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Bei der Abendandacht am Vortag war ihnen bereits das überwältigende Innere aufgefallen. Die Kapelle war ein hochemporragender Bau, am südlichen Ende mit einer halbkreisförmigen Apsis, in der ein Hochaltar stand. Diese Art Kirchen war für Fidelma und Eadulf ungewohnt. Auf der Westseite des Altars war ein kleinerer dem Apostel Petrus gewidmet und ein ebensolcher auf der anderen Seite dem Apostel Paulus. Wenn der Priester den Gottesdienst feierte, stand die Gemeinde vor dem Altar. Getrennt von den Männern saßen hinter den neuerdings aufgestellten Trennwänden die Frauen. Sie betraten die Kapelle, vom domus feminarum kommend, durch einen unterirdischen Gang in den Gruftgewölben und nahmen hinter den Holzwänden Platz, so dass sie den Blicken der Männer verborgen blieben.

Von Bruder Chilperic erfuhren Fidelma und Eadulf weiterhin, dass das domus feminarum auf der Ostseite der Abtei jenseits eines großen Hofes und einer Fahrstraße stand. Auf eben dieser Straße waren sie am Tag zuvor mit Bruder Budnouen angekommen, der dort seine Waren abgeladen hatte. Einst hatte das Wohnhaus der Nonnen unmittelbar zum Abteikomplex gehört, jetzt aber waren alle Zugänge gesperrt, so dass es, abgesehen von dem unterirdischen Gang zur Kapelle, keinerlei Berührung mit der Abtei und den Klosterbrüdern mehr gab.

Fidelma und Eadulf waren von den Ausmaßen des Geländes beeindruckt. Die Abtei glich einer in sich abgeschlossenen kleinen Stadt und konnte sich praktisch selbst versorgen. In den zahlreichen Hallen, Räumen und Gängen konnte man sich leicht verlaufen.

Eine Glocke begann zu läuten, und Bruder Chilperic wurde unruhig. »Wir sollten die Arbeit aufnehmen, so ein Tag verstreicht rasch«, gab er zu bedenken.

»Der Rundgang eben war ein erstes Stückchen Arbeit«, hielt ihm Fidelma dagegen. »Doch jetzt führ uns an die Stätte, wo Abt Dabhoc der Tod ereilte.«

Bruder Chilperic zeigte sich erleichtert, steuerte auf die Treppe des Hauptgebäudes zu und ging ihnen voran die Stufen zur hospitia hinauf. Oben angelangt, lenkte er seine Schritte ans entgegengesetzte Ende des Korridors, an dem ihre eigenen Räume lagen. An einer der Türen blieb er stehen und verkündete: »Das ist das Zimmer, in dem Abt Dabhoc ermordet wurde.«

»Und es handelt sich um das Zimmer von Bischof Ordgar?«, vergewisserte sich Eadulf.

»Um eben das.« Der Verwalter öffnete die Tür. Sie standen auf der Schwelle und sahen sich einem Fenster gegenüber, das den Raum einigermaßen gut ausleuchtete, wenngleich es nach Norden zur Stadt hinausging. Hell war der Tag draußen nicht, aber das Licht reichte, um ein Bild zu erfassen, das sie überraschte.

»Jemand hat hier alles durchwühlt«, kommentierte Eadulf das Augenfällige.

Bettzeug war auf die Erde gezerrt, Decken und zersplittertes Mobiliar lagen umher, zwei Schranktüren hingen lose in den Angeln, selbst lockere Ziegelsteine hatte man aus der Wand gerissen.

»Hier waren zerstörerische Kräfte am Werk und haben gründliche Arbeit geleistet«, stellte Fidelma fest. »Da muss jemand etwas gesucht haben.«

Bruder Chilperic war entgeistert. »Gestern Abend war noch alles in Ordnung.«

»Du hast gestern Abend hier hereingeschaut?«, fragte Fidelma stirnrunzelnd.

Der Verwalter fühlte sich ertappt. »Ich wollte . wollte . mich lediglich vergewissern, ob das Zimmer für deine Besichtigung in vernünftigem Zustand war.«

Fidelma blieb ruhig. »Meine Besichtigung soll dem Zweck dienen, zu überprüfen, ob man zuvor etwas übersehen hat. Es nützt mir nichts, wenn man den Raum herrichtet und aufräumt, bevor ich ihn in Augenschein nehmen kann.«

»Zumindest ist man deinen Vorstellungen entgegengekommen«, meinte Eadulf und wies auf das Durcheinander.

Fidelma schoss ein Gedanke durch den Kopf. »Wann genau bist du hergekommen und hast festgestellt, dass alles seine Richtigkeit hat?«, fragte sie den Verwalter.

