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Ich liebe ja Pawluscha selbst und kann nicht ohne Schaudern daran denken, was in diesem Augenblick vielleicht geschehen mag, vielleicht wird er eben im Moment, da ich seinen Namen schreibe, getötet, oder er kann schon längst tot und begraben sein. Gestern Abend Hess mich ein quälender Zwiespalt in meiner Seele lange nicht einschlafen; ich konnte mich nicht entschliessen, Paw-luschas wie eines Lebenden zu gedenken, und hatte doch kein Recht, mich seiner wie eines Toten zu erinnern. Bald beklagte ich ihn, der in seinem Graben allen Gefahren ausgesetzt ist und dachte an die warmen Sachen, die wir

ihm schicken müssen, — bald wollte es mir scheinen, als miisste ich bereits seinen Tod beweinen . . . Nichts wissen wir, nichts!

Und ich weiss, das5 er, wenn auch nicht heute (irgend ein Gefühl sagt mir, dass er noch lebt), doch früher oder später bestimmt fallen wird in diesem unseligen Krieg, der mehr Aehnlichkcit mit einer komplizierten Mcu" schenschinderei als mit dem Triumph der Gerechtigkeit hat. Wenn auch viele in unserem Kontor davon überzeugt sind, dass der Krieg im November beendet sein wird und ich mit ihnen nicht darüber streite, so erscheint mir dieser Optimismus doch ungerechtfertigt; vor Weihnachten kann kein Friede zustande kommen, das bedeutet noch fast vier Monate. Und da jeden Monat Zweihundertiausend getötet werden, kann man sich vorstellen, wie gering Pawluschas günstige Aussichten sind.

Ich bin ein Mann mit männlicher Geisteskraft, ich kann mir das Unentrinnbare vorstellen, kann den Schlag, wenn er unsere Familie trifft, standhaft hinnehmen, aber was soll aus unserem Heim, was aus Saschenka, was aus dem Mütterchen werden, das selbst daran sterben könnte?

Gestern, in der schlaflosen Nacht, überdachte ich, wie man es dem Mütterchen mitteilen müsste, wenn es sich ereignen sollte. Und wer wird es ihr sagen? Schon der blosse

Gedanke daran verursachte mir Herzklopfen. Das erste ausgesprochene Wort würde mit einem Mal die ganze Welt vor den Augen eines Menschen verwandeln, vor einer Minute war alles, war die ganze Welt noch so, nach dieser Minute ist alles, ist die ganze Welt anders. Und den ersten Ausbruch dieses Schmerzes auf sich zu nehmen, wird um so schrecklicher sein, als man vorher nicht weiss, welche Folgen dieser Schmerz haben wird . . . Tränen, Schreie, wie man sie noch nie gehört, vielleicht den Tod!

Eben, im Speisezimmer sah ich auf ein Stückchen Zwieback, das Mütterchen zum Munde führte und überlegte, was wohl mit diesem Zwieback geschähe, wenn es plötzlich hiesse: «Pawluscha ist gefallen!» Und ich stellte mir ganz deutlich vor, wie dei* halbe unglückselige Zwieback auf die Erde fiele, sah sogar den bestimmten Fleck am Fuss-boden, wo er liegen und wie ihn nachher Anissia, nichts wissend, aufheben und essen würde.

Dies Petrograder Herbstwetter übt einen schlechen Einfluss auf uns alle aus, die Kinder sind launisch, sogar meine gute Lidotschka verändert ihr engelhaftes Wesen und prügelt sich mit Petia; was ist sie doch für ein bezauberndes kleines Geschöpf!

Dasselbe Datum, am Abend.

Eben komme ich heim, spazierte drei volle Stunden an den Ufern und auf dem Newsky. Mein Gott, wie schön ist doch diese, unsere nördliche Hauptstadt, wie reich, wie mächtigl Viele lieben unser Petrograd nicht, sogar im Kontor kann man oft den dummen Sh^eit hören: Petrograd oder Moskau. Natürlich schweige ich dazu nach meiner Gewohnheit; lohnt es sich, Leute überzeugen zu wollen, die teils blind sind, teils nicht sehen wollen? Besonders widerlich ist in dieser Beziehung unser Pole, den wir im Kontor haben, er hat ein halbes Jahr in Paris zugebracht, um zu studieren, hat dort aber bloss eine einzige verächtliche Grimasse zu schneiden erlernt. «Du Dummkopf, Dul Du solltest nur eine solche Stadt erbauen müssen!» denke ich mir oft.

