Beifälliges Murmeln erklang von den etwa zwanzig Männern, die um den Tisch saßen.
Bischof Leodegar wandte sich an Bischof Ordgar: »Du bist hier als der persönliche Vertreter Theodors, den unser Heiliger Vater Vitalianus vor kurzem zum Erzbischof von Canterbury ernannt hat. Würde Theodor etwa solche Worte gebrauchen, wie du, Ordgar, sie gegenüber einem Prälaten der Kirche der Britannier gewählt hast?«
Der Angesprochene wollte zu einer Entgegnung ansetzen, doch Bischof Leodegars finsterer Blick ließ ihn in seinen Sessel zurücksinken, wenn auch mit gekränkter Miene. »Cadfan«, fuhr Bischof Leodegar fort, »du bist hier erschienen als Vertreter der Kirchen deines Volkes, der Bri-tannier. Vertrittst du wirklich dein Volk, wenn du Krieg und Auslöschung der Königreiche der Angeln und der Sachsen predigst?«
Abt Cadfan war nicht gewillt, diese Zurechtweisung stillschweigend hinzunehmen.
»Wir haben die Angeln und die Sachsen nicht aufgefordert, in unsere Gebiete einzufallen und uns zu vernichten«, begehrte er auf. »Jeder von uns hier kennt das Werk des heiligen Gildas De Excidio et Conquestu Britanniae -Über Untergang und Wehklage Britanniens. Ihr habt davon gehört, wie meine Leute von den Angeln und Sachsen abgeschlachtet wurden oder wie sie Haus und Hof verlassen und in andere Länder fliehen mussten. Wir werden immer weiter nach Westen gedrängt; nicht wenige von uns sind nach Armorica, nach Galicia und Hibernia geflohen, ja sogar ins Land der Franken, um sich vor den räuberischen Horden zu retten.« »Komm mir nicht mit Geschichten aus der Vergangenheit«, erwiderte Bischof Leodegar verärgert. »Wir leben in der Gegenwart.«
»Gehört Benchoer etwa zur Vergangenheit?«, fiel ihm Abt Cadfan ins Wort.
Leodegar schaute verwundert in die Runde. »Benchoer? Stimmt, Drosto, der Abt von Benchoer, ist nicht hier. Was hat es mit deiner Bemerkung zu Benchoer auf sich?«
»Es hat durchaus seinen Grund, weshalb Drosto von Benchoer fehlt«, antwortete ihm Abt Cadfan. »Benchoer ist unsere älteste Abtei, dort führten dreitausend Brüder ihr Christus geweihtes Leben. Nicht ich, sondern Drosto sollte als der Rangälteste unsere Kirchen hier vertreten. Hat der Sachse, der mir gegenübersitzt, etwa Angst, dir zu sagen, warum Drosto nicht diesen Platz einnimmt?«
Bischof Ordgar blickte missmutig drein. »Die Welschen machen ständig Ärger«, warf er hin. »Ihr Anführer, dessen fremdländischen Namen ich nicht aussprechen kann, hat rückhaltlos verkündet, was alles er meinem Volk anzutun gedenkt.«
»Der König von Gwynedd heißt Cadwaladar ap Cadwal-lon«, erwiderte Abt Cadfan gereizt. »Er stammt von einem Geschlecht großer Könige ab, die schon bedeutend waren, als deine Vorfahren sich noch im Dreck sielten!«
Diesmal war es Bischof Leodegar, der auf den Boden stampfte, um die Gegner zur Ordnung zu rufen. »Wir werden die Zusammenkunft sofort auflösen, wenn diese Beschimpfungen anhalten«, drohte er.
Abt Goelo von Bro Waroc’h, das in Armorica lag, räusperte sich. »Mit Verlaub, Leodegar, dem Konzil muss eine Antwort auf die Frage gegeben werden, die unser verehrter Bruder aus Gwynedd gestellt hat.«
»Es ist so, wie du sagst, Abt Cadfan, der Ehrwürdige Drosto sollte deine Kirche auf diesem Konzil vertreten«, bestätigte Bischof Leodegar. »Was ist mit Benchoer?«
Abt Cadfan schaute mit seinen stechenden blauen Augen Bischof Ordgar an, der mit zusammengekniffenen Lippen dasaß. »Die Abtei von Benchoer gibt es nicht mehr, und Drosto haust mit wenigen Überlebenden in den Wäldern von Gwynedd. Aus Furcht um ihr Leben suchen sie sich Nacht für Nacht einen anderen Unterschlupf. Vor einem Monat ist der Anführer der Sachsen von Mercia ...«
»Der Angeln«, rief Ordgar dazwischen.
