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Der Gesandte hob die Augenbrauen. »Wieso?« »Der Tod hat zunächst den Abt und dann seinen Kämmerer ereilt, zwar unter anderen Umständen, aber doch kurz nacheinander. Hängt das eine mit dem anderen zusammen?« »Der junge Bruder wurde von Räubern angefallen, nachdem er die Abtei verlassen hatte. Das ist etwas völlig anderes als die Ermordung des Abts. Es ist einfach eine betrübliche Tatsache, dass es in unserer Welt Räuber gibt, die Fremden auflauern und sie überfallen, um ihnen die Wertsachen zu rauben, die sie bei ihnen vermuten. Nicht einmal die Mönche bleiben von solch üblem Gesindel verschont.«

»Merkwürdig ist immerhin, dass ihn niemand gesehen hat, als er die Abtei verließ - nicht einmal die ständigen Wachen am Stadttor haben bemerkt, wie er durch das Tor gegangen ist«, überlegte Fidelma laut.

»Und was konnte ein junger Mönch schon bei sich haben? Soweit mir bekannt ist, besaß er keinerlei irdische Reichtü mer, wie sie jemand von Rang und Ansehen bei sich haben könnte, jemand wie du etwa«, stichelte Eadulf mit sanftem Spott.

Doch der Nuntius war nicht zum Spaßen aufgelegt. »Heutzutage wird man schon wegen eines Paares guter Ledersandalen überfallen.« Er zögerte und fragte Fidelma: »Du denkst doch nicht ernstlich, dass da ein Zusammenhang besteht zwischen dem Tod dieses jungen Mannes und der Ermordung des Abts?«

»Ich ziehe erst dann meine Schlussfolgerungen, wenn ich im Besitz aller Fakten bin«, antwortete sie ihm.

»Hast du Bruder Gillucan gekannt?«, fragte Eadulf den Nuntius.

»Nein. Ich bin mit allen Delegierten zusammengekommen, aber nicht mit ihren Kämmerern oder Ratgebern. Ich war bei der Vorbesprechung dabei und habe erlebt, wie feindselig manche Gesandte einander begegneten.« »Spielst du auf den Streit zwischen Ordgar und Cadfan an?«

Der Nuntius nickte. »Dass Prälaten der Kirche so in Widerstreit geraten können, ist wahrhaft betrüblich, wo uns doch der Glaube alle vereinen sollte. Ich musste einschreiten und Bischof Leodegar beistehen, sie zur Vernunft zu bringen.«

»Je eifriger jemand den Glauben verkündet, um so bösartiger kann er die verleumden, die von seiner Sicht auf die Dinge abweichen«, warf Fidelma ein. »Leider erzeugt der Glaube oft auch unversöhnlichen Hass.«

»Du erstaunst mich, Schwester!«, empörte sich der Nuntius.

»Versetzt dich die Wirklichkeit, in der wir leben, nicht in Erstaunen, Peregrinus?«, gab Fidelma zurück. »Wir müssen uns damit abfinden, dass wir alle schwache Geschöpfe sind. Ich habe die Gesetze meines Landes studiert und mich jahrelang bemüht, ihnen Geltung zu verschaffen. Schweren Herzens musste ich begreifen, dass die Menschen nicht makellose, vom Verstand gelenkte Wesen sind. Sie können verschlagen und oft auch bösartig sein, ganz unabhängig davon, welchen Platz sie im Leben einnehmen.«

»Wir, die wir den wahren Glauben verkünden, müssen danach streben, unsere sittlichen Gebote vorbildlich zu befolgen.«

»Danach streben schon«, stimmte sie ihm zu, »doch ich fürchte, oft genug klafft da ein Abgrund zwischen dem Bestreben und dem Erreichten.« Sie lenkte das Gespräch wieder auf ihr ursprüngliches Anliegen. »Welchen Eindruck hattest du von Abt Dabhoc?«

Nuntius Peregrinus überlegte einen Augenblick. »Er schien ein sehr gemäßigter, besonnener Mann zu sein. Er versuchte, Frieden zu stiften zwischen dem Britannier und dem Sachsen.«

»Glaubst du, er wurde umgebracht, weil er sich zwischen die beiden stellte?«, wollte Eadulf wissen.

