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Es ist uns gelungen, die überflüssigen Möbel, die uns nur zur Last waren, vorteilhaft zu verkaufen. Saschenka bleibt noch einen Tag daheim, dann kehrt sie in ihr Lazarett zurück; sie wird auch für mich irgendeine erträgliche Beschäftigung suchen. Wo sind die Worte, die auszudrücken vermögen, wie sehr ich sie verehrel Sie zieht mich aus der Grube, in die zu verkriechen mir beliebte.

Finotschka trat eben aus dem Gastzimmer, um mich zu suchen. Eine volle Stunde sass sie bei mir und erzählte mir voll Entsetzen von der Invasion der Deutschen. An ihrer Blässe, ihren unzusammenhängenden Worten erkannte ich noch deutlicher als aus den Zeitungen, mit welcher Angst unsere Hauptstadt und unser

ganzes Volk dem Einfall des Feindes entgegensieht. Nicht um unserer Verdienste, unseres Reichtums und unserer Kraft willen — erbarme Dich unser o Herr, aber um unsere Armseligkeit, unseres Elends willen, die Du so liebtest, als Du auf Erden wandeltest.

Ich kann nicht einschlafen, es treibt mich irgendetwas zu tun. Es ist schrecklich, mit müssigen Händen dazusitzen, ich würde gerne den Fussboden fegen, — aber er ist schon gefegt. Nein, morgen schicke ich Saschenka ins Lazarett zurück, es hat keinen Sinn, es hinauszuschieben.

Wäre meine Brust etwas breiter, ich hielte sie ohne Zaudern den deutschen Geschossen hin, als Mauer für die Anderen.

15. (26.) September. Ich habe schon zwei Angebote, das eine als Buchhalter bei dem Komitee zur Unterstützung der Flüchtlinge, mit einem kleinen Oe-halt, das andere — an der Front, als Pfleger in der Etappe. Ich ziehe natürlich das letztere vor, werde auch das erste annehmen, wenn es sein muss.

Inna Ivanowna geht es schlecht, immer wieder ruft sie nach Pawluscha.

18. September (1. Oktober). Ich sammle für die Verwundeten

20. September (3 Oktober).

Nie hätte ich mir vorstellen können, dass sich in den Tränen ein so unsagbares Glück verbergen könnte! Und es ist so seltsam, früher verursachte mir das Weinen Kopfweh, ich empfand einen bitteren Geschmack im Munde und ein heftiger Schmerz zerris mir die Brust, jetzt aber weine ich leicht, schmerzlos, als ob es mir Freude machte. Besonders fiel mir dies auf meinem zweitägigen Rundgang mit der Sammelbüchse durch Petrograd auf, als jede Gabe, jeder Beweis der Teilnahme für die Verwundeten mich unsäglich bewegten. Und wie viel gute Menschen, wie viel goldene Herzen zogen an meinen glücklichen Äugen vorbei.

Meine langen Beine und den Umstand ausnützend, dass man mir als Genossen einen kleinen, aber flinken und unermüdlichen Gymnasiasten mitgegeben hatte, gelangte ich auf meinen Wanderungen bis Ochza und hier unter den armen Leuten, den Arbeitern und Handwerkern, verbrachte ich eine ausnehmend freudige Stunde.

«Wie die gebenl» sagte der Gymnasiast Fedia zu mir. «Wie die geben, nimm nur!»

«Ja, Fedia, wie sie gebenl Nimm nur!» antwortete ich lächelnd auf seine naiven Worte und fühlte, wie meine Äugen feucht wurden. Ich sah, wie der bärtige Arbeiter eifrig seinen

Kopeken oder seinen Fünfziger hergab und er war mir so lieb, dass ich mich schämte, ihm in die Augen zu sehen. Ich liebte seine Hände, seinen Bart, alles an ihm, an diesem wertvollen, ehrlichen Menschen, den kein Krieg verderben konnte! Angenehm war es auch, dass sie nicht verlegen wurden, sich nicht entschuldigten, wie dies am Newsky oder Morskoi öfters vorkam. Viele fragten mich:

«Ist das Ihr Söhnchen?»

«Nein, wir sind Bekannte,» antwortete dann Fedia ein wenig beleidigt, er kam sich schon zu erwachsen vor, um irgend jemandes Söhn-chen zu sein. Er nahm mir die schwere Sammelbüchse aus der Hand, bis er sie nicht mehr tragen konnte, führte mich, das heisst er kommandierte voller Würde mit mir herum.

