Выбрать главу

Natürlich sind die Belgier Helden und ihr König Albert ist eine bedeutende Persönlichkeit; seiner Krone würdig; aber schliesslich

werden diese Helden doch hingeschlachtet, ja hingeschlachtet, und warum man darüber besonders frohlocken soll, verstehe ich nicht, wenn ich dies auch nicht ausspreche.

Ich habe mich ja auch nicht ferngehalten, habe selbst ein Porträt König Älberts gekauft, angesteckt von der allgemeinen Begeisterung. Aber trotzdem kann ich den Krieg nicht gut-heissen. Sehe ich in den Zeitungen die riesen-grossen, gleichsam zähnefletschenden Artikel-Überschriften: «Jaroslaw brennt!» oder «San-domir steht in Flammenl» so empfinde ich jedesmal in meinem Kopf irgend ein quälendes Gefühl; ähnlich einem scharfen Stoss, oder als ob mir ein Fremdkörper ins Gehirn gedrungen wäre. Es verlangt eine gewisse Phantasie, um sich das Bild vorstellen zu können: «Jaroslaw brennt», «Sandomir steht in Flammen». Wieder segne ich ein gütiges Geschick, demzufolge unser Petrograd so weit von all dem Entsetzen und all den Stürmen liegt.

Den 14. (27.) September.

Nach ernstlicher Ueberlegung habe ich beschlossen, dieses Tagebuch Andrei Wassile-witsch zum Lesen zu geben, falls er nicht getötet wird und aus dem Kriege zurückkehrt. Nie war er mit mir einer Meinung, möge er dann urteüen, ob ich recht habe oder nicht. Besonders peinlich wird es für mich sein, wenn

er das liest, was ich über meine fiinfundvierzig Jahre und mein Glück geschrieben habe: wenn man derlei Dinge nur so im Geheimen schreibt, sehen sie sehr nach einer Gemeinheit aus. Ich bin aber kein gemeiner Mensch und es ist etwas ganz anderes, mit jedem über die eigene Meinung zu schwätzen, oder sie zu verbergen. Ich verberge nichts, mein Leben liegt offen vor aller Äugen.

Petia war einer Angina erkrankt, man musste den Arzt rufen. Unser Kasimir Wiat-scheslawowitsch ist im Krieg, die andern sind erschöpft durch die unaufhörliche Pflege in den Lazaretten und wollten nicht kommen. Soll ich mich nun etwa darüber freuen und darin einen erhabenen Sinn sehen, dass ein krankes Kind ohne Hilfe gelassen wird?) Nein, ich habe und werde in diesem Punkt stets meine eigene Meinung haben.

17. (30.) September.

All diese Tage sind mit Entsetzen erfüllt. Man liest in den Zeitungen von der Belagerung Antwerpens durch die Deutschen: Tausend schwere Geschütze donnern gegen die Mauern, alles wird zertrümmert, geht in Flam*-men auf. Die Bevölkerung ist geflohen, durch die verödeten Strassen marschiert nur mehr Militär. «Ueber Antwerpen steht der ganze Himmel in Flammen», schreibt die Zeitung, und es ist einfach unmöglich, sich vorzustellen,

was das heisst: «der ganze Himmel steht in Flammen.» Und auf diesem flammenden Himmel fliegen Zeppeline und werfen Bomben hinab. Was für Menschen, nein, besser Teufel in Menschengestalt müssen es sein, die über dieser Hölle, den zerstörten, brennenden Dächern schweben und noch neues Feuer, neue Vernichtung hinunterschleudern können!

Die ganze Nacht, nachdem ich die Zeitung gelesen, flog ich im Traum über der brennenden Stadt und zu meiner Schande muss ich bekennen, dass ich ausser Furcht und Widerwillen auch noch einen unglaublichen Neid auf diese furcht- und erbarmungslosen Flieger empfand. Was sind sie, stammen sie aus einem anderen Geschlecht? Wie kommt es, dass ihre Hand nicht zittert, ihr Herz nicht beklommen wird? Was mögen sie für Augen haben, wie mögen sie sehen, wenn sie bei Nacht, aus den Zeppelins gebeugt, die von den Flammen erleuchtete, rauchende Stadt erblicken, zielen, erwägen?

Ich vermag es mir nicht vorzustellen, lese es wie man ein Märchen liest und kann im Grunde meiner Seele nicht glauben, dass es wahr sei. Und wenn es wahr ist, wozu bin ich auf der Welt, ich, der von einem müden, degenerierten Herdengeschlecht abstamme. Selbst als ich im Traume flog, suchte ich, wie in der Wirklichkeit, wo ich mich verbergen

könnte, wenn etwas gesctiähe, sah setinsiictitig auf die immer kleiner werdenden Stadttore hinab.

