löffelchen Suppe zu essen, weil sie darauf kein Recht zu haben glaubt; ich erinnerte mich ihres Pawluschas und jenes schrecklichen Augenblickes, da ich ihr die Nachricht seines Todes überbringen musste — und das Geheimnis der Menschenseele drückte mich noch tiefer zu Boden.
Ich muss zugeben, keine tugendhafte Erwägung hätte meine hässliche und dumme Hoffnung auf Bereicherung durch Raub so zu zerstören vermocht, wie es der Anblick jenes Mannes getan. Zum grossen Dieb wird man
geboren, zum kleinen fehlt mir die Flinkheit, die Gewandtheit, der fröhliche Leichtsinn. Dem einen die Millionen — dem andern das Gewissen — wahrlich eine weise Giiterverteilung!
29. August (11. September).
Ich habe plötzlich Sehnsucht nach Luxus bekommen. Nicht nur, dass ich mit Appetit zu Abend ass, nein, ich ging noch am Tage zu Elistwewa und mit der Gebärde eines Millionärs, der sich vier Millionen erworben hat, vergeudete ich einen Rubel für ein Pfund Moskauer Wurst, wie sie die Kinder und Inna Iva-nowna gerne essen, mögen sie sich daran erfreuen und den mächtigen Ilia Petrowitsch preisen! Ausserdem brachte ich Saschenka zwei Pfund feine Bonbons und zweitausend Zigaretten für die Soldaten mit und nahm, gewissenlos wie ich bin, ihren dankbar zärtlichen Kuss hin, ohne zu erröten. Dort kann ich nicht, also will ich hier stehlen!
Jetzt aber, trotz meines gesättigten Magens, empfinde ich eine Reue, als hätte ich auf der Landstrasse einen Mord begangen. Scheinbar verstärkt das Sattsein das Gewissen und die Reue. Ich bin schläfrig und gähne mit weit offenem Munde wie ein Millionär. Es ist das erste Mal, dass ich, seit das Kontor geschlossen wurde. Schlaf verspüre.
30. August (11. September). Icti war schläfrig, kaum aber lag icti im Bett, so war aller Schlaf gewichen und wieder ging ich bis zum Morgen rauchend umher, im Gedanken nach einer ehrlichen und einträglichen Beschäftigung suchend. Zwei fand ich: Diener in einem Restaurant (Männer sind jetzt gar selten) oder Trambahnkondukteur. Am Tage aber, beim Lichte der Sonne und klaren Kopfes besehen, erkannte ich, dass diese Beschäftigungen mir nicht entsprächen, da ich dazu infolge meiner schwachen Gesundheit und der Ungewohnheit schwerer Arbeiten, die von Dienern gefordert werden, unfähig sei. Aber wohin, wohin?
1. (13.) September. Ich lerne Petrograd vom Standpunkt des Touristen oder Philosophen kennen. Stundenlang betrachte ich die Denkmäler, als hätte ich sie noch nie gesehen und gehe, tief in Gedanken versunken, um sie herum. Besehe mir die Paläste und die neuen Bauten, versuche die Schönheit der Architektur zu geniessen. In jeder Beziehung sehr interessant ist die neue türkische Moschee, die sie in der Nähe der Troizkischen Brücke erbaut haben; man kommt sich dort ganz wie ein freier im fernen Osten gelandeter Reisender vor. Ich frühstücke dori gerne im Square und denke über die verschie-
denen Religionen nach. Auch in das nach Alexander dem Dritten benannte Museum ging ich, um mir die Gemälde anzuschauen. Nur den Bekannten weiche ich aus, und sehe ich welche in der Ferne, so laufe ich eiligst in die nächste Nebengasse.
Von den Deutschen weiss ich nur, was die vom Generalstab herausgegebenen, an den Strassenecken angeschlagenen Meldungen verkünden, Zeitungen kaufe ich keine mehr. Aber das Aussehen der Strassen und die Gesichter der Vorübergehenden lassen mich erkennen, das es schlecht mit uns steht und dass die Deutschen immer näher rücken. Ich weiss nicht wie das enden soll, mache mir auch nur wenig Sorgen darüber, für mich wird das Ende noch früher kommen. Ich habe nicht einmal gewusst, dass Grodno am 21. gefallen war.
So als Gespenst zwischen den Lebenden umherzugehen, bringt einen auf seltsam phantastische Gedanken, man sieht das ganze Leben von einer anderen Seite, als Abseitsstehender, ich möchte fast sagen von oben aus der Vogelperspektive. Ich philosophiere und mache mir ein Bild von Menschen und Staat. Die lärmenden Lastautomobile, die schwerbeladenen Pferde, das ganze fieberhaft nutzlose Treiben betrachtend, fange ich plötzlich an zu verstehen, weshalb der Krieg kommen musste. Der Krieg musste kommen, weil jeder Mensch