»Wann?«

»Du hast doch gesagt, dass gestern Abend noch alles in Ordnung war. Wann warst du hier?«

»Nach dem Abendgebet.«

»Nachdem Bischof Leodegar in der Kapelle verkündet hat, dass wir dem Mord an Dabhoc nachgehen würden?« »Ja, danach.«

Eadulf nickte gedankenvoll. »Da hatte wohl jemand Sorge, dass man etwas finden könnte ...«, begann er, wurde aber durch einen scharfen Blick von Fidelma sofort zum Schweigen gebracht.

»Hier erübrigt sich alles Weitere«, sagte sie. »Würdest du uns bitte Bruder Sigerics Zimmer zeigen oder uns einen Hinweis geben, wo wir ihn finden könnten? Ansonsten würde ich meinen, als Verwalter wäre es deine Pflicht, den Bischof von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen.«

»Um diese Zeit dürfte Bruder Sigeric im scriptorium sein, Schwester. Ich bringe euch dorthin.«

»Einen Augenblick noch.« Sie musterte die einzelnen Türen auf dem Gang. »Wenn das hier das Zimmer von Bischof Ordgar war, wer wohnte in den Räumen links und rechts von ihm?«

»Links von dir ist das Zimmer von Bruder Benevolentia, seinem Kämmerer, und Bischof Ordgar haben wir in das Zimmer links daneben verlegt.«

»Und wem gehört der Raum auf der anderen Seite des eigentlichen Zimmers von Bischof Ordgar - also rechts davon?«

»Das ist zur Zeit nicht belegt«, erwiderte Bruder Chilpe-ric.

»Und es war auch in der Mordnacht nicht belegt?«

»Doch. Graf Guntram hat dort gewohnt.«

»Graf Guntram? Der Gaugraf?«

»Er war zur Abtei gekommen und lange beim Bischof geblieben; er war dann nicht mehr in der Lage, zu seiner Burg zurückzureiten.«

»Ach, das war der Adlige, der zu Besuch kam und von dem Bischof Leodegar sprach. Wie meinst du das - er war nicht in der Lage?«

Bruder Chilperic war peinlich berührt. »Er ist ein einigermaßen lasterhafter junger Mann, und der Bischof hat einen reichhaltigen Weinkeller.«

Fidelma schwieg, als sie dem Klosterbruder zum scripto-rium folgten. An der Tür zur Bibliothek ließ er sie allein und hastete davon, um dem Bischof von der jüngsten Entwicklung Mitteilung zu machen. Seine Ledersandalen klackten über die Steinplatten, während er durch den Gang eilte. Die beiden schauten ihm nach. Dann flüsterte Eadulf: «Du glaubst also, dass jemand aus der Kapelle, nachdem er vernommen hatte, wir würden dem Fall nachgehen, ins Zimmer gerannt ist und es durchsucht hat?« »Warum sollte er?«, wandte sie ein. »Wenn es in dem Zimmer etwas Belastendes gab, hätte man es doch während der Woche, die seit dem Mord vergangen ist, verschwinden lassen können.«

Eadulf sah sie enttäuscht an. »Eine rätselhafte Geschichte«, gab er zu.

Sie lachte. »Schließlich sind wir hier, um Rätsel dieser Art zu lösen«, erinnerte sie ihn und drückte die Klinke nieder, die die Tür insscriptorium öffnete.

In der Bibliothek saß nur eine einzige Person - ein junger Mann. Er hockte über eine Schriftrolle gebeugt, die auf dem Holztisch vor ihm ausgebreitet war. Bei ihrem Eintreten blickte er auf und erhob sich langsam und nervös. Fidelma wollte sich vorstellen, doch er winkte ab.

»Ich weiß, wer ihr beide seid. In der Kapelle gestern Abend war die Rede von euch.«

»Fühl dich nicht bedrängt, Bruder Sigeric«, ermunterte ihn Fidelma. »Wie wir hörten, warst du der Erste, der sah, was in Bischof Ordgars Gemach geschehen war. Du bist in der Abtei hier Schreiber, nicht wahr?«

Der junge Mann ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken und legte mit aller Sorgfalt seinen Federkiel auf dem Schreibpult ab.

»Ich habe eine gute Handschrift«, sagte er, und es klang fast wie eine Entschuldigung. »Auch beherrsche ich Latein recht ordentlich, Griechisch einigermaßen, und von Hebräisch verstehe ich ebenfalls ein wenig. Das erklärt mein Amt als Schreiber für den Bischof.«

»Bist du Franke?«

»Ich bin Burgunde, bin in der Stadt hier geboren und aufgewachsen.«