Ich erinnere mich, wie, noch lange vor dem Kriege, unser lenkbarer Ballon die Newa überflog und wie wir alle im Kontor ans Fenster stürzten, den in der Sonne Erglänzenden, durch die Luft Schwebenden bewunderten, der in dieser schwindelerregenden Höhe anhielt, und dann verschwand. Es ward uns schwindlig vor den Äugen, besonders einem subalternen Beamten, dem eine bauchige Schnapsflasche zur Tasche herauslugte. Er sah hinauf, blinzelte mit den Äugen, überlegte und sagte laut:

«Dort braucht man Leute, die nicht trinken!»

Und lief weg. Damals lachten wir alle, aber wenn ich mir heute den «flammenden Himmel über Antwerpen» vorstelle, frage ich mich: was braucht man da für Menschen, betrunkene oder nüchterne? Nein, ich vermag diese neuen Gestalten nicht zu begreifen, die, über den Wolken schwebend, Bomben herunterwerfen. Sie erscheinen mir wie das Zerrbild eines blutigen Despoten, der alle und alles verachtet und zu vernichten wünscht. Es gab ihrer schon einige auf dieser Welt, dieser Erbarmungslosen, die mit demselben Gleichmut Menschenköpfe und Eier zerschmetterten. Und wenn diese den noch übrig gebliebenen müden Hcr-

dentieren einer degenerierten Rasse vorgezogen werden sollen, — gut, schlachtet uns, wenn ihr wollt, — hier ist meine Kehle.

Aber alle Gedanken kehren zu Antwerpen zurück. Scheinbar gleicht diese Stadt unserem Petrograd, ist gross und schön, von Wasser durchflössen, das jetzt den Feuerschein widerspiegelt und Blut in seinen Fluten treibt, inmitten des nächtlichen Dunkels. Und der Himmel steht in Flammen! Mein Gott, mein Gott, was geschieht auf dieser Welt!

20. September (3. Oktober). Antwerpen ist gefallen.

2. (15.) Oktober. Feuchtes, warmes Herbstwetter, das hat ja eigentlich nichts zu bedeuten, aber in der letzten Zeit ist man in einer entsetzlichen Stimmung. Nichts erfreut einen, im Herzen empfindet man eine undurchdringliche Dunkelheit, wie bei einer Krankheit. Jeden Morgen im Tram ein widerliches Gedränge; hat sich die Menge trotz des Krieges vergrössert, oder fahren weniger Wagen? Jedesmal steigst du gepufft und beleidigt aus, als kämest du von einer Balgerei Betrunkener. Besonders ekelhaft sind diese ewigen Versammlungen und Wohltätigkeitsfeste mit ihren Fähnchen und Blumen, erwachsene Menschen sollten der-

gleichen zu Hause abmachen und nicht mit ihren Gefühlen auf die Strasse laufen.

Guter Gott, es versteht sich doch von selbst, dass ich mein Scherflein, so weit mir dies, als arbeitendem Menschen, möglich ist, beitrage, aber mich beleidigt dieses Misstrauen gegen mein Pflicht- und Menschlichkeitsgefiihl, diese unerträgliche Zudringlichkeit mit der einige, fast alle, mir in die Augen sehen, bis in die Pupillen hinein, und im Geiste meinen Beutel durchsuchen. Wenn du auf die Strasse gehst, so hast du den Eindruck, als schämten sich alle, einer den anderen anzusehen, und wollten so rasch als möglich unsichtbar werden, damit sie niemand bemerke. Ich halte übrigens auch keinen Menschen an, um zu sehen: trägt er ein Abzeichen oder nicht; nicht wie die Anderen, die mich darob scheel anblicken.

Dies ist nicht mehr ein in den Beutel schauen, ist schon ein in die Seele blicken, was ich entschieden nicht vertragen kann und auch nicht will. Meine Seele ist meine Seele, und ich bin ihr alleiniger Herr, der Staat oder die Gesellschaft mögen, wie es jeweils angenommen, über meinen Körper verfügen — dem Gesetze gemäss — aber keiner, selbst Peter der Grosse nicht, hat das Recht, in meine Seele hineinzukriechen und dort nach seinem Ermessen Ordnung zu schaffen, sei er auch noch so mächtig! Ueberhaupt habe

ich die betrübende Tatsache feststellen müssen, dass man in meine Seele eindringen und dort, wie auf dem Newsky, spazieren gehen will.

Zum Beispiel gab es gestern einen heftigen Streit zwischen Sascha und mir. Ich bin immer auf meine Menschlichkeit stolz gewesen, finde, dass sie jeder intelligente Mensch haben muss, und niemals habe ich zwischen den verschiedenen Nationen einen Unterschied gemacht, seien es nun Deutsche, Franzosen oder sogar Juden. Und nun wollen mir seit zwei Monaten die Zeitungen und meine Kollegen im Kontor weismachen, dass ich die Deutschen hassen müsse; und heute sagt mir Sascha in einer äusserst groben Art das Gleiche: «Wenn Du auch jetzt noch die Deutschen liebst, bist Du wirklich ein Schuft!»