Выбрать главу

Weg dachte ich bloss darüber nach, bis ich, in der Moskauer Strasse angelangt, vor mir schwarz und öde die Newa sah. Die Nacht war düster und bewölkt, die Peter-Paulsfest-ung von dieser Seite aus kaum zu sehen, nur, wohl von dem Tor der Festung her, leuchtete schwach eine Laterne. In diesem Dunkel sah der breite Fluss wie das Meer aus. Lieber dem Wasser hingen die hellen, unbeweglichen Lichter der nahen Troizkischen Brücke, tiefe Stille, kein Mensch war zu erblicken. «Dort werde ich es tun,» dachte ich, die kalten Bleigewichte in meiner Tasche zusammenpressend. Feuchtigkeit und der Geruch des Wassers schlagen mir ins Gesicht. Lautlos klettere ich auf das Granitgeländer und laufe weiter vor. Wozu mich beeilen? Ich bleibe stehen und sehe mich um.

Und hier, in diesem Augenblick, ereignete sich etwas so Besonderes mit mir, dass es mir unendlich schwer fällt, es zu schildern. Ich bin im allgemeinen kein dummer, aber auch kein kluger Mensch, vieles sehe ich nicht, vieles weiss ich nicht, mehr noch verstehe ich nicht . . . und werde ich nie verstehen trotz aller Mühen und Anstrengungen; und nie, so weit ich mich dessen entsinne, hatte ich wirklich grosse Gedanken. Hier aber vollzog sich eine Wandlung in mir, so unglaublich, wie in einem Märchen. Es war, als sähe ich plötzlich

mit tausend Äugen, tiörte mit tausend Otiren, der Kopf war so erfüllt von grossen Gedanken, dass ich nicht imstande war, mich zu bewegen; sitzen konnte ich, auch stehen, aber gehen, das war unmöglich. Und jedes Wort im Gehirne schien zu verstummen, selbst die Benennungen der Gegenstände waren wie vergessen, es waren nur Gedanken da, grosse, unerbittliche, so gross, dass sie den ganzen Erdball zu umspannen schienen. Nein, ich kann es nicht richtig ausdrücken.

Das erste, was ich begriff, war, dass ich ein Mensch sei, einer jener,, die man meint, wenn man die Worte: «Leute», «Menschheit», «Mensch» ausspricht. Ich bin ein Mensch, ich, der ich hier. Gewichte in der Tasche mit einem Ueberrock bekleidet, in der erbarmungslosen, in Nacht gehüllten Stadt am reissenden Wasser stehe. Und wo sind die anderen Menschen? dachte ich weiter — und sah vor mir alle Menschen der ganzen Welt. Ist denn ein Unterschied zwischen Lebenden und Toten? Wohin gehen die Toten, woher kommen die Lebenden? Und wieder dachte ich weit, weit, sah sie alle, die Toten, die Lebenden, die Zukünftigen, eine ungeheure Zahl, vorbeitreibend gleich einer Vision, in den mondhellen Wolken schwebend, im Regen, im Wehen des Windes, in den Sonnenstrahlen, dem Fliessen des Flusses. Und ich wusste — jetzt weiss ich mir keine

Erklärung dafür, — dass ich unsterblich sei, unsterblich bis zur Lächerlichkeit: Petersburg konnte tausendmal untergehen, ich würde immer leben.

Also geschah mit mir auf der Troizkischen Brücke, an jenem Fleck, von dem ich mir vorgenommen hatte, ins Wasser zu springen; und plötzlich erschien mir der Selbstmord als etwas so Törichtes, dass ich ruhig an meiner Statt die beiden Gewichte ins Wasser warf, das Wasser spritzte nicht einmal auf, als sie hineinfielen. Und wieder dachte ich lange nach, das vorbeifliessende, von den Laternen beleuchtete Wasser betrachtend. Dann sah ich zum dunklen, endlosen Himmel auf und wieder keimten in mir Gedanken auf . . . wohl kann ich mich derer nicht mehr entsinnen, doch war alles so klar, so gross, genau als wäre ich ein wahrhaft Weiser, der alles sieht und alles versteht. Hinter mir erscholl auf der Brücke der Lärm von Automobilen, und ich wandte mich, ohne den Grund zu wissen, um, wartete lange auf das Herankommen anderer Automobile und freute mich, als ich an der Biegung zwei elektrische Lampen aufleuchten sah und das Schrillen der Huppe vernahm.

