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Es versteht sich von selbst, dass ich mein Vaterland Russland liebe und würde es überfallen werden, sei es von einem Narren oder Wahnsinnigen, so müsste ich es verteidigen. Das ist wie gesagt selbstverständlich und ich spreche in der Aufrichtigkeit meines Gewis-

sens, so wahr Gott lebt, dass ich, wenn ich noch militärpflichtig wäre, es mir auch keinen Augenblick überlegte, mich zu fügen, dass ich mich nicht krank stellen, Protektionen ausnützen, mich irgendwo verstecken würde, sondern marschierte, ohne gezwungen werden zu müssen, auf dem Felde stünde, auf meinem Posten wartete, allein oder mit den anderen, bis man mich tötet oder ich töte, wie es dort eben sein muss.

All dies ist selbstverständlich und es handelt sich darum, dass ich zum Glück fünfundvierzig Jahre alt bin und das volle Recht habe, mich nicht vom Fleck zu rühren, denken und urteilen kann, wie ich will, ein Feigling und ein Narr, oder vielleicht kein Narr — sein darf. Das ist mein gutes Recht, mein Schicksall Anstatt Ilia Petrowitsch Dementjew zu heissen und in Petersburg auf dem Potstamskoi-Platze zu wohnen, hätte ich ebensogut irgend ein Belgier sein können und könnte nun bereits von den deutschen Geschossen ins Verderben gebracht worden sein. Aber ich bin Ilia Petrowitsch, der fünfundvierzig jähre alt ist, auf dem Potstamskoi-Platz in Petersburg wohnt, wo die wilden Germanen nie hingelangen werden, und ich bin glücklich.

Ja, und was könnte nicht alles sein! Statt an unserem Bankhaus angestellt, das fest wie

eine Mauer steht und alle Anstösse des Krieges aushalten wird, könnte ich an irgend einem kleinen Unternehmen beteiligt sein, das ietzt schon erschüttert ist, wie so viele es sind . . . und mitsamt meiner Lidotschka auf die Strasse geworfen werden. Oder ich könnte ein Pole aus Kaiisch sein, oder auch ein Jude, wie ein Aas im Graben liegen, oder an einem Strick hängen; jedem sein Schicksal.

Aber es ist nutzlos, über derlei Dinge hin und her zu raten, und wie sehr ich auch die Belgier und unsere Soldaten bedaure, die fallen oder im Schützengraben liegen müssen, kann ich doch nicht umhin, mich zu freuen, dass ich das bin, was ich bin. Mein Gott, wenn ich statt meiner wundervollen Saschenka irgend eine schreckliche Frau hätte, wie es deren so viele auf der Welt gibt, so wäre auch dies Schicksal und ich kann nicht anders, als mich über mein Glück freuen, nun ich es habe.

Eben spielte Saschenka die bulgarische Nationalhymne und ich lauschte ihr — welch schöne Musiki Welche Seelengrösse, welche Liebe zum Vaterlande und der Freiheit klingt aus ihr heraus. Zuhörend traten mir die Tränen in die Augen, im Gedanken an die armen Belgier, denen die schöne Musik, die Liebe zum Vaterande nichts half gegen die Erdrückung durch diese verfluchten Deutschen.

NeinI Was immer auch unsere Kontorpolitiker beweisen können, nie werde icti zugeben, dass der Krieg etwas Sctiönes ist. Welctie TorheitI Die Leute netimen an, glauben, sind überzeugt davon, dass es vorteilhaft und schön wäre, Berlin einzunehmen, und dass die Gerechtigkeit triumphiere. Welche Gerechtigkeit? Gegen wen? Und wenn unter den gefallenen Belgiern genau so ein Ilia Petrowitsch ist wie ich — und warum sollte keiner sein — wie viel nützt ihm diese Gerechtigkeit?

Saschenka sagt, es sei schon spät und ruft mich zum Schlafengehen; und soll ich mich nun nicht freuen, dass ich nach der ehrlichen Arbeit des Tages schlafen gehen kann?

Petrograd, 19. August (1. September). Donnerstag.

Ein historischer Tag, Petersburg ist in Petrograd umgetauft worden. So bin ich von nun ab ein Petrograder.

Es ist sehr schön, nur mühsam, sich daran zu erinnern. Unser Kontor ist aufs höchste erfreut, mir aber tut es in der Seele leid um das alte Petersburg, ja sogar um Sankt-Peters-burg. Bei diesem Petrograd fühlst du dich so, als hättest du einen neuen Gehrock an, den ganzen Tag kommt es dir vor, als wärest du

auf einem Empfang beim Vorgesetzten; er ist sehr schön, der neue Gehrock, aber es tut dir doch leid um deinen alten Rock, auf dem jeder Fleck dir von wohltuender Gemütlichkeit spricht.

22. August (3. September).

Wir fahren fort zu siegen. Die Prcussen sind mit unserer Armee zusammengestossen und es geht das Gerücht, dass wir spätestens morgen Königsberg einnehmen werden. Und heute meldet der Gencralstab, dass wir Lern-berg besetzt haben, dass die Oesterreicher völlig geschlagen sind.

Ich will offen bekennen, wie friedliebend ich auch bin, so begrüsse ich diese Nachrichten immerhin mit Freude, gratuliere mir und anderen dazu; wenn man schon Krieg führt, so ist es besser, der Sieger als der Besiegte zu sein. Wie verheerend ist doch dieser Krieg, wie rasch jagen seine feuerspeienden Schritte dahin! Es erinnert mich an eine grosse Feuersbrunst, die ich als Kind auf einem Dorfe gesehen habe; ein einziges Haus hatte zu brennen begonnen, im Verlauf einer Stunde hatten alle Strohdächer Feuer gefangen, das ganze Dorf war nur mehr ein endloses Flammenmeer.

Es ist interessant für den Moralisten, diese Eigenheit der Menschenseele zu beobachten, die eine Feuersbrunst als etwas Schönes

empfindet. Je wütender die Flammen um sich greifen, desto mehr ruft dies ein seltsam festliches Gefühl hervor. Kommt es durch das Glockengeläute, das Blitzen der Flammen, den Anblick der aufgeregt durcheinander rennenden Menge? Ich entsinne mich des Eifers, in dem wir in meiner Jugendzeit, die ich am Gymnasium einer Provinzstadt verbrachte, zu jeder Feuersbrunst liefen; in den Werkstätten wurde die Arbeit niedergelegt, keiner dachte ans Umkleiden, an sein ungewaschenes Gesicht; sobald der Ruf «Feuer» erscholl, das Läuten der Glocke ertönte, eilten alle, Männer und Knaben, zur Brandstätte, standen dort, kaum atmend, die Arme ausbreitend, wie ein Feldherr auf seinem Monument. Sogar im Gymnasium wehrten es uns die Lehrer nicht, wenn beim Geläute der Feuerwehrwagen alles im Stich gelassen, und sie kamen mit uns, den Brand zu besehen.

Natürlich gedachte in diesem Augenblick kaum einer der Unglücklichen, die durch den Brand geschädigt wurden. Ich gebe zu, dass ich heute mit einiger Aufregung und einem ungeheuren Interesse auf das Bild der europäischen Feuersbrunst blicke, mit Neugierde jedem neuen Tag entgegensehend. Wenn ich selbst auch für den Frieden bin, so muss trotzdem die Ueberzeugung unserer Kontoristen, dass wir, die Zeitgenossen und Beobachter

dieses aussergewöhnlichen Krieges, einen gewissen Stolz auf unsere Lage empfinden sollen, nicht ganz grundlos sein. Stolz bin ich nicht, aber es interessiert mich.

Nur Pawluscha ist mir ein Stein am Herzen. Freilich, noch ist alles gut, er marschiert irgendwo siegreich durch Preussen, aber wer kann für den morgigen Tag gutstehen? lind wo befände ich mich jetzt, wären seit meiner Geburt nicht fiinfundvierzig, sondern zwanzig oder dreissig Jahre verflossen? Ein abkühlender Gedanke, zu dem man öfters zurückkehren muss, um sich nicht von dem übergrossen Interesse hinreissen zu lassen.

7. (20.) September, Sonntag.

Nun sind es schon zwei Wochen und zwei Tage, dass wir keinerlei Nachrichten von Pawluscha erhalten haben. Aus den letzten Mitteilungen konnte mar darauf schliessen, dass er irgendwo in Preussen sei, wo die Truppen Samsonows eine so entsetzliche Niederlage erlitten haben. Natürlich wird Sa-schenka von Sorge gequält, fast jeden Tag kommt ihre Mutter, Inna Ivanowna, zu uns, und der Anblick ihres Grames scheint das ganze Haus in Trauer zu hüllen. Eben kam sie und trinkt nun mit Saschenka Kaffee im Speisezimmer, während ich hier schreibe.

Ausser ihrem jüngsten, Pawluscha, hat Inna

Ivanowna noch einen Sohn, bei dem sie für gewöhnlich lebt, aber mag sein, dass sie deshalb jeden Kummer, jede Sorge zu uns bringt, weil Nikolai ein nüchterner trockener Mensch ist, oder es ihr natürlicher deucht, sich in Familienangelegenheiten an die Tochter zu wenden. Es versteht sich ja von selbst, dass ich die harmlose alte Dame von Herzen liebe, aber ich kann es nicht verhehlen, dass mir diese ewigen Besuche auf die Dauer ein wenig langweilig werden. Sie kommt mit Klagen und Tränen, früher galten sie Nikolai, der sehr schlecht mit seiner Frau lebt, nun weint sie um Pawluscha; immer hat sie irgend etwas, das ihr zum Jammern Anlass gibt. Sie bringt eine Disharmonie in unser kleines Glück hinein.