Als ich heute auf den Newsky trat, begriff ich, wie es wäre, wenn plötzlich die elektrischen Lampen ausgingen und das graue Dämmerlicht sich in tiefe Nacht verwandelte. Es ist doch erstaunlich, dass die Lampen stets, wie immer das Wetter auch ist, mag es nun frieren, regnen oder schneien, den Eindruck eines guten Wetters vortäuschen. Mit wahrhaftem Genuss begab ich mich unter die Menge, die mir heute grösser und lebhafter erschien denn sonst, und Hess mich von ihr gegen den Admiralitätspalast treiben, ohne meines

Weges zu achten, als flögen wir alle durch die Luft. Die ganze Zeit ergötzte ich mich an den vielen Lichtern, die grün, weiss und rötlich durch das Dunkel schimmerten. Dröhnend eilten die Tramways vorbei, man konnte ihre rasch aufeinander folgenden grünen und roten Lichter nicht zählen, zahlreiche Automobile mit leuchtenden Augen flogen über die Brücke, gegen den schwarzen Himmel hoben sich Transparente ab, die Menschenmenge flutete durcheinander, summte, fuhr in Droschken vorüber (wohl Leute, die einer Einladung Folge leisteten), Traber rasten vorbei ... ich vermag den grossartigen Anblick gar nicht zu schildern.

Dieses Ufer, die hohen unerbittlich aussehenden Paläste, das schwarze Wasser des Flusses, das bloss hier und dort durch die Lichter der spärlichen Dampfer erhellt wurde, die kaum zu unterscheidende Peter-Paulsfcstung, darin die Grabmäler unserer Zaren, das traurige Glockenspiel, das die Zeit verkündet . . . Auf den runden Granitsteinen schweigende Pärchen: so wie einst Saschenka und ich dort Sassen, und ich meine Hand, unter dem Vorwand zu frieren, in ihren warmen Muff schob. Lange betrachtete ich den Bau der Schloss-brücke,und bedachte, in wie hohem Masse sie doch unsere wundervolle Hauptstadt verschönere.

Auf dem Heimweg, inmitten dieser zatil-losen, von allen Seiten drängenden Menge, dachte icti darüber nacti, wie weit dieser entsetzliche Krieg doch von uns entfernt und wie schwach er mit all seinem Grimm gegen das Leben und die Schöpfungen der Menschen sei. Wie unverändert, gleichgeblieben war dies alles. Die Tramways, die Droschken, auf den Steinen die Pärchen, der ganze Gang unseres Lebens . . . und meine damalige, anfängliche Angst schien mir lächerlicher denn je; was haben wir zu fürchten?

In Berlin, so sagt man, sei bereits die Hälfte der städtischen Beleuchtungskörper ausser Tätigkeit gesetzt worden und die Deutschen begännen schon zu hungern. Zweifellos sind sie selbst schuld an diesem mörderischen Krieg und ich als Russe sollte mich über ihr Elend freuen, aber ... ich sage abermals, was ich mich nie entschliessen könnte im Kontor auszusprechen, wenn ihr Berlin ein wenig unserem Petrograd ähnelt, so ist mir darum leid. Wenn es kalt ist in der Stadt und dunkel, und wie kalt und dunkel muss es sein, werden diese Unglücklichen jetzt denken: wozu haben wir diesen verdammten Krieg begonnen, wenn das Resultat für uns nur Kälte, Dunkel und Schande ist? Nein, wie sehr ich mich auch bemühe, ich verstehe nicht und werde es nie verstehen,

was die Menschen treibt, einander zu töten, welctien Nutzen es tiat, welchen Sinni

Es ist Zeit, schlafen zu gehen, eines aber schrieb ich noch nicht nieder und plaudere da von müssigen Dingen, es ist eine Karte von Pav/Iuscha gekommen, er lebt, ist gesund. Sie kam eben im Augenblick, als Mütterchen sich anschickte, nach Hause zu gehen und bereits im Vorzimmer ihre Pelze umnahm.

Natürlich war die Freude gross, und ich teilte das Glück mit ihnen.

Und doch wie zerbrechlich ist unser menschliches Glück)

12. (25.) September.

Mag sein, dass es bloss mich so deucht... aber es liegt etwas wie eine grosse Täuschung in der Luft. Auf der einen Seite verflucht man den Krieg mit seinem Blutvergiessen, seiner Grausamkeit, auf der anderen reiben wir uns aus irgend einem seltsamen Wohlbehagen die tiände. Sind es unsere Siege inGalizien und die kriegerischen Ereignisse an und für sich . . . irgend eine Wandlung vollzieht sich in den Gehirnen* jedenfalls fliegen freudige Gerüchte durch die Zeitungen und durch unser Kontor; übertrieben freudige Gerüchte.