». ein Barbar, der sich Wulfhere nennt, mit seinen Horden in Gwynedd eingefallen und hat unsere Abtei bei Benchoer niedergebrannt und bis auf die Grundfesten zerstört. Über tausend unserer Glaubensbrüder wurden mit dem Schwert erschlagen. Ist eine solche Tat eines christlichen Herrschers würdig?« »Über tausend Brüder?«, hauchte einer der gallischen Delegierten entsetzt.
Abt Segdae von Imleach hatte sich den Streit bisher schweigend angehört. Er war der oberste Bischof des Königreichs Muman, des größten unter den fünf Königreichen Eireanns. Jetzt beugte er sich vor und schaute Bischof Ordgar eindringlich an.
»Ist das wahr, Bischof Ordgar?«, fragte er leise. »Wulfhere ist der Bretwalda und .«
»Bretwalda? Was ist das?«, unterbrach ihn Abt Segdae. »Das ist ein Titel, der Wulfhere als Oberherr der Welschen wie auch der Königreiche der Angeln und der Sachsen zuerkannt wurde.«
»Von wem zuerkannt?«, höhnte Abt Cadfan. »Von den Britanniern bestimmt nicht. Bei uns gilt so ein Titel nicht. Wir wollen keinen >Beherrscher der Britannier<, das steckt doch in dem Titel, es sei denn, wir hätten ihn einem Bri-tannier zuerkannt. Weder einen Sachsen .«, er machte eine Pause, »noch einen Angeln« fügte er mit Nachdruck hinzu, »erkennen wir als Herrn über uns an. Gewiss würden wir keinem Barbaren ein solches Recht einräumen. Außerdem haben wir erfahren, dass Wulfhere nicht einmal von den anderen sächsischen Königen als Oberherr anerkannt wird.«
Gereizt rollte Bischof Ordgar die Augen. »Eorcenbehrt von Kent, und in dem Königreich liegt das Erzbistum Canterbury, hat ihn als Oberherrn anerkannt und ihm seine Tochter zur Frau gegeben.«
»Heißt das, Theodor, dein Erzbischof von Canterbury, billigt ihm ein solches Amt zu?«, wollte Abt Goelo wissen. »Theodor ist zu uns von Rom entsandt worden, und Vita-lianus hat ihn als obersten Bischof aller westlich gelegenen Inseln eingesetzt.« »Er hat kein Recht, diese Stellung auch nur in einem der fünf Königreiche von Eireann zu beanspruchen«, mischte sich Abt Dabhoc sofort ein.
Abt Segdae nickte zustimmend, schaute kurz zu Bischof Leodegar, wandte sich dann aber an alle Versammelten. »Ich bin in das altehrwürdige Autun gekommen, um über Vorstellungen zu debattieren, die Rom uns nahelegt. Die Reise hierher war lang und beschwerlich und barg mancherlei Gefahren. Ich vertrete die Kirchen von Muman, während mein Mitbruder Abt Dabhoc in Vertretung von Bischof Segdae von Ard Macha anwesend ist. Der Streitpunkt, um den es eben ging, hat nicht ursächlich mit den Fragen zu tun, deretwegen wir hier sind. Die Vorkommnisse, über die hier gestritten wurde, so unerhört sie sind und so dringend sie zwischen den Britanniern und den Sachsen beigelegt werden müssen, haben keinen unmittelbaren Bezug zu den Angelegenheiten, über die wir zu befinden haben.«
Abt Dabhoc schüttelte den Kopf. »Dem widerspreche ich. Werfen nicht gerade die erwähnten Vorkommnisse die Frage auf, ob Bischof Ordgar geeignet ist, unter uns auf diesem Konzil zu weilen? Billigt er das Massaker, welches Krieger seines Volkes unter den Klosterleuten angerichtet haben? Es hat den Anschein, dass er das tut. Ich meine, darüber sollten wir weiter reden. Lasst uns hören, was die Vertreter der Kirchen der Franken und der Gallier sowie der Kirchen im Lande Kernow und in den Königreichen von Armorica dazu zu sagen haben.« »Es wäre nur recht und billig, dass auch wir gehört werden«, äußerte ein älterer Bischof. »Ich bin Herenal von Bro Erch aus dem Reich Armorica. Was ich bislang von Bischof Ordgar erfahren habe, kündet keinesfalls davon, dass er sich berufen fühlen darf, als Mann des Friedens zu wirken.«