Und plötzlich kam eine grosse Demütigung über mich. Ich kann die Empfindung, die mich zusammen mit einem leisen Erschauern vor

der Kälte des Wassers erfasste, nicht anders denn Demütigung nennen . . . icti weiss nictit, wie es kam, aber von den Hötien der Weistieit und des Verstehens, auf denen icti mich noch eben befand, stürzte ich, fast ohne es zu bemerken, in ein Beben, ein Gefühl der eigenen Nichtigkeit und Furcht hinab; einer solchen Furcht, dass mir die Finger in den Taschen erstarrten und sich krümmten wie Vogelkrallen. «Ich fürchte mich,» dachte ich eine grausame Angst vor dem Tode empfindend, zu dem ich schon bereit gewesen, und ganz vergessend, dass ich ja schon früher die Gewichte ins Wasser geschleudert, den Gedanken an einen Selbstmord aufgegeben hatte, also eigentlidi unmöglich mehr Furcht verspüren konnte. Jetzt will es mir scheinen, dass ich mich nicht mehr fürchtete, wie ich es gewöhnlich tue, dass meine Not nicht grösser war, denn sonst; damals aber kam mir meine Angst ungeheuer vor. Wo waren meine Weisheit, meine grossen Gedanken hingeschwunden? Ich stand auf der Brücke, wagte nicht einmal einen Blick auf den Fluss zu werfen, und zitterte, zitterte so, dass meine Zähne aufeinander schlugen. Und zu gleicher Zeit machte ich in meiner Verzweiflung einen Art Versuch, mass mit meinem Körper die Höhe des Geländers: «Gleich wirst Du Dich hinabstürzen,» dachte ich verzweifelt und fühlte schon, wie sich meine Fusszehen in

den Stein einkrallten und keinen Halt fanden. «Gleich wirst Du stürzen, gleich! ...»

Und nun, diesen gewaltigen Schrecken empfindend, sah ich plötzlich in der Erinnerung ganz klar, gleichsam vom Sonnenlicht beleuchtete, wie wir damals zu Beginn des Krieges in einem Gefährt aus Schuwalow flohen, sah meine Lidotschka und die Blümchen, die ich am Wegrand für sie pflückte und entsann mich meiner zu jener Zeit so unerklärlichen Angst . . . Dies also war es, was ich damals so gefürchtet hatte. Dies also ahnte und wusste meine Seele voraus! Darum die Blümchen und unsere Hast, das angstvolle Umsichblicken, der Wunsch weiter zu kommen, irgendwo auf der Welt eine Zuflucht zu finden . . .

Die Seele wüste, was ihrer harrte, und zitterte im schwachen Menschenleibe.

«Mein Gott, das ist alles der Krieg,» dachte ich und mit einem Mal sah ich ihn in seiner ganzen Entsetzlichkeit, seiner ganzen verwüstenden Kraft. Ich vergass, dass ich in Petersburg sei, dass ich auf der Brücke stehe, vergass meine ganze Umgebung, sah nur den Krieg, den ganzen Krieg. Nein, es ist unmöglich dies wiederzugeben, dieses neue Grauen, diese Tränen, die mir unbemerkt aus den Augen flössen, und so fliessen sie, — fliessen sie, — fliessen noch immer.

Zum Glück wandte mir ein Vorübergehender seine Aufmerksamkeit zu, er war schon vorbei, kehrte aber wieder um und sagte irgendetwas zu mir. Ganz nahe, wie in einem Spiegel, sah ich ein fremdes und mir daher unheimliches Gesicht, unheimliche Augen, wich vor ihm zurück, rief irgendetwas und eilig, fast laufend, ging ich über die Brücke, zu Saschenka zurück.

Ich weiss nicht mehr, wo ich in einen Wagen stieg, wie viel ich bezahlte, nicht einmal mehr, wie ich ins Lazarett kam, weiss nur, wie ich dort vor Saschenka auf die Knie fiel und von Tränen unterbrochen, am ganzen Körper zitternd, ihr meine Beichte vorbrachte . . . Und ich sage und bezeuge es vor Gott und allen Menschen: meine Saschenka ist eine Heilige, sie gehört nicht mir, sie gehört Gottl Sie steht hoch über allen Menschen, ihre Heiligkeit ist so gross, dass ich nicht wage ihre Hand zu berühren, mein ganzes Leben muss ein ihr hingegebenes Gebet sein, mein ganzes Leben müsste ich auf den Knien vor ihr liegen. Du, meine Makellose, Herz aller Herzen, Seele aller Seelen, Saschenka, Du mein Heul

Ich Schurke, ich erwartete Vorwürfel Und was hörte ich, als ich unter Schluchzen und Tränen ihre heiligen Worte vernahm?

«Das tut nichts, Du brauchst keine ArbeiL Man hat mir hier ein Gehalt angeboten, ich

wollte es nicht, werde es jetzt aber annehmen. Und wir werden davon leben und die Kinder ernähren. Du wirst bei mir sein, wir werden zusammen tun, was wir können. Jetzt aber bist Du wie ein Schwerverwundeter und ich führe Dich heim. Du wirst sehen, wie die Kinder schlafen, wirst unsere Mutter umarmen. Deine Seele soll sich beruhigen und ausruhen. Mein Armer, Du mein Aermster, llenka. Täub-chenl»

Sie nennt mich noch llenkal Und dann begann sie selbst zu weinen und meine grauen Haare zu küssen. Ich murmelte: