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»Gehörst du schon lange zur Abtei?«

»Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr.«

»Das heißt, wie lange?«

»Ich habe vierundzwanzig Lenze erlebt.«

»Also neun Jahre in der Abtei. Da musst du sie gut kennen«, überlegte Fidelma laut.

Der junge Mann zuckte mit den Achseln und schwieg. »Ich möchte meinen, so einen mysteriösen Tod wie den jetzt hat es in der Abtei zuvor nicht gegeben«, fuhr sie fort. »Nicht, dass ich wüsste.«

»Und nun spielst du eine entscheidende Rolle in der Sache.« Er schreckte auf. »Was willst du damit sagen?« »Du bist ein Hauptzeuge.«

»Ich habe nichts gesehen.«

»Im Gegenteil, du hast eine Menge gesehen, schließlich hast du den Ort des Geschehens entdeckt.«

Trotzig streckte er den Unterkiefer vor. »Ich war nicht zugegen, als man den Abt aus Hibernia ermordete.« »Das haben wir auch nicht gesagt. Aber wir würden gern erfahren, was genau dich in jener Nacht zu Bischof Ordgars Gemach geführt hat. Es war kurz vor Tagesanbruch, heißt es.« Er holte tief Luft. »Ich habe bereits alles Bischof Leodegar erklärt.«

»Und jetzt wirst du es mir erklären.«

»Ich bin dort einfach vorbeigekommen .«

»Mitten in der Nacht?«, unterbrach ihn Fidelma. »Wo, von Bischof Ordgars Gemach aus gesehen, liegt deine Kammer?«

Einen Augenblick hatte es den Anschein, als wäre der junge Mann nicht gewillt zu sprechen.

»Die Zimmer der hospitia liegen im zweiten Stockwerk dieses Gebäudes«, half sie ihm. »Dann befinden sich die dormitoria gewiss im ersten Stock.«

»Als Schreiber habe ich eine eigene Zelle. Sie ist im zweiten Stock .«

»Und wo da genau?«, drängte sie.

»Auf der Ostseite des Gebäudes, das Fenster geht auf den Hof hinaus, der zwischen dem Gebäude hier und dem domus feminarum liegt.«

»Das erklärt nicht, weshalb dich dein Weg mitten in der Nacht an Bischof Ordgars Zimmer vorbeiführte.«

Er gab einen Stoßseufzer von sich und schien sich in sein Los zu ergeben. »Die Frauen hier wohnen getrennt von den Männern«, murmelte er.

Die Auskunft überraschte Fidelma. »Ich sehe keinen Zusammenhang zu dem Vorangegangenen.«

»Als der heilige Reticulus der erste Bischof hier war, oder der erste, von dem wir wissen, denn viele behaupten, vor ihm sei noch Amator gewesen, war das hier ein gemischtes Haus. Bischof Leodegar aber gehört zu denen, die die Auffassung vertreten, Mönche und Nonnen müssten voneinander getrennt leben. Geistliche haben sich ans Zölibat zu halten, wenn sie dem Neuen Glauben dienen wollen. Dabei hätten wir diesbezüglich doch eigentlich freie Wahl. Rom hat ja das Gebot noch nicht festgeschrieben.« »Demnach bist du mit Bischof Leodegars Regelung nicht einverstanden? Du musst dich uns gegenüber nicht zurückhalten«, versicherte sie ihm. »Eadulf und ich fühlen uns nicht nur im Glauben miteinander verbunden, sondern auch in der Ehe. In unseren Kirchen kennen wir nicht das Gebot des Zölibats.« Der junge Mann zauderte. »Dann werdet ihr mich verstehen«, meinte er fast flehentlich. »Verstehen können wir dich nur, wenn wir wissen, was du im Grunde deines Herzens zum Ausdruck bringen möchtest, Sigeric. Erzähl, was dich neulich in der Nacht kurz vor Tagesanbruch umgetrieben hat.«

Er biss sich auf die Lippen. »Ich war mit einem Mädchen verabredet.«

Er hielt inne, und Fidelma musste ihm auf die Sprünge helfen.

»Wer war das Mädchen?«

»Sie heißt Valretrade und ist eine der Nonnen, die im domus feminarum jenseits der Mauer ihren Dienst tun. Wir haben uns angefreundet, als das hier noch eine Klostergemeinschaft von Männern und Frauen war. Sie hat wie ich eine glückliche Hand im Kopieren von alten Texten, und so lernten wir uns kennen. Als der Bischof dann die Lebensbereiche der Brüder und Schwestern trennte, haben wir einen Weg gefunden, uns regelmäßig zu sehen.«

»In jener Nacht warst du also zu einer Verabredung mit Valretrade unterwegs?«

»Ich hatte von ihr ein Zeichen erhalten, dass sie mich dringend sehen müsste.«

»Wie habt ihr das mit dem Zeichen bewerkstelligt?«

»Es ist im Grunde genommen eine einfache Methode. Mein Zimmer geht, wie gesagt, auf den Hof hinaus, der zwischen der Abtei und dem domus feminarum liegt. Fast direkt gegenüber liegt Valretrades Kammer. Wir haben vereinbart, dass wir in dringenden Fällen, die ein Treffen nötig machen, immer eine brennende Kerze ins Fenster stellen.«

»Und in besagter Nacht hattest du die brennende Kerze gesehen?«

Er nickte eifrig. »Ich schlief unruhig und wurde wach. Da sah ich die Kerze. Ich zündete meinerseits eine an und stellte sie ins Fenster. Die Verabredung besagte, wenn der andere das Zeichen bemerkt hatte, würde er seine Kerze nehmen und dreimal hin und her schwenken. Valretrade tat es, und ich machte das Gleiche. Löschte sie dann ihre Kerze, bedeutete es, dass sie zu unserem Treffpunkt ging. Alles geschah wie vereinbart, und so löschte auch ich meine Kerze und machte mich auf den Weg zu unserem Treffpunkt.«

»Was, wenn du nicht wach geworden wärest und die Kerze nicht gesehen hättest? Eine absolut sichere Verständigungsmethode ist das nicht.«

»Der Einwand ist berechtigt«, gestand ihr der junge Mann zu. »Aber unter den gegebenen Umständen hatten wir keine andere Möglichkeit. Normalerweise gab es ja auch keinen Anlass zu außergewöhnlichen Begegnungen. In welchen Nächten wir uns treffen würden, stand im Allgemeinen fest. Nur neulich war es anders. Das Signal bedeutete, es ist wichtig.«

»Und wo habt ihr euch getroffen?«

»Unser Treffpunkt ist an einer bestimmten Grabstätte in den Katakomben unter der Abtei. Es ist eine alte Nekropo-lis, wo alle früheren Bischöfe der Abtei liegen.«

»Du bist also dorthin gegangen und hast Valretrade getroffen?«

»Ich bin gar nicht mehr bis dorthin gelangt. Als ich an Bischof Ordgars Gemach vorbeikam, war die Tür halboffen, und mir bot sich ein grausamer Anblick: Der Mann aus Hibernia und der Britannier lagen blutend auf der Erde, und der Angelsachse lag bewusstlos hingestreckt auf dem Bett. Nur kurz schwankte ich zwischen Pflichterfüllung gegenüber der Abtei und meiner Sorge um Valretrade, sagte mir aber, ich müsste den Bischof wecken und tat es auch. Dann verging eine weitere Stunde, ehe ich loskam. Als ich endlich zu den Katakomben gelangte, war Valret-rade dort nicht zu finden.« »Was hast du daraufhin gemacht?«

»Ich bin in mein Zimmer zurückgegangen und habe wieder die Kerze angezündet. Bis zum Morgengrauen habe ich auf eine Antwort gewartet, doch vergebens. Ich zermarterte mir das Hirn, und dann fiel mir ein, dass es nach der ersten Verständigung den Anschein gehabt hatte, als wäre die Kerze gelöscht worden, doch sie hatte sie möglicherweise nur vom Fenster weggerückt, vielleicht an einen anderen Platz gestellt. Zunächst sagte ich mir, sie hätte das Licht eventuell gebraucht. Als sich bis zum Tagesanbruch nichts tat, dachte ich, sie hätte mein Zeichen nicht wahrgenommen und es sich anders überlegt, sei gar nicht erst losgegangen.«

»Inzwischen ist eine Woche verstrichen. Wie hat dir Val-retrade erklärt, warum sie dich so dringend sehen musste und ob sie euer Geheimzeichen missverstanden hat?« Niedergeschlagen sah Bruder Sigeric die beiden an.

»Nichts hat sie mir erklärt, denn ich habe sie seither nicht wiedergesehen.«

Eadulf legte die Stirn in Falten. »Willst du damit sagen, sie hätte all die Tage nicht den Versuch unternommen, auf eure geheimnisvolle Weise mit dir in Kontakt zu treten?«

»Genau so ist es.«

»Und du? Hast du auch keine Verbindung mit ihr aufgenommen?«

»Ich habe es in der darauffolgenden Nacht versucht, ohne Erfolg.«

»Uns gelingt es gewiss, Valretrade in deinem Namen eine Nachricht zu übermitteln. Wahrscheinlich war sie nur verärgert, weil du nicht an eurem Treffpunkt erschienen bist.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Am vierten Tag habe ich allen Mut zusammengenommen und bin zur Äbtissin Audofleda gegangen mit der Bitte, Valretrade sprechen zu dürfen. Bis zur Verwalterin bin ich vorgedrungen, und die hat mich an der Pforte abgefertigt.«