Für David R. Wooton aus Arkansas, USA
-Webmaster der Kriminalromane um Schwester Fidelma,
Offizielle Webseite: www.sisterfidelma.com -,
in Dankbarkeit für seine Unterstützung und Ermunterung
Gott steht auf; so werden seine Feinde zerstreut, und die ihn hassen, fliehen vor ihm. Wie Rauch verweht, so verwehen sie.
Psalm 68
Historische Anmerkung
Die Kriminalromane um Schwester Fidelma spielen in der Mitte des siebenten Jahrhunderts und sind hauptsächlich in Irland angesiedelt.
Fidelma und ihr Begleiter, der angelsächsische Bruder Eadulf, mit dem sie gewöhnlich ihre abenteuerlichen Reisen antritt, sind unterwegs nach Canterbury, dem Sitz der obersten Gerichtsbarkeit aller angelsächsischen Königreiche. Auf der Überfahrt werden sie von einem Sturm mit ihrem Schiff an Land gezwungen und kommen so an die Küste des Königreiches Dyfed, im Südwesten des heutigen Wales.
Schwester Fidelma ist nicht nur eine Nonne, die einst der Gemeinschaft der heiligen Brigitta von Kildare angehörte. Sie ist auch eine anerkannte dalaigh, eine Anwältin an den Gerichten des alten Irland. Da dieser Hintergrund nicht allen Lesern vertraut sein mag, soll dieses Vorwort einige wesentliche Dinge erläutern und damit zu einem besseren Verständnis der Vorgänge beitragen.
Das damalige Irland bestand aus fünf Hauptprovinzen, in denen Könige herrschten. Selbst das heutige
irische Wort für Provinz lautet cüige, wörtlich: ein Fünftel. Vier dieser Provinzkönige - von Ulaidh (Ulster), von Connacht, von Muman (Munster) und von Laigin (Leinster) - erkannten mit Einschränkungen die Oberhoheit des Ard Ri oder Großkönigs an, der in Tara residierte, in der »königlichen« fünften Provinz von Midhe (Meath), deren Name »mittlere Provinz« bedeutet. Innerhalb dieser Provinzkönigreiche war die Macht noch einmal unter Kleinkönigreichen und Stammesgebieten aufgeteilt.
In der vorliegenden Geschichte werden wir auch mit den sich noch herausbildenden und ständig verändernden walisischen Königreichen bekannt gemacht. Die ursprünglichen Britannier, von den Angelsachsen Welisc (Ausländer) genannt, wurden aus ihren Gebieten, die sie fast fünfhundert Jahre hindurch besiedelt hatten, von den einfallenden Jüten, Angeln und Sachsen nach Westen verdrängt. Zu Fidelmas Zeiten befanden sich Devon (Dumnonia) und Cornwall (Cur-now) und auch Cumberland (Rheged) noch in den Händen der Kelten. Nordwales bestand aus zwei Königreichen, Gwynedd und Powys; Südwales hingegen gliederte sich in acht kleinere Königreiche auf, darunter auch Dyfed und Ceredigion, die ständig kriegerisch um die Vorherrschaft rangen.
Dyfed, Sitz der berühmten Abtei des Schutzheiligen von Wales, St. David (Dewi Sant), war einst von den Iren aus Desi besiedelt worden. Die ersten Könige trugen irische Namen. In der Reihe der walisischen Könige stoßen wir auf den berühmten Hywel Dda (905-950), der von König Eochaid von Dyfed abstammt, welcher um 400 Herrscher war. Hywel Dda war unbestreitbar der herausragendste der walisischen Könige; seine Macht erstreckte sich über das ganze Gebiet von Wales. Eben jener Hywel Dda berief die große, sechswöchige Versammlung von Dyfed ein, zu der die Repräsentanten aller walisischer Reiche anreisten und unter der Leitung des Rechtsgelehrten Ble-gywryd die Gesetze des Landes in der ersten bekannten Kodifizierung festhielten. Diese Texte wurden allgemein die »Gesetze von Hywel Dda« genannt. Sie stehen in der althergebrachten Rechtstradition der Kelten, und so stoßen wir bei den altirischen Rechten und den Gesetzen von Hywel Dda auf einige Gemeinsamkeiten.
Genau auf jene gemeinsame Tradition der Rechtsprechung richtet Fidelma in der vorliegenden Geschichte ihr Augenmerk.
Wir sollten uns dennoch Fidelmas eigene Kultur vor Augen führen, vor deren Hintergrund sie das Königreich von Dyfed sieht, und erfahren, wie es dazu kam, daß sie Anwältin im Rechtssystem ihres Heimatlandes sein konnte.
