»Grund gibt es genug, Bruder«, rief er mit zorniger Stimme. »Doch wer bist du, daß du im Namen des Königs gegen unseren Fürsten Drohungen ausstößt?«
»Auf Anfrage eures Fürsten Gwnda bin ich vom König hierhergeschickt worden. Ich bin der barnwr von der Abtei Dewi Sant.«
Der Mondgesichtige wurde ein wenig unsicher. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Auch sein Begleiter wirkte nun weniger von sich überzeugt. Bruder Meurig packte die Gelegenheit beim Schopfe.
»Bringt diesen Mann dort her!« befahl er barsch den beiden Männern, die den Gefangenen festhielten. Fragend sahen sie den Mondgesichtigen an. Als sie von ihm keine gegenteiligen Anweisungen erhielten, bewegten sie sich langsam mit dem Gefangenen vorwärts. Der schluchzte und ließ den Kopf hängen.
»Das ist ja fast noch ein Kind«, murmelte Fidelma, die die unglückliche Gestalt eingehend betrachtete. Sie hatte das in ihrer Muttersprache zu Bruder Meurig gesagt. Der Mondgesichtige blickte sie mißtrauisch an. Offensichtlich hatte auch er ihre Worte verstanden.
»Kind oder nicht, er ist ein Mörder und wird bestraft«, erwiderte er.
»Auf solche Weise bestrafen wir hier niemanden«, entgegnete Bruder Meurig. »Was meinst du mit deiner Anschuldigung?«
»Dieser Junge hat meine Tochter vergewaltigt und ermordet! Ich will Vergeltung!« rief der Mondgesich-tige entschlossen.
»Vergeltung wird es nicht geben.« Bruder Meurigs Worte klangen schneidend. »Gerechtigkeit soll jedoch allen widerfahren. Wie heißt du?«
»Ich bin Iorwerth, der Schmied.«
»Und der Name des Jungen?«
»Er heißt Idwal.«
»Gut, Schmied Iorwerth. Du wirst uns zum Haus von Gwnda führen. Ihr beide seht zu, daß dem Jungen nichts passiert, sonst ziehe ich euch zur Rechenschaft.« Bruder Meurigs Anweisungen duldeten keine Widerrede. Er blickte in die Menschenmenge, die einige Schritte zurückgetreten war, als wolle sie sich von Iorwerth und seinen Freunden distanzieren. »Ihr anderen kehrt wieder in eure Häuser zurück.« Er sah den Mann mit der Keule an, der nun weniger angriffslustig schien. »Und wie heißt du?«
»Ich bin Iestyn. Ich bin Bauer«, antwortete er gereizt.
»Iestyn, was rechtfertigt dein Eingreifen in dieser Sache?«
»Ich bin ein Freund von Iorwerth.«
»Nun, Freund von Iorwerth, ich übertrage dir die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Leute so schnell wie möglich in ihre Häuser zurückkehren. Gibt es auch nur das geringste Anzeichen von Unruhe oder weiterem Aufruhr, dann ... Ich würde dich dann persönlich dafür verantwortlich machen. Das würde dir ganz sicher nicht gefallen.«
Bruder Meurig gab nun Iorwerth ein Zeichen, voranzugehen. Der zögerte einen Moment, doch dann zuckte er mit den Schultern und setzte sich in Bewegung. Bruder Meurig folgte ihm auf seinem Pferd, während die beiden Männer, die den Jungen festhielten, ihn nun vor sich her schoben.
Eadulf und Fidelma schlossen sich Meurig an. »Es sieht so aus, als hätte Bruder Meurig mehr Durchsetzungsvermögen, als ich ihm zugetraut habe«, flüsterte Eadulf Fidelma zu.
Die verzog das Gesicht. »Er ist eben ein barnwr«, meinte sie in einem Ton, der ein wenig vorwurfsvoll klang.
Die kleine Gruppe schlängelte sich die kurze Strek-ke durch den Ort bis zu einem größeren Komplex aus Scheunen und Nebenbauten. Darunter befand sich ein stattliches Gebäude, dessen beeindruckende Ausmaße vermuten ließen, daß es sich um das Haus des Stammesfürsten dieser Gegend handelte. Zwei Männer standen vor der Tür. Sie schienen vom Eintreffen der Gruppe überrascht zu sein. Einer von ihnen trat hervor, als er Iorwerth erkannte.
»Was ist los?«
»Das ist der barnwr«, erklärte der Schmied knapp und nickte zu Bruder Meurig hinüber.
»Wo befindet sich der Fürst?« fragte Bruder Meurig vom Pferd herab.
Der Mann schaute zum Haus. Da drehte sich sein Gefährte plötzlich um und rannte davon. Der andere rief ihm einen Fluch hinterher.
