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»Hast du den Vorfall gemeldet?«

Bruder Gillucan schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich will doch leben und nach Tulach Oc zurückkehren. Nur hatte ich von dir und Bruder Eadulf schon gehört und dachte, ihr müsst wissen, was mir widerfahren ist. Aber dass ich mit dir gesprochen habe, muss unter uns bleiben.«

»Das verstehe ich. Wie willst du nach Tulach Oc gelangen?« »Einige Pilger aus Magh Bhile sind auf der Rückreise von Rom. Sie sind gestern Abend in der Stadt eingetroffen und ziehen morgen weiter. Ich werde mich ihnen anschließen. Nichts wünsche ich mir sehnlicher, als von hier wegzukommen.« »Kannst du die Sachen, die Abt Dabhoc bei sich hatte und die nun verschwunden sind, etwas ausführlicher beschreiben?« Bruder Gillucan zögerte.

»Ich bekam ja das Reliquiar nureinmal flüchtig zu sehen.«

»Was hat sich dir davon eingeprägt?«

Angestrengt blickte der Mönch nach oben, als wollte er das Bild vor sein inneres Auge holen. »Es war aus Holz, Kupfer und Zinn und auch Email. Der Form nach war es ein sechseckiges Haus mit schrägem Dach und Giebelwänden, wie eben Reliquienkästchen so sind, die unsere Handwerker herstellen.«

»Mit Edelsteinen war es geschmückt, sagtest du?«

»Es hatte Zierleisten und Fassungen aus rotem Email, in die Smaragde eingesetzt waren. Ich glaube nicht, dass es nur buntes Glas war. Nein, es müssen richtige Edelsteine gewesen sein.«

»Und wie groß war das Ganze?«

»Etwa sechs Zoll lang die Grundfläche, das Haus ungefähr vier Zoll breit und drei Zoll hoch.«

Fidelma nickte; soweit ihr bekannt war, hatten die Reli-quiare aus den fünf Königreichen meist diese Abmessungen.

»Oh, bald hätte ich es vergessen ... Auf dem Deckel waren Wörter eingraviert.«

»Welche denn?«

»Eins war ein Name: Benen.«

»Weiter nichts?« Es war ein in ihrem Land weitverbreiteter Name.

»An mehr kann ich mich nicht erinnern. Da war noch ein Name, aber den habe ich vergessen.«

»Schadet nichts, wenig ist besser als gar nichts, sagte Fidelma munter. »Das war sehr vernünftig, mir zu berichten, was dir widerfahren ist. Trotzdem haben wir es immer mit Lebewesen in greifbarer Gestalt zu tun und nicht mit Legionen von Verdammten, wie du es geschildert hast. >See-len in Qualen<, glaube ich, hast du gesagt.«

Dem jungen Mönch war nicht fröhlich zumute. »Wirklich, Schwester, in dieser Abtei gibt es Seelen, die in Qualen wimmern. Ich habe Stimmen gehört, die vor Schmerz und Gram schrien. So wahr ich hier sitze, ich habe sie selbst gehört«, bekräftigte er.

Fidelma gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, denn der junge Mann glaubte im Ernst an das, was er sagte. »Vielleicht kannst du mir noch erzählen, was du gehört hast und unter welchen Umständen.«

Bruder Gillucan schien peinlich berührt, und er tat sich schwer, darüber zu reden. Schließlich überwand er sich. »Ich bin zum necessarium gegangen«; er wurde rot. Fidelma stutzte, das Wort war ihr noch nicht begegnet. »Necessarium?«, wiederholte sie.

»Latrina meine ich. Das war noch vor Sonnenaufgang und ich . ich musste mal .«

»Red weiter«, drängte ihn Fidelma ungeduldig. »Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut wie du, natürliche Regungen unseres Körpers sind mir nicht fremd.«

»Ich saß also im necessarium, und da hörte ich zuerst verhaltenes Wimmern. Dann die qualvollen Rufe der Seelen ... Anders kann ich die Laute nicht beschreiben. Angstschreie, darauf Heulen und Jammern in Todespein. Das war so schrecklich, ich bin geflohen, muss ich gestehen, habe mich erst bei Tageslicht wieder aus meiner Zelle gewagt.«

Man musste seinen Schilderungen Glauben schenken; offenbar hatte er etwas gehört, das ihn vollends erregt, ja verstört hatte.

