Sie machte eine Pause, und ihr Blick schweifte über die schweigende Menge in der Halle.
»Dies, Prinz Cathen, ist die Wahrheit über den Mord an Mair und Bruder Meurig, zu dem noch als weiteres Verbrechen Idwals Tod hinzukommt. Der Selbstmord von Iorwerth war nur eine Folge dieser Tragödie.«
Cathen hatte sich zurückgelehnt und nickte nachdenklich. »Cadell, nimm den Fürsten von Pen Caer und Buddog fest. Sie werden mit uns an den Hof von Gwlyddien zurückkehren.« Dann zog der junge Prinz seine Augenbrauen zusammen. »Was ist mit den toten Seelen des Klosters Llanpadern? Die hast du aus den Augen verloren, Schwester.«
Fidelma schüttelte den Kopf und lächelte düster. »Die Klosterbrüder habe ich keineswegs vergessen«, erwiderte sie.
Das Gericht hatte sich kurz zu einer Beratung zurückgezogen, nachdem Buddog und Gwnda abgeführt worden waren. Als der Schreiber wieder um Ruhe bat, trat Eadulf vor die Menge. Fidelma blieb im Hintergrund, war jedoch jederzeit bereit, ihm beizuspringen, wenn er Unterstützung brauchte. Sie hatten zuvor die Darlegung ihrer Beweisführung abgesprochen.
»Prinz Cathen, ich beherrsche die Sprache der Kym-ren nicht so gut wie Schwester Fidelma. Doch ich denke, du wirst es mir nachsehen, wenn ich auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck etwas Zeit brauche.«
Cathen lächelte. »Solltest du auf Latein und in der Sprache von Eireann reden wollen, so sei dir das anheimgestellt, denn beide Sprachen sind mir geläufig. Keine Bange, ich bin sicher, daß es zu keinen Mißverständnissen kommen wird.«
»Vielen Dank, Prinz Cathen. Schwester Fidelma hat einen der beiden Fälle aufgeklärt, mit denen wir hier in Pen Caer beschäftigt waren. Eigentlich hat uns aber der gewichtigere der beiden Fälle hergeführt: Das Verschwinden der Mönche von Llanpadern, in deren Kloster auch dein Bruder Rhun lebte. Ich werde nun berichten, wie man die armen Brüder gefangennahm und warum die meisten von ihnen tot sind oder zu Sklaven gemacht wurden.« Eadulf wandte sich an Cadell. »Hol den Gefangenen Clydog.«
Unruhe kam auf, als zwei Wachleute den stattlichen Anführer der Bande hereinbrachten. Er blickte sich herausfordernd in der Halle um, als würde ihn gleichgültig lassen, was hier geschah. Dann entdeckte er Eadulf, der vor dem Gericht als sein Ankläger stand, und schnaubte höhnisch.
»Schön, schön«, murmelte er, »das Gericht von Dy-fed scheint einen Sachsen zum Richter ernannt zu haben. Gibt es unter den Männern von Dyfed keinen begabten Richter, daß man schon eure Blutsfeinde an den Gerichten zuläßt?«
»Ich habe hier den Vorsitz, Clydog«, fuhr ihn Prinz Cathen barsch an. »Was immer hier geschieht, du stehst mir oder meinem Vater Gwlyddien Rede und Antwort. Fahre mit deinen Ausführungen fort, Bruder Eadulf.«
Eadulf betrachtete eine Weile das arrogante Gesicht des Geächteten. Dann fragte er: »Gefangener, möchtest du hier vor dem Gericht von Dyfed als Clydog Cacynen - Clydog, die Wespe, auftreten, als gewöhnlicher Geächteter und Dieb? Oder ziehst du es vor, lieber als Clydog, Sohn des Königs Artglys von Ceredigion, angehört zu werden?«
In der Halle war kein Laut zu vernehmen.
Clydog lachte leise. »Nun, Sachse, du und deine Gwyddel-Freundin, ihr seid offenbar gute Beobachter. Ich werde hier als Prinz Clydog von Ceredigion auftreten.«
Eadulf wandte sich wieder an Cathen, der Clydog erstaunt ansah. »Du hattest recht, mein Lord, als du bei unserem Treffen in der Abtei Dewi Sant vermutetest, daß Ceredigion hinter dem Geschehen im Kloster Llanpadern stecken könnte. Mit deiner Erlaubnis wähle ich die gleiche Darlegungsweise wie Schwester Fidelma vor mir für die Geschehnisse in Llanpadern. Ich werde die Geschichte der Reihe nach erzählen, und sollten wir Zeugen oder Ergänzungen für meine Aussagen benötigen, so werden sie zugelassen.«
Cathen hob seine Hand zum Zeichen, daß Eadulf beginnen möge. Der Prinz schien zu überrascht von allem, um etwas sagen zu können.
