»Ich vermute, daß du Elisse, der Apotheker, bist?« fragte Fidelma.
»So ist es. Worum geht es?«
»Hat dich Bruder Meurig aufgesucht, ehe er umgebracht wurde?«
»Ach, eine traurige Sache dieser Tod. Und noch trauriger ist, daß die Leute außer Rand und Band gerieten und den jungen Burschen ermordeten. Gerechtigkeit sollte nicht ein bloßer Racheakt sein.«
»Hat dich Bruder Meurig nach deiner Meinung über Mairs Tod gefragt?«
Der Apotheker schüttelte den Kopf. »Nein, aber man hat mir berichtet, daß er mit mir sprechen wollte.«
»Ich glaube, ich weiß, was er dich fragen wollte.«
Der Apotheker sah sie erwartungsvoll an. »Ganz zu deinen Diensten, Schwester. Frag nur los«, forderte er sie auf.
»Man hat dich gerufen, um Mairs Leiche zu untersuchen, nicht wahr?«
Elisse nickte. »Traurig, wenn ein so junger Mensch aus dem Leben scheidet. Sehr traurig.«
»Was war die Todesursache?«
»Ich würde sagen, daß Mair zuerst erwürgt wurde.
Die blauen Flecke und die Abschürfungen an ihrem Hals wiesen darauf hin.«
»Zuerst erwürgt?« erkundigte sich Fidelma.
»Die anderen Wunden wurden ihr nach ihrem Tod zugefügt, wie in einem Anfall von Wahnsinn.«
Fidelma beugte sich neugierig vor. »Die anderen Wunden? Was für andere Wunden?«
Überrascht musterte Elisse sie eine Weile. »Man hat dir doch sicher von den Messerstichen berichtet, wie?«
Fidelma schaute zu Eadulf. »Davon haben wir nichts gehört. Aber an ihren Unterkleidern soll sich Blut befunden haben. Und man sagte uns, daß dies auf eine Vergewaltigung hindeute und sie noch Jungfrau gewesen sei.«
»Nein, das war allein Gwndas Schlußfolgerung. Er und Iorwerth haben behauptet, daß Mair vor ihrem Tod vergewaltigt worden sein muß. Iorwerth hat geglaubt, seine Tochter sei noch Jungfrau gewesen.«
»Was genau willst du damit sagen? Daß sie nicht mehr Jungfrau war?«
»Ich fürchte nein. Ich habe mir Mairs Leiche sehr gründlich angesehen. Meine Frau säuberte Mair für das Begräbnis, und sie machte mich besonders auf die Wunden am inneren Oberschenkel aufmerksam. Mir sind zwei längliche Stiche aufgefallen, die wohl von einem breiten Messer stammten. Daher rührte die starke Blutung.«
Fidelma schwieg, sie dachte über seine Worte nach.
»Ich habe erklärt ...« - der Apotheker zuckte verlegen mit den Schultern -, »daß es keinerlei Hinweise für sexuelle Gewalt gab. Und ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß sie keine virgo intacta war.«
»Hast du das selbst festgestellt?«
»Das hat meine Frau gemacht. Sie sagte mir auch, es überraschte sie nicht weiter, denn vor einem Jahr hätte sich Mair an sie gewandt und gefragt, wie sie verhindern könne, schwanger zu werden. Ich spreche gewagte Dinge aus, Schwester, doch du mußt wissen, wie Frauen solches Wissen weitergeben.«
»Mair hat deine Frau danach gefragt?«
»Du kannst selber mit ihr sprechen.« Der Apotheker wollte nach seiner Frau rufen, doch Fidelma hielt ihn zurück.
»Das ist nicht nötig. Dein Wort als Apotheker genügt uns völlig. Das ist alles, was ich wissen will. Es erklärt eine Menge.«
Sie verließen das Haus des Apothekers. Eadulf fiel auf, daß Fidelma leichtfüßig einherlief und selbstvergessen vor sich hin lächelte. Auf der Straße herrschte inzwischen reges Treiben. Offenbar waren alle Bewohner des Ortes zurückgekehrt. Zu Eadulfs Überraschung bewegte sich Fidelma erneut auf Iorwerths Schmiede zu.
»Wohin wollen wir jetzt?« fragte er.
Sie zeigte auf die Schmiede am Ende der Straße, wo ihre Pferde standen. »Ein letzter Stein fehlt noch in unserem Mosaik«, sagte sie rätselhaft.
Noch ehe sie angelangt waren, konnten sie hören, daß Iorwerth bei der Arbeit war. Er fachte das Feuer neu an, der Blasebalg knarrte tüchtig. Sie holten ihre Pferde aus dem Versteck und banden sie am Zaun vor der Schmiede fest. Als sie eintraten, sah Iorwerth mürrisch auf.
