Bischof Leodegar nickte. »Ja, eine Kerze brannte.«
»Du konntest alles deutlich erkennen?«
»Ich nahm die Umrisse von zwei Körpern wahr und Bischof Ordgar, der stöhnend auf seinem Bett lag.«
»Sagte er etwas, als du das Zimmer betratest?«
»Er schien von Schmerzen geplagt und murmelte etwas.
Er war eindeutig nicht ganz da.«
»Und den Leichnam, hast du den gesehen?«
»Ich bemerkte sofort Abt Cadfan, der neben dem Bett auf der Erde lag. Es war hell genug, um Blut an seinem Hinterkopf zu sehen.«
»Kerzenlicht, und du konntest Blut erkennen?«, fragte Eadulf nach.
Bruder Leodegar runzelte die Stirn. »Ja. .« Er merkte, worauf Eadulf hinauswollte. »Nun ja, ich sah etwas Dunkles, Klebriges - und es stellte sich natürlich als Blut heraus.«
Eadulf lächelte. »War er bei Bewusstsein?«
»Nein. Und er kam auch erst wieder zu sich, als man ihn in sein Zimmer zurückgetragen hatte.« Der Bischof hielt inne, begriff aber, dass man mehr von ihm erwartete. »Ich wollte mich zu ihm hinunterbücken, da sah ich den Toten, Abt Dabhoc. Ich rief Bruder Sigeric zu, meinen Verwalter zu wecken, und trug ihm auch auf, Bruder Gebicca, unseren Arzt zu holen. Dann ging ich hinüber zu Bischof Ord-gar und wollte sehen, ob ich etwas für ihn tun konnte, aber er war wie im Rausch, murmelte nur unsinniges Zeug.« »Roch er nach Wein oder Bier?«, fragte Fidelma.
»Er verströmte einen Geruch von abgestandenem Wein«, bestätigte der Bischof.
»Und dann?«
»Dann kam Bruder Gebicca und ziemlich bald darauf Bruder Chilperic. Als Gebicca erklärte, Abt Dabhoc wäre tot, mit einem Schlag von hinten sei ihm der Schädel eingeschlagen worden, wusste ich, dass ich Abt Segdae als den Ranghöchsten aus eurem Land in Kenntnis setzen musste. Ich schickte Bruder Sigeric los, ihn zu wecken.« »Und die ganze Zeit lag Cadfan bewusstlos da, während Ordgar in einem Rauschzustand verblieb?«, vergewisserte sich Fidelma.
»Wir haben uns durchaus um Cadfan gekümmert«, erwiderte Bischof Leodegar. »Bruder Gebicca hat ihn untersucht, und dann wurde entschieden, ihn in sein Zimmer zurückzuschaffen, wo er etwa einen Tag brauchte, bis er sich wieder vollends erholt hatte. Auch Ordgar haben wir in einen nahe gelegenen Raum gebracht. Als er schließlich so weit war, dass ich ihm Fragen stellen konnte, sagte er, er hätte wie gewohnt vorm Schlafengehen Wein getrunken und könnte sich an nichts weiter erinnern, als dass ihm beim Aufwachen schlecht und schwindelig war. Er hätte Menschen um sich herum in seinem Zimmer wahrgenommen, aber was geschah, konnte er nicht sagen. Zunächst nahm er an, schlechten Wein getrunken zu haben, der ihm nicht bekommen wäre, aber als ich ihm erzählte, was geschehen war, glaubte er, Cadfan hätte versucht, ihn zu vergiften.«
»Und welche Meinung hat Ordgar zu dem Mord? Was denkt er, warum hat Cadfan Dabhoc ermordet?«, fragte Eadulf.
»Ordgar ist davon überzeugt, Dabhoc ist dazugekommen, als Cadfan versuchte ihn umzubringen, und musste dafür selbst mit dem Leben büßen.«
»Und Cadfans Wunde? Wie hat er die erklärt?«
»Ordgar meint, entweder hat sie ihm Dabhoc beigebracht, bevor er von Cadfan ermordet wurde, oder Cadfan hat sie sich selbst zugefügt.«
»Eine selbst zugefügte Verletzung, die ihn einen ganzen Tag bewusstlos sein lässt?« Das mochte Eadulf nicht glauben. »Das ist beim besten Willen kein selbstzugefüg-ter Hieb; wenn er aber von einer anderen Person stammt, hat er die schwerlich noch ermorden können, ehe er in Ohnmacht fiel.« Dass Eadulf seine Überlegungen so offen darlegte, hielt Fidelma nicht für richtig und ließ ihn das auch merken.
