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Sie schwiegen alle drei. Plötzlich fragte Abt Cadfan Ea-dulf: »Hast du nicht eine der bekannten Arztschulen in Iwerddon besucht, Bruder Eadulf?« »Ja, ich war auf der Tuam Brecain«, kam die Antwort. »Großartig. Dann schau dir doch mal bitte meinen Kopf an, die Wunde an der Schädeldecke und die Schwellungen.«

Eadulf tat wie geheißen. »Soviel ich erkennen kann, handelt es sich um eine schartige Wunde, die oberhalb des linken Ohrs verläuft. Sie war ganz schön tief, heilt aber gut. Ringsherum ist noch alles geschwollen. Ich würde davon ausgehen, dass sie von einem stumpfen Werkzeug herrührt.«

»Du hast einen sachkundigen Blick, Bruder Eadulf«, sagte Abt Cadfan anerkennend. »Ich habe deinem Urteil nichts entgegenzusetzen. Und nun sag mir eins: Wie konnte ich, nachdem ich Ordgar mit einem Getränk betäubt und Abt Dabhoc getötet hatte, mir selbst diese Wunde beibringen? Eine Wunde am Hinterkopf, die mich viele Stunden bewusstlos sein ließ?«

»Das wäre schwer zu bewerkstelligen gewesen«, gab Eadulf zu und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Unter Umständen hätte dir Dabhoc in dem Moment, als du ihn zu ermorden versuchtest, den Schlag versetzen können, oder aber du hattest einen Mittäter.«

»Du enttäuschst mich«, entgegnete Abt Cadfan immer noch gut gelaunt. »Ich würde meinen, dass ich mit der einen Hand, die ich nur frei gehabt hätte, unmöglich zu einer solchen Kraftanstrengung in der Lage gewesen wäre. Kannst du dir wirklich vorstellen, dass ich einen Holzklotz ergreife und versuche, mir damit auf den Hinterkopf zu schlagen?« Er lachte. »Und dass Dabhoc mir den Hieb versetzt hätte, der Gedanke verbietet sich. Du musst mir ja nicht glauben - frage Bruder Gebicca. Nachdem man mich aber so schwer getroffen hatte, konnte ich wohl kaum noch die Kraft aufbringen, Dabhoc zu töten. Und ein Mittäter - wer sollte das sein?«

»Hat sich Bruder Gebicca, der Arzt, dazu geäußert?«, fragte Fidelma.

»Ich habe ihm die Dinge dargelegt, und er fand meine Sichtweise logisch. Ich werde in meiner Verteidigung darauf verweisen«, erwiderte Abt Cadfan, von sich überzeugt.

»Verteidigung?« Fidelma wiederholte das Wort mit leichtem Vorwurf in der Stimme. »Bislang ist noch niemand angeklagt worden.«

»Es wird aber geschehen, da bin ich ganz sicher«, sagte Cadfan mit einem Stoßseufzer. »Bischof Leodegar ist Franke. Sind die Franken und die Sachsen nicht miteinander verwandt? Ihre Sprachen weisen Ähnlichkeiten auf.

Ich denke, er hat sich bereits entschieden, wie er vorgehen wird, und er wird sich hüten, die Sachsen oder Rom zu verärgern. Nicht umsonst ist Ordgar der Gesandte von Theodor aus Canterbury, der von niemand anderem als dem Papst Vitalianus in Rom geschickt wurde, sich um die Belange der angelsächsischen Königreiche zu kümmern. Ich glaube nicht, dass Bischof Leodegar den hohen Mächten Verdruss bereiten wird. Er wird mich opfern, dessen bin ich gewiss.«

»Auch Bischof Leodegar wird sich an die Wahrheit halten müssen«, versicherte ihm Fidelma. »Um der Wahrheit willen hat man uns beauftragt, der Sache nachzugehen.« Abt Cadfan brach in schallendes Gelächter aus.

»Verzeih, Schwester Fidelma, verzeih«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel die Augen. »Nichts liegt mir ferner, als dich zu verletzen. Aber Leodegar wird das tun, was für ihn und seine fränkische Kirche das Beste ist. Er wird solche wie Ordgar nicht tadeln, aus Furcht, Rom zu missfallen. Das Geschick der Britannier schert ihn herzlich wenig.«

»Es kommt anders, ich baue darauf, Abt Cadfan. Am Ende siegt immer die Wahrheit.« Mit diesen Worten stand Fidelma auf und ging zur Tür.