»Was denn nun schon wieder?« fragte er unfreundlich. »Werden uns deine angelsächsischen Freunde angreifen?«
»Es gibt immer noch ein paar Dinge, die wir klären müssen«, erwiderte Fidelma.
Iorwerth legte den Blasebalg beiseite und verschränkte die Arme. Seine Augen funkelten herausfordernd, er blickte von einem zum anderen. »Gwnda behauptet, daß du kein Recht hast, mich zum Tod meiner Tochter zu verhören. Ich sage nichts mehr.«
»Das ist in Ordnung«, stimmte ihm Fidelma zu.
»Wenn es nicht um den Tod meiner Tochter geht, um was dann?« fragte Iorwerth erstaunt.
»Gestern hattest du Besuch in deiner Schmiede.«
»Viele Leute kommen zur Schmiede. Das ist mein Geschäft.«
»Dein Besuch war ein Krieger und, wie man mir sagte, fremd in dieser Gegend.«
Der Schmied runzelte die Stirn. »Gewöhnlich kommen hier keine Krieger vorbei ...« Er verstummte, und sein Gesichtsausdruck verriet ihnen, daß er sich an den Mann erinnerte. »Warum erkundigst du dich nach ihm?«
»Was weißt du über ihn?«
»Wie du schon sagtest, er war ein Fremder, ein Krieger. Bei seinem Pferd war ein Hufeisen locker. Ich habe es festgemacht.«
»Und du hast ihn vorher noch nie gesehen?«
»Nein. Er hielt sich hier nur kurz auf. Er bat um Met, den hat er auch bezahlt; und während ich das Hufeisen befestigte, haben wir uns ein wenig unterhalten. Das war alles.«
»Sag mir«, forderte ihn Fidelma eindringlich auf, »ist Elen, Gwndas Tochter, zu diesem Zeitpunkt hier vorbeigekommen?«
»Woher weißt du das?« erwiderte Iorwerth baß erstaunt. »Ja, sie ist hier vorbeigekommen. Ich erinnere mich daran, weil mich der Krieger nach ihr fragte.«
»Du hast ihm natürlich gesagt, wer sie ist, nicht wahr?«
»Ich sagte, sie sei die Tochter von Gwnda, dem Fürsten von Pen Caer.«
»Hat er dir verraten, warum er das wissen wollte?«
»Ich glaube, er äußerte etwas wie: >Da geht ein hübsches Mädchen vorbei. Wer ist das?<«
»Sonst habt ihr euch über nichts weiter unterhalten?«
Iorwerth schüttelte den Kopf. »Nein, soweit ich mich erinnere. Er vertrieb sich die Zeit, während ich mit dem Hufeisen beschäftigt war. Das ist alles.«
»Hat er zufällig seinen Namen genannt?«
Wieder machte Iorwerth eine verneinende Geste.
»Auch nicht, woher er kam?«
»Nein, obwohl ich das erraten habe.«
»Wirklich? Und was hast du erraten?«
»Er stammte entweder aus Ceredigion oder einem Ort an der Grenze zu Ceredigion.«
»Wie kommst du darauf?«
»Wir Schmiede stehen in Verbindung miteinander. Es ist leicht, die Herkunft bestimmter Arbeiten auszumachen. An seinem Pferd und seinen Waffen erkannte ich, und das kann ich beschwören, daß sie in Ceredigion hergestellt waren.«
»Sehr gut.«
»Warum erkundigst du dich nach dem Fremden?«
»Aus reiner Neugier.« Fidelma lächelte. »Ich will dich noch etwas anderes fragen. Bist du jemals ein Krieger gewesen?«
Iorwerth war erstaunt. »Nie im Leben. Ich war immer nur Schmied.«
»Wie ich weiß, hast du dein Handwerk in Dinas erlernt, war es nicht so?«
Iorwerth fühlte sich getroffen und kniff die Augen zusammen. Dann sagte er langsam: »Es ist viele Jahre her, daß ich das letztemal in Dinas war.«
»Zwanzig Jahre?«
»Das ist ungefähr richtig. Woher weißt du das alles?«
Fidelma hatte etwas aus ihrem marsupium geholt und hielt es ihm hin. Es war die Kette aus Rotgold mit dem mit Edelsteinen verzierten Hasenanhänger.
»Hast du das schon einmal gesehen?« fragte sie.
Iorwerth starrte auf die Kette und den Anhänger, und Blässe breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Wo hast du das her?« fragte er langsam.