»Wir werden dem genauer nachgehen, wenn wir Ordgar und Cadfan befragen«, lenkte sie ab. »Ich vermute, du hast auch mit Cadfan gesprochen. Wie hat er den Vorgang geschildert?«
»Er berichtete, jemand hätte einen Brief unter seine Tür geschoben, angeklopft und wäre weggerannt, ehe er hätte aufmachen können. Auf dem Zettel stand, er solle sofort wegen einer dringenden Angelegenheit in Ordgars Zimmer kommen. Er wäre dort hingegangen, hätte die Tür angelehnt gefunden, hätte geklopft, und eine Stimme hätte ihn gebeten einzutreten. Das wäre das Letzte gewesen, woran er sich erinnern könnte, er hätte nur noch einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf gespürt und wäre erst einen Tag später oder so wieder zu sich gekommen.« Fidelma schwieg eine Weile, saß mit leicht vorgebeugtem Kopf da und schaute reglos vor sich hin.
»In der Tat eine merkwürdige Geschichte«, sagte sie schließlich. »Wie wir von Abt Segdae hörten, hat man Ordgar und Cadfan angewiesen, bis zur Klärung der Angelegenheit auf ihren Zimmern zu bleiben.«
»Das ist richtig.«
»Und vermutlich sind beide außer sich ob dieser Verfügung?«
»Wie du dir vorstellen kannst«, gab Bischof Leodegar zu. »Aber was hätte ich sonst tun sollen?«
»Wie reagieren die anderen Teilnehmer des Konzils auf die Bewegungseinschränkung und den Verdacht überhaupt?«, fragte Eadulf. »Du hast Spannungen erwähnt. Ergreift jemand Partei?«
Bischof Leodegar lachte zynisch auf.
»Es wäre mehr als verwunderlich, wenn sie es nicht täten. Die Sachsen und auch ein paar unserer Franken unterstützen Ordgar. Die Britannier, Gallier und Armoricaner prangern Ordgar an und verlangen die Freilassung von Cadfan. Die Geistlichen aus Hibernia wünschen beiden Parteien die Pest an den Hals und fordern eine Wiedergutmachung für den Tod des Vertreters des Bischofs von Ard Macha. Was soll ich also machen?«
Völlig unerwartet für alle stand Fidelma plötzlich auf und erklärte mit einem Blick durch die hohen Fenster in die Abenddämmerung: »Du verhältst dich durchaus richtig. Verkünde bei der Abendandacht, was geschieht und was wir hier tun. Morgen früh beginnen wir mit der Befragung und werden als erstes mit Bruder Sigeric sprechen. Ich gehe doch in der Annahme richtig, dass der Ort des Geschehens, das Zimmer, leer ist?«
Bischof Leodegar nickte. »Ich sagte ja schon, wir haben Ordgar in ein sichereres Gemach geschafft.« »Dann werden wir nach dem Gespräch mit Bruder Sigeric besagten Raum in Augenschein nehmen.«
»Ich werde dafür Sorge tragen, dass alles nach deinen Wünschen geschieht«, versicherte er ihnen entschieden. »Ich will nur hoffen, dass ihr beide beim Lösen von Rätseln tatsächlich so geschickt seid, wie Abt Segdae behauptet.«
»Das zu beurteilen überlassen wir dir, Leodegar von Au-tun«, erwiderte Fidelma in aller Ruhe. »Eadulf und ich können nur das tun, was in unseren Kräften steht, und darauf vertrauen, dass es um ein Rätsel geht, das sich lösen lässt.«
KAPITEL 4
Kurz vor Tagesanbruch wurden Fidelma und Eadulf durch Gesang geweckt. Eadulf lag eine Weile da und überlegte, wie er die befremdlichen Klänge einordnen sollte. Letztlich war es Fidelma, die eine Erklärung fand.
»Das können nur die matutinae laudes, der morgendliche Lobgesang, sein. Ich habe so was schon mal in Rom gehört. Offensichtlich singt man in manchen Klöstern Psalmen, um den neuen Tag zu begrüßen.«
»Hoffentlich wird nicht von uns erwartet, dass wir da mitmachen«, stöhnte Eadulf. »Ich kann keinen Ton halten.«
»Dank unserer späten Ankunft nach beschwerlicher Reise hat man uns die Teilnahme an der Morgenandacht erlassen«, erinnerte ihn Fidelma frohgemut. »Aber es wird schon hell. Wir sollten uns waschen und für den Tag fertig machen.«
Sie hatten sich gerade angekleidet, da klopfte es, und Bruder Chilperic brachte ihr Frühstück - ein Tablett mit Obst, Brot und Käse - und setzte es auf dem kleinen Tisch ab.
Er schien Fidelmas fragenden Blick richtig zu deuten, denn er erklärte: »Der Bischof hielt es für angebracht, mögliche Peinlichkeiten gleich am ersten Tag auszuschließen. Es wäre besser, wenn ihr das Frühstück hier in der hospitia einnehmt. Abt Segdae wird mit euch wegen der Mahlzeiten im Refektorium sprechen. Ihr wisst ja, dass die Anwesenheit von Frauen dort nicht üblich ist.«