»Manchmal siegt auch die Wahrheit, ja - hoffentlich lebe ich dann noch«, erwiderte Abt Cadfan. »Bitte halte mich auf dem Laufenden bei deiner Suche nach ihr.«

Fidelma blieb an der Tür stehen und beteuerte mit ernstem Gesicht: »Die Wahrheit wird siegen, Abt Cadfan. Ich werde dafür Sorge tragen.«

KAPITEL 6

»Einer von den beiden lügt, in ihren Aussagen stimmt nichts miteinander überein«, fand Eadulf, als sie sich von Abt Cadfan verabschiedet hatten. »So, wie sie die Dinge schildern, sehen sie den Tathergang völlig unterschiedlich.«

»Im Gegenteil, die Tatsachen als solche sind in ihren Darstellungen die gleichen«, widersprach Fidelma. »Über die Tatsachen gibt es keine strittigen Auffassungen, lediglich über die Frage, wer die Schuld trägt.«

»Der eine sagt, man hätte ihm was ins Getränk gemischt, der andere, er sei aufgefordert worden, in Ordgars Zimmer zu kommen, und dort hätte man ihm einen Schlag auf den Kopf versetzt. Sie können beim besten Willen nicht beide die Wahrheit erzählt haben.«

»Vielleicht doch«, entgegnete Fidelma ruhig.

Eadulf schüttelte den Kopf. »Es wird darauf hinauslaufen, wem wir Glauben schenken - Ordgar oder Cadfan. Da können wir auch gleich die Münze werfen und dann eine Entscheidung treffen.«

»Auf diese Weise lässt sich die Wahrheit nicht ergründen.

Da muss uns schon was Besseres einfallen.«

»Und was schlägst du vor, bitteschön? Ich sehe nur zwei Personen mit zwei völlig unterschiedlichen Standpunkten.« »Wir stehen erst am Anfang unserer Nachforschungen.« »Meinst du, Bruder Gebicca, der Arzt, könnte uns einen Hinweis geben? Vielleicht sollten wir gleich mal zu ihm gehen?«

Er hatte den Vorschlag kaum ausgesprochen, da begann eine Glocke zu läuten.

»Die Glocke ruft sicher zum Mittagsmahl«, stellte Fidelma fest. »Dann gehen wir eben nach dem Essen zur Apotheke und werden sehen, was uns Bruder Gebicca zu erzählen hat.« Sie gingen nach unten und erblickten eine Vielzahl frommer Brüder, ordentlich in einer Reihe aufgestellt, die mit gefalteten Händen und gesenkten Köpfen darauf warteten, einer nach dem anderen ins Refektorium eingelassen zu werden. Als Fidelma und Eadulf sich gleichfalls anstellten, trafen sie verstohlene Blicke. Im gleichen Moment tauchte Abt Segdae auf.

»Da bist du ja, Fidelma. Ich hoffte, dich hier zu finden.

Du und Eadulf, ihr speist beide mit uns an dem Tisch, der für die Gäste aus den fünf Königreichen freigehalten ist.« »Wir hatten uns schon Gedanken gemacht, wo wir sitzen sollen«, sagte sie erleichtert, während der Abt sie an der Schlange vorbei ins Refektorium führte.

»Beim Essen kannst du mir erzählen, wie weit ihr gekommen seid«, meinte er und schlängelte sich mit ihnen durch den großen Essenssaal vorbei an langen Bänken und Tischen, an denen sich Ordensbrüder drängten.

An dem Tisch, zu dem er die beiden brachte, saßen bereits sechs Mönche. Abt Segdae stellte sie ihnen alle namentlich vor. Ihre Namen blieben Eadulf nicht im Gedächtnis haften, doch soviel bekam er mit - sie waren Würdenträger der Kirchen aller fünf Königreiche. Auch war offensichtlich, dass Abt Segdae in ihrem Kreis der ranghöchste Geistliche war.

Wieder läutete eine Glocke, und alle im Refektorium erhoben sich. Bischof Leodegar, begleitet von Bruder Chil-peric, betrat den Raum und gesellte sich zu der Runde am Tisch, der ganz am Ende des Refektoriums stand. Alle blieben stehen, während der Bischof seinen Platz einnahm, die Arme ausbreitete und den Lobpreis anstimmte. »Gloria in excelsis Deo et in terra pax hominibus bonae voluntatis.«

»Laudamus te«, erklang es im Chor, »benedicimus te, gratias agimus tibi ...«, fuhr der Bischof mit dem Gloria fort. Nach dem Gratias und dem Segensspruch durften sich alle wieder setzen, nach dem Brot langen und dem kalten Braten und gedünsteten Gemüse zusprechen.