»Einverstanden.«
»Dann wollen wir mit Bruder Cyngar sprechen. Außerdem müßt ihr uns einen Führer zur Verfügung stellen, der uns zum Kloster Llanpadern geleitet.«
Eadulf unterdrückte ein Stöhnen.
»Das macht uns keine Mühe«, entgegnete Abt Tryf-fin. »Könntet ihr euch schon morgen vormittag dorthin begeben?«
»Warum so rasch?« erkundigte sich Eadulf, der nichts überstürzen wollte.
»Ich erwähnte die beiden Ortschaften, die womöglich Alarm geschlagen hätten, falls man dort Krieger aus Ceredigion bemerkt hätte«, erwiderte Abt Tryffin. »Eine der beiden Ortschaften hat mich gebeten, ihnen einen barnwr, einen Richter, zu senden. Morgen wird sich Bruder Meurig, der dieses Amt innehat, dorthin auf den Weg machen. Ihr könntet ihn begleiten, er würde euch führen.«
»Eine ausgezeichnete Idee!« pflichtete ihm Gwlyd-dien bei.
Fidelma war nachdenklich geworden. »Warum hat dieser Ort ...?«
»Er heißt Llanwnda«, ergänzte der Abt.
»Warum hat Llanwnda« - ihr fiel die Aussprache ein wenig schwer - »um einen Richter gebeten? Ich vermute, ein barnwr hat die gleiche Position wie ein dalaigh in meinem Land? Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dieser Bitte und dem Verschwinden der Mönche?«
Der Abt schüttelte den Kopf. »Der Fürst von Pen Caer, der Herrscher dieser Gegend, hat in einer völlig anderen Angelegenheit um einen Richter gebeten. Ein junges Mädchen ist von ihrem Freund vergewaltigt und ermordet worden. Sie war Jungfrau. In solch ländlichen Gegenden ist das ein sehr schweres Verbrechen. Der Junge hatte Glück, daß er nicht gleich von den aufgebrachten Einwohnern des Ortes zu Tode geprügelt wurde. Nein, zwischen diesen bei-den Vorfällen besteht nicht der geringste Zusammenhang.«
»Dann sollten wir morgen vormittag nach Llanpa-dern aufbrechen gemeinsam mit Bruder .«
»Bruder Meurig.«
». mit Bruder Meurig. Doch du hast gesagt, daß es sich um eine Wegstrecke von über zwanzig Meilen handelt, und Bruder Eadulf ist noch nicht ganz wiederhergestellt .«
»Natürlich komme ich mit«, warf Eadulf kühl ein. »Ich bin weder zu schwach noch zu inkompetent, um in dieser Sache nicht von Nutzen zu sein.«
»Ihr könnt Pferde von mir haben«, bot Gwlyddien an. »Dann sind wir uns einig.« Eadulf sah Fidelma wütend an. Sie fragte sich, warum er so außer sich war, wo sie doch versuchte, alles für ihn so angenehm wie möglich zu machen.
»Dann sind wir uns einig«, wiederholte sie.
»Vortrefflich. Unser Mittagsmahl wartet jetzt auf uns.« Abt Tryffin erhob sich. »Nachdem ihr beide gespeist und euch ausgeruht habt, werden wir Bruder Cyngar aufsuchen. Bruder Meurig hält sich auch in der Abtei auf. Ah . Das habe ich ganz vergessen. Mit den Adligen und den Mönchen hier könnt ihr in der Sprache von Eireann reden oder auch auf Griechisch, Latein und Hebräisch. Die gewöhnlichen Leute sprechen jedoch nur die Sprache der Kymren. Ihr werdet einen Dolmetscher brauchen.«
»Für mich stellt eure Sprache keine Schwierigkeit dar«, erwiderte Fidelma nun auf Kymrisch, der Sprache der keltischen Waliser. »Ich habe mein Noviziat mit Nonnen aus dem Königreich von Gwynedd verbracht und so manches von ihnen gelernt. Doch was eure Rechtssprache betrifft, werde ich einiges nicht verstehen, auch wenn ich mich bemühe.«
Eadulf wurde nicht weiter gefragt, ob er Kymrisch verstand. So behielt er für sich, daß er die Sprache zu einem gewissen Grad beherrschte.
»Dann gibt es für eure Arbeit ja keine weiteren Hindernisse«, sagte Abt Tryffin erfreut. »Bruder Meurig wird euch weiterhelfen, wenn ihr Schwierigkeiten habt.«
»Dafür sind wir dir dankbar«, entgegnete Fidelma.
