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KAPITEL 9

Fidelma und Eadulf traten auf den großen Vorplatz der Abtei. Sie ließen sich Zeit, als sie über die Steinplatten gingen und dem breiten Fahrweg zustrebten, der zu dem geräumigen Haupthof führte. An seiner einen Seite befand sich ein mächtiges Holzportal; es erwies sich als Eingang zumdomus feminarum. Der Hof als solcher war hübsch angelegt. Wie überall auf derartigen Höfen plätscherte in seiner Mitte ein Springbrunnen. Er stellte ein seltsames Wesen aus Marmor dar, aus dessen Maul Wasser sprudelte. Gegenüber dem Zugang zum domus feminarum gab es eine weitere Tür, die aber zugesperrt war und durch die man offensichtlich in das Reich der Mönche hätte gelangen können. Weiter unten an der Auffahrt hatte Eadulf noch einen anderen düsteren Torbogen gesehen; er hatte ihn für einen weiteren Klostereingang gehalten, hinter dem sich möglicherweise eine Abkürzung zum Hauptgebäude verbarg. Aber auch da war alles verriegelt gewesen.

Sie näherten sich dem großen, mit Eisen beschlagenen Eichenportal. Fidelma zog an dem Seil, das an einer Seite hing, woraufhin es drinnen schellte. Sie harrten der Dinge, die da kommen würden. Nicht lange, und eine Luke öffoe-te sich, aus der sie zwei fahle Augen musterten.

»Ich bin Schwester Fidelma, und das neben mir ist Bruder Eadulf. Wir möchten die abbatissa sprechen, die Äbtissin Audofleda. Wir sind ihr angekündigt.« »Wartet!«, lautete die gebieterische Antwort, und die Luke wurde wieder zugeschlagen.

»Einen freundlichen Empfang kann man das nicht gerade nennen«, stellte Fidelma ironisch fest.

Dann wurden geräuschvoll die Riegel zurückgezogen. Langsam schwang die Tür nach innen auf, und sie erblickten eine Nonne - groß, mit strengem Gesicht, auffallender Nase, fast schwarzen Augenbrauen und hellblauen Augen. Die Hände hielt sie verborgen in den Falten ihres schwarzen Habits.

»Kommt herein!«, forderte sie sie im Befehlston auf und trat einen Schritt zur Seite. Beim Eintreten bemerkten sie eine weitere Nonne, vermutlich die Torhüterin, denn sie schob die schwere Tür hinter ihnen wieder zu. Auch jetzt ging das nicht ohne Lärm ab, denn die Riegel schlugen beim Vorschieben wie ein Hammer auf einem Amboss an. »Bist du Äbtissin Audofleda?«, fragte Fidelma die erste Nonne.

Sie verneinte ungehalten. »Ich bin Schwester Radegund. Ich diene der abbatissa. Folgt mir.« Ihre Umgangsart wie ihr ganzes Wesen waren feindselig.

Sie drehte sich abrupt um und eilte rasch einen überwölbten Gang entlang, der in einen engen Innenhof mündete, wandte sich dort nach rechts und hastete einen anderen kurzen Gang entlang bis zu einer Wendeltreppe. Dort nahm sie die Stufen mit erstaunlicher Geschwindigkeit, ohne sich auch nur einmal umzusehen, ob die Gäste mit ihr überhaupt Schritt halten konnten, und entschwand in einem weiteren Durchgang. Eadulf hatte schon viele Klöster gesehen, aber keins, das einen mit solcher Düsterkeit umfing. Die Abteilung für die Mönche war schon grau und bedrückend gewesen, aber das domus feminarum war weit schlimmer. Beim Anblick der grauen Steinwände fühlte er sich regelrecht niedergedrückt; vergeblich hielt er nach etwas Aufheiterndem Ausschau - Blumen, Ikonen, Wandmalereien -, nach etwas, das den Eindruck einer Festung minderte, schließlich war es doch ein Haus zum Lob und zur Ehre Gottes.

Unversehens war Schwester Radegund vor einer Tür stehengeblieben. Erst jetzt drehte sie sich um und würdigte Fidelma und Eadulf eines Blicks, und der war so abschätzend, als wollte sie sich vergewissern, ob die beiden einen genügend würdigen Eindruck machten, um vorgelassen zu werden. Dann klopfte sie an die Tür. Eine verhaltene Stimme forderte sie auf, näher zu treten.