Die Primogenitur, das Erbrecht des ältesten Sohnes oder der ältesten Tochter, war in Irland unbekannt. Das Königtum vom geringsten Stammesfürsten bis zum Großkönig war nur zum Teil erblich und überwiegend ein Wahlamt. Jeder Herrscher mußte sich seiner Stellung würdig erweisen und wurde von den derbfhine seiner Sippe gewählt, von der mindestens drei Generationen versammelt sein mußten. Diente ein Herrscher nicht dem Wohl seines Volkes, wurde er angeklagt und abgesetzt. Deshalb ähnelte das monarchische System des alten Irland mehr einer heutigen Republik als den feudalen Monarchien, die sich im Mittelalter in Europa entwickelten.
Im Irland des siebenten Jahrhunderts gab es ein wohldurchdachtes Rechtssystem, das das Gesetz der Fenechus, der Landbebauer, genannt wurde, doch besser bekannt ist als das Gesetz der Brehons, abgeleitet von dem Wort breitheamh für Richter. Der Überlieferung nach wurden diese Gesetze zuerst im Jahre 714 v. Chr. auf Befehl des Großkönigs Ollamh Fodhla zusammengefaßt. Im Jahre 438 berief der Großkönig Laoghaire eine Kommission von neun Gelehrten, die die Gesetze prüfen, überarbeiten und in die neue lateinische Schrift übertragen sollte. Ihr gehörte auch Patrick an, der später zum Schutzheiligen Irlands wurde. Nach drei Jahren legte die Kommission den geschriebenen Gesetzestext vor, die erste bekannte Kodifizierung.
Man muß feststellen, daß das walisische Recht, soweit berichtet wird, weitere fünfhundert Jahre lang nicht schriftlich zusammengefaßt wurde. Dennoch war es das Resultat einer hochentwickelten mündlichen Tradition oder aber darüber hinaus einer handschriftlich festgehaltenen Kodifizierung, die jedoch schon früh verschollen ist. Sicher haben sowohl die Besetzung durch die Römer und als auch die Nähe zur römischen Kirche Einflüsse auf das walisische Recht ausgeübt. Dessenungeachtet verleugnet dieses Rechtssystem seinen eigentlichen keltischen Ursprung nicht.
Die ältesten vollständig erhaltenen Texte der alten Gesetze Irlands finden sich in einem Manuskript aus dem elften Jahrhundert wieder, das heute in der Royal Irish Academy in Dublin aufbewahrt wird. Erst im siebzehnten Jahrhundert gelang es der englischen Kolonialverwaltung in Irland letztendlich, die Anwendung der Gesetze der Brehons zu unterdrücken. Selbst der Besitz des Gesetzbuches wurde bestraft, oft mit dem Tode oder der Verbannung.
Das walisische Recht existierte bis zur schrittweisen Einverleibung von Wales durch die Engländer im Jahre 1536 und schließlich 1542, mit der auch die englische Sprache, englisches Recht und englische Bräuche übernommen wurden. Heute sind noch ungefähr achtzig Rechtstexte in walisischer und lateinischer Sprache erhalten, die meisten stammen aus der Zeit zwischen dem zwölften und dem sechzehnten Jahrhundert.
Das irische Rechtssystem war nicht statisch. Alle drei Jahre kamen die Rechtsgelehrten und Richter beim Feis Teamhrach (Fest von Tara) zusammen und prüften und verbesserten die Gesetze entsprechend der sich verändernden Gesellschaft und deren Bedürfnisse.
Diese Gesetze wiesen der Frau eine einzigartige Stellung zu. Sie gaben den Frauen mehr Rechte und größeren Schutz als irgendein anderes westliches Ge-setzeswerk jener Zeit oder späterer Jahrhunderte. Frauen konnten sich gleichberechtigt mit den Männern um jedes Amt bewerben und jeden Beruf ergreifen, und sie taten es auch. Sie konnten ihr Volk als Krieger in Schlachten befehligen, politische Führer sein, Friedensrichter, Dichter, Handwerker, Ärzte, Anwälte und Richter werden. Wir kennen die Namen vieler Richterinnen aus Fidelmas Zeit: Brig Briugaid, Äine Inguine Iugaire, Dari und viele andere. Dari zum Beispiel war nicht nur Richterin, sondern die Verfasserin eines berühmten Gesetzestextes, der im sechsten Jahrhundert aufgezeichnet wurde.