»Dann wollen wir speisen gehen.«
Kapitel 4
Es war kalt, aber es lag kein Reif auf dem Boden, als die drei Pferde durch die Tore der Abtei Dewi Sant trabten. Sie liefen hintereinander, angeführt von einer großen grauen Stute. Bruder Meurig ritt in zügigem Tempo voran, ihm folgten Schwester Fidelma und Bruder Eadulf auf feurigen kurzbeinigen Pferden. Es waren alles kräftige Tiere. Gegen die eisige Morgenkälte hatte sich Meurig einen weiten Umhang umgelegt, fast von gleicher Farbe wie sein Pferd. Auch seine Begleiter waren in dicke Wollumhänge gehüllt.
Abt Tryffin hatte zuvor einen Mann in Bruder Rhodris Hospiz in Porth Clais geschickt, um die Reisetaschen von Fidelma und Eadulf zu holen. Sie hatten unterdessen Gelegenheit gehabt, Bruder Cyngar zu fragen, was er in Llanpadern angetroffen hatte, so daß sie, da Bruder Meurig beim ersten Tageslicht mit ihnen aufbrechen wollte, inzwischen von Bruder Cyngar alle Informationen erhalten hatten.
Fidelma und Eadulf waren beide beeindruckt von der ernsten und umsichtigen Art Bruder Cyngars. Zwar erfuhren sie von ihm kaum mehr, als sie bereits von Abt Tryffin wußten. Aber Bruder Cyngar hatte ein ausgesprochen gutes Auge für Details.
Er war weit davon entfernt, den Vorfall auf Hexerei oder das Böse an sich zurückzuführen, aber er akzeptierte den Gedanken, daß etwas, das nicht auf natürliche Weise zu erklären war, eher übernatürlichen Kräften zugeschrieben werden mußte.
Nachdem sie sich von Bruder Cyngar verabschiedet hatten, waren Fidelma und Eadulf zum Skriptorium der Abtei geführt worden, wo Bruder Meurig gerade etwas in den dort aufbewahrten Rechtsschriften nachschlug. Bruder Meurig war ein großer Mann, der selbst Fidelma überragte, die schon als überdurchschnittlich hochgewachsen galt. Er war hager und hohlwangig und hatte hohe Wangenknochen. Seine Haare waren leicht angegraut, die dunklen Augen lagen tief, das rechte Auge schielte ein wenig, wodurch er finster wirkte. Doch seine düstere Erscheinung stand ganz im Gegensatz zu der warmherzigen Art, in der er sie begrüßte.
Er redete Fidelma in ihrer Muttersprache an und wandte sich dann in fließendem Angelsächsisch an Eadulf.
»Wie kommt es, daß du des Angelsächsischen mächtig bist?« erkundigte sich Eadulf.
»Ich war mehrere Jahre lang Gefangener in Mer-cia.« Bruder Meurig zeigte auf eine Narbe, die ihm quer über den Hals lief. »Hier seht ihr das Zeichen des sächsischen Sklavenkragens. Das liegt nun schon zehn Jahre zurück; Penda herrschte damals über das Land.
Ein übler Mann. Penda wurde als Heide geboren und starb als Heide, er diente zu allen Zeiten seinem Gott Wotan.«
»Bist du geflohen?« fragte Eadulf und bemühte sich, nicht verlegen zu erscheinen, auch wenn Bruder Meurigs Worte ohne Groll waren.
»Nachdem Oswy von Northumbria Penda besiegt und ihn bei Winwaed Field im Jahre 654 getötet hatte und das Königreich Mercia daraufhin zerschlagen wurde, kamen viele seiner Sklaven frei, insbesondere christliche Mönche wie ich, und sie durften in ihre Heimatländer zurückkehren.«
»Jetzt bist du ein barnwr - ein Richter an den Gerichten von Dyfed«, ergänzte Fidelma.
Bruder Meurig lächelte zufrieden. »So wie du, Schwester Fidelma«, sagte er. »Eine dalaigh ist das gleiche wie ein barnwr. Wir haben viel gemeinsam.«
»Ich habe gehört, daß eine große Anzahl eurer Gesetze den Gesetzen der Brehons von Eireann ähneln. Ich bin sicher, daß ich noch eine Menge von dir lernen kann, Bruder Meurig.«
»Dein Ruf eilt dir voraus, Schwester. Ich bezweifle, daß ich dir noch viel beibringen kann«, stellte der barnwr freundlich klar.
»Hat man dir mitgeteilt, was in Llanpadern geschehen ist?« fragte Eadulf.
Bruder Meurig nickte. »Doch man hat mir diesen Fall nicht angetragen.«
»Hast du eine Meinung dazu?« drängte ihn Eadulf.
»Eine Meinung?« Bruder Meurig rümpfte abschätzig die Nase. »Ich habe gehört, daß Prinz Cathen glaubt, es könnte sich um einen Überfall von Kriegern aus Ceredigion handeln, die Geiseln nehmen wollten. Ich halte das zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich.«