Bräutigame, Ihr meine geliebten in Euren roten Hemden! Schwer lasten die hochzeitlichen Kränze auf Euren Häuptern, rotglühend brennen sich die Verlobungsringe in Euer Fleisch, diese Ringe, die Euch auf ewig mit der heimatlichen Erde verbinden. Bittet für mich Verzweifelten.
7. (20.) September. Saschenka, meine Freundini Aus dem kurzen Brieflein, das ich für Dich auf dem Tisch
zurücklasse, kannst Du ersehen, dass Du die Ursache meines Todes in diesem Tagebuch finden wirst. Lies es mit Aufmerksamkeit und Güte und Du wirst meinen Entschluss, der mich veranlasst, aus dem Leben zu scheiden, verstehen und vielleicht sogar gutheissen. Denn ich bin bloss ein niemand nützlicher Mensch und habe so viel gelitten. Ich weiss, dass Du mich liebst, und will diesen heiligen Glauben an Deine Liebe zu unserer Lidotschka mitnehmen in ihre traurige Einsamkeit, die zu teilen ich mich heute mit freudiger Ruhe anschicke.
Jawohl, Saschenka, mit freudiger Ruhe. Glaube nicht, mein Täubchen, zerreisse Dir nicht das Herz mit dem Gedanken, dass ich in Angst und Leiden sterbe, dass es mir weh tut, mir schwer fällt . . . nein, mit Freuden werfe ich die meine Kräfte übersteigende Last des Lebens von mir. Ich bin ein Schwächling, Saschenka) Schon seit drei Wochen verheimliche ich Dir, dass ich meine Beschäftigung verloren habe und dass uns allen Hunger und Elend droht, ich schämte mich. Dir meine Schwäche und Nichtigkeit einzugestehen. Natürlich hätte jeder andere, fähigere Mensch einen Ausweg aus dieser Lage, eine neue Arbeit gefunden, ich aber kann es nicht, und da ich es nicht kann, wozu bin ich denn gut? Der Gegenstand gesellschaftlicher Wohltätigkeit
will ich nicht sein und habe auch kein Recht darauf: gestern sah ich am Bahnhof unsere Invaliden und weinte über ihr bitteres Unglück; diesen muss man helfen, nicht mir.
Und was bin ich Dir, meine arme Schöne, mein goldenes Herz? Ich bin nicht mehr jung an Jahren, mein Äeusseres ist nicht anziehend. Du kannst mich nur aus Deiner unendlichen Güte heraus lieben; bin ich nicht mehr, wird Dir alles leichter und freier sein auf dieser Welt, in der ich stets nur störte. War ich denn ein Mann? Habe ich Dich denn mit starker Hand den schweren Weg des Lebens geführt, mit dem Lichte meiner Vernunft das Dunkel erhellt? Nein, kleine Freundin, ich war schlecht, armselig, egoistisch. Habe ich Dich nicht mit den dummen Ansprüchen meines Magens gequält . . . wie beschämend ist es, sich dessen auch nur zu erinnern, Saschenkal Habe ich Dich nicht in Deinen aufopfernden Bemühungen im Lazarett gehindert. Dich ins Haus zurückgezwungen, stolz behauptet, dass ich mich nicht um die Kinder kümmern könnte; ohne Einsicht dafür, dass Du Dich um die Verwundeten kümmern lerntest, die es schwerer haben als die Kinder? Ich schäme mich des Gedankens, mit was für einem Gesicht, mit welchen Grimassen ich Dir begegnete, wenn Du heimkamst, oder ich selbst ins Lazarett ging, um dort zu nörgeln.
Ich bitte Dicti nur um Eines, vergiss es, denke nie daran, was icti Dir nach Li-dotschkas Tode gesagt habe. Wenn Du Dich meiner hässlichen und grausamen Vorwürfe erinnerst, werde ich selbst im Grabe keine Ruhe finden. Vergiss und verzeihe.
Und noch eins, Du weisst es selbst, wirst es nie vergessen, verheimliche es meinen Kindern, wenn sie älter werden — damit sie sich ihres Vaters nicht schämen. Saschenka . . . Russland hat mich verflucht. Gestern vernahm ich den Fluch, als sie vor meinen Augen standen, die unglücklichen, blinden, zu Krüppel geschossenen Invaliden, unsere. Deine und meine Beschützer; und da brach mir vor unsagbarem Weh das Herz. Als ich die nutzlosen Tränen weinte, die ich nicht gekannt hätte, würde mich nicht der Zufall auf den Bahnhof geführt haben, hörte ich Russlands verdammende Stimme: Sei verflucht. Du mein schlechter Sohn! Das ist keine Einbildung, Saschenka, kein Phantasieren: ich habe die Stimme gehört.