Zweimal füllten wir die Büchse an und Hessen uns von unserer Arbeit so hinreissen, dass uns schliesslich vor lauter Müdigkeit die Beine nicht mehr tragen wollten, besonders Fedia war ganz erschöpft. Wir waren schon halbtot, als wir durch eine Nebengasse an jene Seite der Neva gelangten, wo sich die kleinen Fabriken mit ihren rauchenden Schloten erheben. Wir setzten uns ans Ufer. Lange genossen wir dort die Stille des schönen Abends, den Anblick der Barken und Dampfer, der breiten Neva, der rosigen Wolken ... nie werde ich diesen Abend vergessen. Ein vorbeifah-

rcnder Schleppdampfer trieb kleine, leise plätschernde Wellen an das flache Ufer, aus den grossen Holzbaracken krochen vergnügte Kinderchen und spielten ihre abendlichen Spiele, auf dem einen Ufer waren bereits die Laternen angezündet und strahlten ein mildes, blaues Licht aus; in meiner Seele war eine solche Ruhe, eine solche Reinheit, als wäre ich selbst wieder zum Kinde geworden. Ich schwieg und auch Fedia, der zuerst lebhaft über die Deutschen geplaudert hatte, wurde schweigsam und nachdenklich. Dann gingen Soldaten über die Ochtenskische Brücke, durch das Lärmen der Fuhrwerke klangen Bruchstücke ihres Gesanges zu uns herüber.

«Singen die Soldaten?» fragte Fedia aufgeregt. «Wo sind sie.»

«Auf der Brücke . . . hör' zu!»

Wie schön, wie kunstlos singen die Soldaten mit ihren einfachen, natürlichen Stimmen, man fühlt aus den Klängen das ganze Russland heraus, die heimische Erde, das ganze Volk. Schon war das Lied verklungen, es begann zu dunkeln, das ganze Ufer wurde von den Laternen und den aus den Fenstern schimmerden Lichtern erhellt, und noch immer dachte ich darüber nach, wie unzertrennbar die Soldaten und Russland sind . . . Russlandl Wie im Traum sah ich die herbstlichen Wälder, den herbstlichen Weg, die Lichtlein in den

Hütten, den Bauer auf seinem Karren. Sah die Pferdeschnauze, und es war etwas so Liebes an diesem Bild, mit zärtlicher Dankbarkeit gedachte ich des Gaules ewiger Arbeit, anderer Pferde, Dörfer und Städte ... Es schien mir, als käme mich Schlaf an. Aber Fedia, welche Trauer! Er war fest eingeschlafen, den Kopf an mich gelehnt. Ich hob seine herabgefallene Mütze auf, aber ich konnte ihn nicht wach bekommen, er lehnte sich immer von neuem schlaftrunken gegen mich. Ich zwang ihn die Augen zu öffnen. Er brummte:

«Bei Gott, ich kann nicht mehr gehen.»

«Ich sollte Dich schelten, aber meine Kräfte reichen nicht aus. Gehen wir bis zum Dampfer und fahren wir dann von dem Suworow Platz mit dem Tram.»

«Ja, gehen wir zum Dampfer,» willigte Fedia ein, er liebt die Dampfer sehr, mein verehrter Genosse.

So haben wir zwei Tage zusammen gearbeitet. Gestern regnete es leider und unsere Sammlung litt darunter, aber das Gefühl der Freude blieb, denn der Mensch leuchtet noch heller im herbstlichen Schmutz und Unwetter.

Ich dürfte meine Ernennung an die Front erhalten.

24. September (7. Oktober).

Wir tiaben Inna Ivanowna begraben. Schon seit langem lebte sie nur metir dem Schein nach und nun ist sie zu ihrem Pawluscha gegangen. Ich weiss nicht, ob sie einander dort begegnen werden, aber sie sind nun beide dort an jenem Ort, den wir nicht kennen, wo meine l.idotschka ist, wohin auch ich unterwegs bin.

Und wie viele doch sterben) Als ob im Walde eine Lichtung ausgerodet würde, jeden Tag verschwindet ein bekannter Baum.

Hartnäckig kehrt ein bitteres Gerücht immer wieder, auch die Zeitungen schreiben, dass die Deutschen immer näher kämen. Seit dem Frühjahr sind sie unaufhaltsam. Schritt für Schritt, in Russland eingedrungen, stehen nun vor Riga und der Düna; und gleichsam wie durch einen baufälligen Zaun sehen uns ihre drohenden Äugen an und der Tag ihres Einzuges liegt im Dunkel des Unbekannten.

Voll Traurigkeit und unerträglichem Mitleid betrachte ich die Menschen. Wie hart ist doch ihr Los auf dieser Erde, wie schwer ist's mit der eigenen, rätselhaften Seele leben zu müssen) Was verlangt diese dunkle Seele, wohin zieht sie durch Blut und Tränen?