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»Verzeih«, sagte Abt Segdae schuldbewusst. »In meiner Zerstreutheit habe ich völlig vergessen, was meine langen Gespräche mit Leodegar bewirkt haben. Ich habe ihm erzählt, wer du bist, wer ihre beide seid. Ich habe von dem Ruf gesprochen, den ihr euch in den fünf Königreichen erworben habt, dass man euch selbst in Rom kennt, weil ihr dort das Rätsel um den Tod des vorangegangen Erzbischofs von Canterbury gelöst habt. Leodegar war höchst beeindruckt und wünscht euren Rat. Im Gegenzug hat er sich einverstanden erklärt, dass du mit Eadulf ein Gemach in der hospitia, dem Gästehaus der Abtei, zugewiesen bekommst. Er hat weiterhin sein Einverständnis gegeben, dass du dich frei in der Abtei bewegen kannst. Er braucht dein Wissen und Können ... und ich auch.«

Sie schwiegen lange, während Fidelma sich Segdaes Worte durch den Kopf gehen ließ.

»Wo ist dieses domusfeminarum, dieses Haus der Frauen?«, fragte sie schließlich unvermittelt.

Abt Segdae wies auf das Fenster hinter sich. »Gleich dort nebenan. Es gehört zu dem Gebäudekomplex, aber die Türen und Durchgänge hat man zugesperrt, und es hat einen gesonderten Eingang. Die Äbtissin heißt Audofleda und steht der Schwesternschaft vor.«

»Jegliche Verbindung mit der Abtei ist untersagt?«

»Die Morgen- und Abendandacht wird für Nonnen und Mönche gemeinsam gehalten. Dann kommen die Schwestern hier zur Kapelle herüber, sitzen aber getrennt hinter Holzwänden. So können nicht einmal Blicke zwischen Männern und Frauen gewechselt werden.«

»Haben sich alle Brüder und Schwestern für die Trennung von Männern und Frauen ausgesprochen? Von einer derart strengen Haltung höre ich zum ersten Mal.«

»Soviel ich weiß, hat Bischof Leodegar die Regelung eingeführt. Er ist einer von denen, die Rom drängen festzulegen, dass jeder, der sich zum Leben im Kloster bekennt, dem Ehestand zu entsagen hat; seiner Meinung nach halten weltliche Vergnügungen davon ab, dem Werk Gottes zu dienen.«

»Und dabei suchen sie anderen ihre Ansichten aufzuzwingen«, empörte sich Fidelma. »Es ist das reinste Wunder, dass Bischof Leodegar Eadulf und mir den Zutritt zu diesem Ort gestattet hat.«

»In Machtfragen ist Bischof Leodegar ein kluger Fuchs«, meinte Abt Segdae verlegen. »Er erkannte sofort den Vorteil, den er mit euch beiden haben würde: eine anerkannte Anwältin, die aus dem gleichen Land wie Abt Dabhoc kommt, betreibt die Klärung des Falls und wird von jemandem begleitet, der aus dem gleichen Land wie Bischof Ordgar stammt.«

Aufhorchend gab Eadulf einen leisen Pfeifton von sich. »Der glaubt, mit uns auf ein unparteiisches Urteil verweisen zu können, wie? Da kann man nur hoffen, der gute Bischof hat nicht schon selbst ein Urteil gefällt und erwartet von uns nur eine Bestätigung.« »Wir sollten erst das Ergebnis der Nachforschungen abwarten, ehe wir Bischof Leodegar unlautere Absichten unterstellen«, erwiderte Abt Segdae mit einem tadelnden Unterton.

»Trotzdem sind wir dankbar für den Hinweis«, beteuerte Fidelma. »Wir werden Bischof Leodegar und seine Verhaltensweise sorgfältig im Auge behalten.«

Dem darauffolgenden Schweigen setzte Abt Segdae mit der bangen Frage ein Ende: »Wirst du dich der Aufgabe annehmen? Der Mord lastet schwer auf mir, Fidelma. Dabhoc war einer der Unsrigen.«

»Fidelma hat bereits gesagt, wir müssen uns erst frisch machen und brauchen etwas Ruhe«, antwortete Eadulf für sie. »Danach werden wir die Sache mit dir und auch mit Bischof Leodegar besprechen und dann eine Entscheidung treffen. Einstweilen nehmen wir die Gastfreundschaft der Abtei an.«

Abt Segdae sah wieder zuversichtlicher aus. Sie hatten sich in der ihnen gemeinsam geläufigen Sprache der fünf Königreiche unterhalten, jetzt aber rief er auf Latein, dass es quer durch das anticum hallte. Sein Ruf galt einem Mönch, der den mit Steinplatten ausgelegten Raum durchschritt. »Bruder Chilperic!«

Der Mann kam zu ihnen herüber. Als er Fidelma sah, machte sich auf seinem hübschen Gesicht Erstaunen breit. Er war blond, hatte blaue Augen und war ungefähr in ihrem Alter.