Sie befanden sich im Arbeitszimmer der Äbtissin. Zwar hatte auch sie mit ihren Schwestern die Morgen- und Abendandachten besucht, war aber für Fidelma und Ea-dulf unsichtbar geblieben, da die Frauen durch einen gesonderten Zugang in die Kapelle gelangten und dank der hölzernen Trennwände den Blicken der Mönche verborgen waren. Äbtissin Audofleda saß hinter ihrem Tisch; ihr Schleier war so weit zurückgezogen, dass ihr Gesicht frei, das Haar jedoch bedeckt war. Sie war eine Frau mittleren Alters; eine Schönheit war sie wohl nie gewesen mit der kantigen Stirn, den hervortretenden Wangenknochen und der auffallend großen Nase, die zudem einen Buckel aufwies, so dass man fast von einer Hakennase sprechen konnte. Die Augen waren fahl und ohne jede Wärme, die Lippen schmal und die Haut bis auf ein paar Flecken an den Wangen bleich.

»Das sind Schwester Fidelma und Bruder Eadulf, abbatissa«, wusste Schwester Radegund zu melden. Ehrerbietig stand sie mit gefalteten Händen und niedergeschlagenen Augen vor ihr.

Die Äbtissin ihrerseits hatte die Hände entschieden auf den Tisch gelegt und saß leicht zurückgelehnt. Ungehalten betrachtete sie erst Eadulf, dann Fidelma.

»Bischof Leodegar hat mir nahegelegt, euch zu empfangen. Er sagt, ihr hättet die Bitte geäußert, mich zu sprechen. Worum geht es?« Ihre Stimme klang gebieterisch, und sie sprach schlechtes Latein.

»Wir sind ...«, begann Fidelma, wurde aber durch die gebieterische Gebärde einer hageren, bleichen Hand zum Schweigen gebracht.

»Wer du bist, weiß ich, Schwester. Darüber wurden wir neulich Abend aufgeklärt, als Bischof Leodegar in der Kapelle zur Gemeinde sprach. Man hat dir gestattet, die Begleitumstände des Todes eines der Abgesandten zum Konzil zu erforschen.

Ich bin dagegen. Eine Frau hat da nichts zu suchen, schon gar nicht eine, die vorgibt, eine fromme Schwester zu sein. Aber der Bischof hat nun einmal diese befremdliche Entscheidung getroffen. Mich hat man nicht gefragt. Und jetzt möchte ich wissen, was dich hierher führt.«

Fidelma wechselte einen flüchtigen Blick mit Eadulf. Äbtissin Audofleda verhielt sich ebenso unfreundlich wie sie aussah.

»Wir möchten dir ein paar Fragen stellen«, erwiderte sie kühl.

»Dafür gibt es meines Erachtens keinerlei Anlass. Wir Schwestern leben getrennt von den Brüdern der Abtei.

Wir haben nichts mit dem Todesfall zu tun. Alles, was damit im Zusammenhang steht, entzieht sich unserer Kenntnis, auch wollen wir nichts darüber wissen.«

Eadulf sah, wie Fidelmas Augen schmal wurden. Er wusste, was das bedeutete. Rasch kam er ihr zuvor.

»Wir bitten um Nachsicht, abbatissa«, beeilte er sich zu versichern und befleißigte sich eines versöhnlichen Tons. »Wir sind nicht ohne Grund hier, denn wir glauben, die Schwesternschaft hat im gewissen Sinn doch etwas mit den Todesumständen von Abt Dabhoc zu tun.«

Äbtissin Audofleda zog die dünnen Augenbrauen hoch. »Hältst du mich für eine Lügnerin? Ich habe jeden Zusammenhang zwischen uns und dem Todesfall verneint.« Eadulf war über die unverhohlene Feindseligkeit der Frau erschrocken. Fidelma hingegen hatte sich inzwischen wieder in der Hand und versuchte, sich auf Eadulfs diplomatisches Herangehen einzulassen.

»Nichts liegt uns ferner als anzuzweifeln, dass du uns eine wahrheitsgemäße Auskunft gegeben hast. Wir würden nur darauf verweisen wollen, dass uns vielleicht Dinge bekannt sind, von denen du nichts weißt.«

»Nämlich?« Ihr Ton war voller Verachtung.

»Schwester Valretrade.«

Für alle hörbar hielt Schwester Radegund den Atem an, und Fidelma sah, wie die Äbtissin ihr einen warnenden Blick zuwarf.

»Was weißt du über Schwester Valretrade?« Argwöhnisch funkelten Äbtissin Audofledas Augen.

»Wir wissen, dass sie in der Mordnacht einem der Mönche ein Zeichen hat zukommen lassen, dass sie sich sehen müssten. Ihre Verabredung führte dazu, dass man bemerkte, was in Bischof Ordgars Gemach geschehen war. Wir müssen sie befragen, denn ihre Aussagen dürften wesentlich für unsere Nachforschungen sein.«

Nur kurz hatten sie den Eindruck, die Äbtissin verunsichert zu haben.