»Hol deinen Fürsten her. Rasch! Und wehe dir, wenn ihm etwas zugestoßen sein sollte«, sagte Bruder Meu-rig in schärferem Ton.
Der Mann ging zur Tür und pochte. Sie schien nicht verschlossen zu sein. Man hörte Schritte dahinter. Jetzt nahm der zweite Mann ebenfalls Reißaus.
Einen Augenblick später stand in der Tür ein stämmiger Hüne mit einem dunklen Vollbart. In der rechten Hand hielt er ein Schwert, als wolle er sich im Falle eines Angriffs verteidigen.
»Was hat das zu bedeuten?« brummte er und blickte überrascht in die Runde. »Ich, Gwnda, verlange eine Erklärung!«
Bruder Meurig neigte sich in seinem Sattel nach vorn. »Bist du Gwnda, Fürst von Pen Caer?«
»Der bin ich«, antwortete dieser, ohne sein Schwert zu senken. Als er die Mönchskutte bemerkte, wurden seine Augen plötzlich schmal.
»Ich bin Bruder Meurig von der Abtei Dewi Sant -der Richter, nach dem du gerufen hast. Das sind meine Begleiter, Schwester Fidelma und ihr angelsächsischer Gefährte, Bruder Eadulf. Sie reisen im besonderen Auftrag von Gwlyddien von Dyfed.«
Gwnda schien verblüfft. Erst jetzt bemerkte er Iorwerth und die beiden Männer, die den Jungen festhielten. Er stellte nun die Schwertspitze auf die Stufe vor sich, seine Hände ruhten auf dem Knauf. Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, als Begrüßungslächeln konnte man das allerdings nicht deuten.
»Ich wünschte, ich könnte euch hier unter erfreulicheren Umständen willkommen heißen.«
Bruder Meurig schwang sich vom Pferd. »Nichts gegen diese Umstände, Gwnda, vorausgesetzt, sie werden uns erläutert.«
Mit säuerlicher Miene betrachtete Gwnda Iorwerth. »Heißt das, euer Aufstand ist beendet, Iorwerth?«
»Es sollte nie zu einem Aufruhr kommen«, erwiderte der Schmied zu seiner Verteidigung. »Ich wollte nur Gerechtigkeit.«
»Du hattest Rache im Sinn, und es war ein Aufstand; ein Aufstand gegen deinen Herrn. Doch ich bin dir wohlgesonnen und verzeihe dir den Gesetzesbruch, weil du dich von deinen Gefühlen hast hinreißen lassen. Geh nach Hause, wir reden später darüber, wie du deine Aufsässigkeit wiedergutmachen kannst.« Gwnda wandte sich nun an Bruder Meurig: »Falls wir deine Erlaubnis dazu bekommen.«
»Du scheinst ein liberal denkender Mann zu sein, Gwnda«, sagte Bruder Meurig. »Ich sehe keinen Grund, warum ich dagegen etwas einwenden sollte, wenn man mir die Sache nachher in Gänze erklärt. Wenn nun alle hier wieder zur Besinnung gekommen sind, können die beiden Männer den Jungen an einen sicheren Ort schaffen, wo er gefangengehalten wird, bis ich ihn befragen kann.«
»Bringt Idwal in meine Stallungen«, befahl Gwnda. »Danach sorgt dafür, daß die Pferde unserer Gäste gut gefüttert werden.« Er lächelte. »Kommt nun in mein Haus, meine Freunde, und ich werde versuchen, euch von den betrüblichen Ereignissen dieses Abends zu berichten.«
»Fürst Gwnda .« Einer der beiden Männer zögerte immer noch.
»Nun?« fuhr ihn Gwnda an.
»Werde ich . Werden wir bestraft werden?«
Gwnda deutete auf Bruder Meurig. »Ihr werdet Gelegenheit haben, euch zu verteidigen. Eure Strafe wird von dem Urteil des barnwr hier abhängen.«
»Aber es war doch Iorwerth, der Schmied, der uns gesagt hat . uns allen eingeredet hat . daß wir ihm beistehen müssen. Er sagte, daß es um Gerechtigkeit ginge.«
»Allen?« rief Gwnda. »Genug. Du wirst dich später rechtfertigen können. Jetzt führ den Auftrag aus, den ich dir gab. Es sei denn, du willst noch weiter rebellieren?«
Die beiden Männer ließen reumütig ihre Köpfe hängen und entfernten sich mit dem Jungen, während Fidelma und Eadulf von den Pferden stiegen und die Zügel an einem Pfosten in der Nähe festbanden. Gwnda geleitete sie ins Haus. In einer Ecke saßen einige Frauen, die die Eintreffenden besorgt musterten.
»Kein Grund zur Aufregung«, rief Gwnda fröhlich und hängte sein Schwert auf. »Das ist der Richter mit seinen Begleitern. Sie kommen direkt von Gwlyddiens Hof.«