»Woher kamen die Laute?«, forschte Fidelma weiter. »Du warst im necessarium; waren die Laute im selben Raum?« Bruder Gillucan starrte sie einen Moment lang an. »Eher drangen sie durch die Wände«, sagte er. »Ja, so war es. Sie kamen aus den Wänden. Schreie von Verdammten.«

»Wo befindet sich dieses necessarium?«

»Im Erdgeschoss, hinter dem Refektorium.«

Er musste schlucken und bekam die Worte kaum heraus.

»Ich fühle es, ein Fluch liegt auf dem Ort hier, Schwester. Ich kann es kaum erwarten, bis es hell wird und ich die Heimreise ins Königreich Ulaidh antreten kann.«

Mitfühlend betrachtete sie den verängstigten jungen Mann.

»Wenn du willst, kannst du auch Bruder Eadulf und mich auf dem Rückweg in die fünf Königreiche begleiten, oder du ziehst mit Abt Segdae und seinem Kämmerer los.« »Nachdem, was meinem Abt zugestoßen ist und dann mir, verlasse ich lieber die Stadt, so schnell es geht. Nein, ich werde morgen früh mit den Pilgern aus Magh Bhile aufbrechen.« »So möge Gott mit dir sein auf all deinen Wegen«, wünschte ihm Fidelma ernst.

Bruder Gillucan erhob sich rasch.

»Solltest du das Reliquienkästchen des Abts finden, bitte denke daran, es ist ein Geschenk von Ard Macha an Rom.«

»Ich werde es nicht vergessen, Bruder Gillucan.«

»Möge Gott dich beschützen an diesem unheilvollen Ort.«

Er ging zur Tür, blieb stehen und sah hilfesuchend zu ihr.

»Schwester, könntest du so gut sein und nachschauen, ob jemand auf dem Gang ist?«

Wortlos stand sie auf und öffnete die Tür. Sie spähte rasch den Gang auf und ab und vergewisserte sich, dass dort niemand war. Sie trat zurück, und er schlüpfte hinaus.

»Slan abhaile«, flüsterte sie. Komm gut heim.

KAPITEL 8

Missvergnügt war Eadulf zurückgekehrt, Abt Segdae hatte er nicht sprechen können. Mit einigen anderen Delegierten hatte er sich offenbar zu einer Beratung zurückgezogen, um sich eine Meinung zu den Empfehlungen zu bilden, die auf der Tagesordnung des Konzils stehen würden, wenn es denn schließlich zusammentrat. Der Abt hatte Anweisung gegeben, dass sie von niemandem gestört werden dürften. Fidelma nahm die Situation gelassen hin, dann würden sie eben den Besuch bei Äbtissin Audofleda bis zum nächsten Tag aufschieben müssen. Und so nutzte sie die gewonnene Zeit und erzählte Eadulf von ihrem Besucher.

»Auch das noch, es spukt in der Abtei«, meinte er nur skeptisch.

»Irgendetwas muss der junge Mönch gehört haben. Das heißt ja nicht, dass er es richtig deutet.«

»Dann müsste ich wohl dieses necessarium aufsuchen und mich umhorchen«, überlegte Eadulf. Das Gästehaus hatte eine eigene latrina, deshalb hatte er die der Allgemeinheit dienende Einrichtung bislang nicht benutzt. Dass Fidelma seine Bemerkung ernst nehmen würde, hatte er nicht erwartet.

»Mach diese Örtlichkeit ausfindig und geh nachts dorthin, wenn alles ruhig ist. Vielleicht hast du Glück und findest eine vernünftige Erklärung für die unheimlichen Laute, die Bruder Gillucan gehört haben will.«

Eadulf stöhnte innerlich. Er war mit den heidnischen Vorstellungen der Vorväter groß geworden, und so glaubte er immer noch an böse Geister. Fidelma übersah geflissentlich seine bekümmerte Miene.

»Vielmehr macht mir Kopfzerbrechen, dass Abt Dabhoc eine kostbare Gabe für den Bischof von Rom bei sich hatte - dieses Reliquiar. Ist der Dieb vielleicht auch der Mörder?«

Eadulf ließ sich auf den Stuhl fallen, auf dem vorher der junge Mann gesessen hatte. »Selbst wenn, dann waren es doch bestimmt nicht die beiden, die später Gillucan heimsuchten und mit dem Messer bedrohten«, gab er zu bedenken.