»Das ist Bruder Chilperic, er steht Bischof Leodegar als Verwalter zur Seite.« Der Abt stellte die Gäste vor. Kaum hatte Bruder Chilperic vernommen, mit wem er es zu tun hatte, war er die Höflichkeit in Person.

»Verzeih mein Erstaunen, Schwester, aber der Abt hat gewiss erklärt, dass bei uns bestimmte Regeln gelten, wonach Frauen hier nicht geduldet sind. In deinem Falle jedoch wird das Verbot außer Kraft gesetzt, wie mir bedeutet wurde. Der Bischof hat eure Ankunft voller Ungeduld erwartet. In der hospitia sind Räume für euch hergerichtet, und sollte es an irgendetwas fehlen, lass es mich bitte wissen.« Er wandte sich Abt Segdae zu. »Bischof Leodegar wünscht sicher von der Ankunft deiner Landsleute zu erfahren. Setzt du ihn in Kenntnis, während ich die Gäste zu ihrer Unterkunft geleite?« Der Abt erklärte sich einverstanden, und Bruder Chilperic forderte Fidelma und Ea-dulf auf, mit ihm zu gehen.

Sie vereinbarten mit dem Abt, wo und wann man sich nach einer Ruhepause treffen würde, und folgten dem Mönch. Er führte sie über verschiedene Treppenfluchten. Im Inneren wirkte die Abtei ebenso kalt und grau, wie sie die gesamte Anlage von außen empfunden hatten. Hin und wieder erhaschten sie im Vorübergehen durch die Fenster einen Blick auf sonnenbeschienene grüne Felder und Waldungen und den sich dahinschlängelnden blauen Fluss. Offensichtlich befanden sie sich oberhalb der Stadtmauer im Süden, während die Stadt selbst sich nordwärts ausbreitete. Der Verwalter bestätigte Fidelmas Vermutung, dass die Räumlichkeiten für die Gäste auf der dritten Ebene der Abtei lagen. Er führte sie in ein großzügig ausgestattetes Gemach, dessen Wände mit Eiben- und Birkenholz getäfelt waren. Es war äußerst geräumig, und ein Nebengelass für die nötige Körperpflege gab es auch. Voller Wohlgefallen und Erstaunen schaute sich Fidelma um, und Bruder Chilperic bemerkte es sehr wohl. »Eigentlich ist es ein Gästezimmer für adlige Herrschaften«, sagte er. »Hier haben schon Könige genächtigt, zum Beispiel der ehrenwerte Dagobert und Judicael von Domnonia.«

Fidelma neigte den Kopf. »Wir fühlen uns wahrhaft geehrt, Bruder Chilperic. Derartige Annehmlichkeiten haben wir nicht erwartet.«

»Wenn jemand unsere Abtei beehrt, dann bist du es, heißt es doch, du seiest die Schwester des Königs von eurem Land. Ich werde veranlassen, dass Wasser heiß gemacht und etwas zu essen gebracht wird, und sollte es sonst an irgendetwas fehlen .«

». dann werden wir uns bemerkbar machen«, vollendete Fidelma seinen Satz.

Als sich die Tür hinter dem Verwalter geschlossen hatte, drehte sie sich zu Eadulf um und lachte. »Das sieht schon etwas besser aus.«

»Für mein Empfinden gehen sie übertrieben großzügig mit uns um«, meinte er. »Ändern die für die Abtei geltenden Regeln, bieten uns ein Gemach und ihre Dienste an, wie sie einem König zukommen . Könnte es sein, dass hinter dem Tod des Abts Dabhoc noch etwas anderes steckt, das sie uns verheimlichen?«

»Es ist nicht sinnvoll, sich jetzt schon den Kopf zu zerbrechen. Wir müssen erst noch einmal mit Segdae reden und danach mit Bischof Leodegar«, mahnte Fidelma. »Wer von uns beiden badet zuerst?«, hänselte sie ihn, wusste sie doch, dass er sich immer noch nicht mit der irischen Sitte hatte anfreunden können, täglich eine Ganzwaschung vorzunehmen.

Etliche Zeit später, der Himmel wurde schon dunkel, saßen Fidelma und Eadulf bei Abt Segdae, dessen Zimmer nicht weit weg von dem ihrigen auf dem gleichen Gang lag. Es war einer der Räume, die für die Gesandten zum Konzil zur Verfügung gestellt worden waren, und hatte bei weitem nicht die Annehmlichkeiten, über die ihr Gemach verfügte. Nur spärlich eingerichtet und mit dem Notdürftigsten versehen, ließ es ahnen, dass man von den frommen Besuchern der Abtei erwartete, nicht höhere Ansprüche zu stellen als die dort lebenden Mönche. Im Vergleich dazu wurden sie als fürstliche Gäste behandelt, und Fidelma vermutete, dass Abt Segdae mit Nachdruck auf ihren Status als Schwester des Königs von Cashel hingewiesen hatte. Normalerweise wehrte sie sich dagegen, aber in diesem Falle hielt sie es für angebracht, die Situation hinzunehmen, wie sie war, und erst einmal abzuwarten, ob sich die Betonung ihres Ranges als Vor- oder Nachteil erwies.