»Ceredigion hegt schon seit langem feindliche Absichten gegen Dyfed. Das hast du uns gesagt. Als Teil ihres Plans hat sich Clydog ins Herzstück von Dyfed eingeschlichen, um Unruhe zu stiften und Uneinigkeit unter den Bewohnern des Königreiches zu schaffen. Es war leicht für ihn, sich mit seinen Leuten im Wald zu verbergen. Das Auftreten als Räuberbande diente ihm dabei als Deckmantel.
Worin bestand nun der Plan? Das ist nicht weiter schwierig. Falls man die Leute von Dyfed glauben machte, die Angelsachsen steckten hinter dem Ganzen und König Gwlyddien müßte eine Armee aufstellen und gegen die sächsischen Königreiche in den Krieg ziehen, bliebe Dyfed schutzlos zurück. Wären die Krieger erst einmal fort, könnten die Männer aus Ceredigion einmarschieren und das Königreich an sich reißen. Eine ganz einfache Strategie.«
Cathen schüttelte den Kopf. »Einfach, aber untauglich. Die Leute von Dyfed würden sich gegen Ceredigion erheben. Die Herrschaft eines Prinzen von Ceredigion würden sie niemals akzeptieren, und unsere Krieger würden zurückkehren und weiterkämpfen.«
»Damit rechnete man«, erwiderte Eadulf. »Doch dazu später. Wie alle simplen Pläne war auch dieser nicht ohne Tücken. Seine Verwirklichung begann mit zwei koordinierten Aktionen. Als erstes sollte einer von Artglys’ Verbündeten, Morgan von Gwent, das Königreich der Hwicce angreifen. Man hatte vor, ein Kriegsschiff der Hwicce zu verleiten, die Verfolgung von Morgans Schiff entlang der Küste von Dyfed aufzunehmen. Das sächsische Schiff mußte von anderen gesehen werden, damit sich das Gerücht eines Überfalls der Angelsachsen verbreitete. Dieser Teil des Plan gelang, doch nicht zu dem dafür vorgesehenen Zeitpunkt.«
»Was meinst du damit?« wollte Cathen wissen.
»Beim zweiten Teil des Vorhabens, den Clydog ausführen sollte, ging alles daneben.«
Clydog, der zwischen den Wachleuten stand, lachte höhnisch auf. »Nichts ist schiefgelaufen, nur daß du dich eingemischt hast, Sachse!«
Eadulf ließ sich von Clydogs Zwischenruf nicht beeindrucken. »Clydog sollte ein Kloster in Dyfed überfallen. Die Nachricht davon und von der Ermordung der Mönche des Klosters durch sächsische Piraten sollte das Volk von Dyfed dazu bringen, sofortige Rache zu fordern. Gwlyddien sollte gezwungen werden, überstürzt gegen die Angelsachsen ins Feld zu ziehen.«
»Worin bestand der Fehler?« fragte Cathen rasch.
»Wie wir jetzt wissen, hatte man das Kloster Llan-padern für den Angriff ausgewählt. Doch Clydog hat die klösterliche Gemeinschaft zu früh überrumpelt. Warum? Nur Clydog und seine Männer kennen die Antwort. Vielleicht war seine ungeduldige Natur schuld. Vielleicht hatten sie falsche Informationen erhalten und dachten, das sächsische Schiff sei längst eingetroffen. Doch man hatte das Schiff der Hwicce noch gar nicht an der Küste gesichtet, obwohl alles zur gleichen Zeit passieren sollte. Der Anschlag auf Llanpadern gelang. Die Klosterbrüder sahen sich auf Gedeih und Verderb den bewaffneten Räubern ausgeliefert und leisteten keinen Widerstand. So fügte man ihnen vorerst auch kein Leid zu. Clydog raubte alle kostbaren Gegenstände aus der Kapelle und nahm selbst das Vieh mit, wahrscheinlich, um alles zu verkaufen. Aber das Unvorhergesehene war, daß Clydog nun zu einem so frühen Zeitpunkt Gefangene hatte und er nach dem Plan auf das Eintreffen des sächsischen Schiffes warten mußte.«
»Das ergibt für mich keinen Sinn«, warf Cathen ein. »Warum haben sie die Brüder nicht alle auf einmal abgeschlachtet? Es war doch sehr riskant, sie als Gefangene zu behalten.«
»Es wäre ein größeres Risiko gewesen, sie zu töten, ehe man der Bevölkerung die sächsischen Plünderer von dem Schiff vorführen konnte. Der ganze Plan war doch darauf aufgebaut, wie ich schon sagte. Als Cly-dog immer noch keine Nachricht von dem Schiff hatte, mußten die Gefangenen aus Llanpadern fortgeschafft werden. Sie dort zu behalten wäre gleichermaßen töricht gewesen. So wurden die Klosterbrüder in zwei Gruppen aufgeteilt. Die einen mit Pater Clidro wurden in Clydogs Lager im Wald gebracht; die anderen auf Morgans Schiff, das sich in einer abgelegenen Bucht an der Küste versteckt hielt.«