Du kannst sagen, dass dies Wahnsinn ist und es schmerzt mich bitter, sagtest Du es; nein, meine Freundin, wahnsinnig war ich früher, ehe ich diese Stimme gehört und mir an die Brust geschlagen; als ich wie der Pharisäer meine eigene Makellosigkeit lobte und die Anderen verurteilte. Wäre ich ein Deut-
scher, so würde mich Deutschland verfluchen, weil auch dort blinde Invaliden, ohne Arme, ohne Beine, die Verteidiger der anderen sind. Urteile selbst, Saschenka, was habe ich in diesen für das Land so schweren Jahren für Russland getan? Ich habe nur nicht gestohlen, aber genügt denn das? Und wusste doch, wie alle anderen, dass das Vaterland in Gefahr, wiederholte selbst beharrlich diese furchtbaren Worte, wie ein gelehrter Papagei; aber was tat ich? Nichts! Es ist entsetzlich zu denken, welch unerbittliche Verurteilung in diesem kurzen Worte liegt.
Ohne zu beben, mit eigener Hand, vollziehe ich mein Todesurteil, wie man Spione und Verräter hinrichtet, für die auf Erden kein Platz. Russland hat mich mit seiner Mutterstimme verflucht und ich kann nicht, wage einfach nicht weiter zu leben Ich schäme mich. Dir in die Augen zu sehen, Saschenka. Es wird ja, wo ich früher existierte, nicht einmal ein leerer Platz zurückbleiben, so nutzlos war ich allen, niemand wird bemerken, dass ich nicht mehr da bin. Nur ein Zweifel, eine Angst peinigen mich, wird sich meine Lidotschka nicht von mir abwenden, wenn ich sie im Chor der himmlischen Geister suchen werde? Nein, — dort begreifen sie alles besser als hier, und werden mir mein fruchtlos unfreiwilliges, grausames Leiden anrechnen, mit dem ich
meine Nichtigkeit bezatilt habe. Dort gibt es keine Starken und keine Schwachen, dort sind alle gleich und ich werde unter dem Mantel des Heilandes eine Zufluchtsstätte finden. Meine irdische Schuld habe ich getilgt, dort gilt eine andere Buchführung.
Sei glücklich. Du meine Geliebte, Gute, Einzige. Gott möge Dir alle Liebe vergelten, die Du mir geschenkt hast, all Deine Zärtlichkeit, Deine Nachsicht, jede Berührung Deiner lieben, geliebten Hände. Du musst nicht um mich weinen. Lass nur drei Seelenmessen lesen: für Lidotschka, für Pawluscha für die im Kriege Gefallenen und mich. Suche meinen Körper nicht, er wird irgendwo im fernen Meere ruhen. Lebe wohl, lebe wohl.
9. (22.) September.
Es haben sich so wunderbare, so göttliche Dinge ereignet, dass ich sie, um nicht verwirrt zu werden, der Reihe nach erzählen muss.
Es war am dritten Tage. Ich hatte beschlossen mich zu töten, wollte aber noch den ganzen Tag mit den Kindern verbringen, ging mit ihnen im Alexandrowsky-Park spazieren, kaufte ihnen Konfekt, um sie zu erfreuen, und brachte Inna Ivanowna etwas Gutes zum Mittagessen mit. Uebrigens hatte ich auch ihrem Sohn Nikolai jewgenitsch geschrieben, den
Brief glücklicherweise aber nicht abgeschickt. Am Abend, als die Kinder für mich gebetet hatten und schlafen gegangen waren, brachte ich alle meine kleinen Geldangelegenheiten in Ordnung, (wie gut, dass ich keine Schulden habe!), schrieb Briefe an die Polizei und an Saschenka, und ging gegen ein Uhr nachts zur Troizkischen Brücke, von der ich mich, die späte Stunde, da sich keine Leute mehr dort befänden, ausnützend, in die Newa stürzen wollte. Um weniger leiden zu müssen und bestimmt unterzugehen, hatte ich zwei Bleigewichte von der Kuckucksuhr der Kinder, die schon seit langem verdorben ist und nicht mehr geht, abgenommen und in die Tasche gesteckt. Auf dem Wege wollte ich noch einige Steine sammeln. Ich kann ganz aufrichtig sagen, dass ich keine Angst und auch kein besonderes Bedauern empfand; nur als ich Saschenka schrieb, hatte ich ein wenig geweint, doch waren das sozusagen «konventionelle» Tränen gewesen.
Besonders beschäftigte mich der Gedanke, wie meine Teueren ohne mich auskommen würden, und es schien mir, als müsse dies sehr gut gehen. Vaterlose Kinder haben allüberall ein Anrecht auf Hilfe, auch setzte ich einige Hoffnung auf Nikolai Jewgenitsch, an den ich mich persönlich nicht hätte wenden können. Kurz, alles schien in Ordnung; den halben