»Ganz von der Hand zu weisen wäre das nicht.« »Wiederum wurde in derselben Nacht sein Zimmer geplündert. Raubüberfälle scheinen jetzt gang und gäbe zu sein. Ob sich auch damit der Vorfall erklären ließe?«

»Der Abt wurde aber in Ordgars Gemach erschlagen . Willst du damit sagen, Ordgar hat ihn bei einem Diebstahl getötet?«

»Das habe ich nicht gemeint. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass seine Kammer durchsucht wurde und dass dabei einige Dinge verschwunden sind.«

Darauf wusste der Nuntius nichts zu antworten.

»Bist du Abt Dabhoc sonst noch begegnet, außer bei jener Vorbesprechung?«

»Ja. Ich habe ihn bei einer Besichtigung des alten römischen Amphitheaters getroffen, das sich hier in der Nähe befindet. Bischof Leodegar hatte den Gästen des Konzils einige Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen wollen.«

»Sein Kämmerer war aber nicht dabei?«, erkundigte sich Fidelma.

»Doch, mir fällt eben ein, der junge Mann hat den Abt begleitet. Wir haben allerdings nur ein paar belanglose Worte gewechselt. Und gleich danach hat er sich von der Gruppe getrennt«, erklärte der Nuntius in einem Tonfall, als müsste er sich verteidigen.

»Als du mit Abt Dabhoc allein warst, habt ihr da vielleicht über ein Geschenk gesprochen?« Fidelmas unverblümte Frage verblüffte den römischen Abgesandten.

»Du hast offenbar schon eine ganze Menge in Erfahrung gebracht, Fidelma. Ja, darüber wurde gesprochen.«

»Und worum genau ging es in dem Gespräch?«

»Der Abt ließ mich wissen, er habe ein besonderes Geschenk aus Hibernia mitgebracht. Nämlich ein Reliquiar, und er bat mich, es als ein Präsent vom Erzbischof von Ard Macha Seiner Heiligkeit zu überbringen.« »Vermutlich aber wurde dir das Geschenk bisher nicht übergeben?«

Der Nuntius nickte.

»Weißt du, was das für ein Geschenk war?«

»Heilige Reliquien. Die Reliquien eines Jüngers des heiligen Patrick, der den Bewohnern Hibernias den christlichen Glauben brachte.«

»Die Reliquien des Benen mac Sesenen?«

»Ein Name wurde nicht genannt, soweit ich mich erinnere. Man wollte bis zur Beendigung des Konzils warten.

Bei der Abschlusszeremonie sollte die Gabe feierlich überreicht werden, auf dass alle Zeuge würden, wie Ard Macha seinen Tribut an Rom zollte.«

»Wer hatte das ersonnen?«

»Natürlich der Abt. Ich hatte den Eindruck, er war stolz auf dieses Geschenk und wollte, dass alle Delegierten sahen, was Ard Macha Seiner Heiligkeit zugedacht hatte.« Dann runzelte er die Stirn. »Dir ist gewiss bekannt, dass der Bischof von Ard Macha den Segen Seiner Heiligkeit als oberster Kirchenherr in eurem Lande Hibernia zu erhalten wünscht.«

Fidelma schürzte verächtlich die Lippen. »Wir haben schon seit langem gemerkt, dass der comarb des Patrick, wie wir die Bischöfe von Ard Macha nennen, den Anspruch erhebt, der oberste Bischof aller fünf Königreiche zu sein. Jedoch wird dieser Anspruch von den anderen Bischöfen keineswegs gutgeheißen. Und schon gar nicht von den Bischöfen im Königreich meines Bruders.« »Comarb?« Der Nuntius stutzte bei dem Wort.

»Das heißt einfach >Nachfolger<«, erklärte Fidelma und fuhr fort: »Abt Segdae, der jetzt der ranghöchste Delegierte aus Hibernia ist, wird alscomarb des heiligen Ailbe anerkannt; Ailbe kam in unser Königreich Muman, noch bevor Patrick das Inselreich betrat. Ailbe war es, der den Glauben in unserem südlichen Königreich verbreitete. Nach Ansicht unserer Gelehrten stünde Segdae das Vorrecht zu, oberster Bischof zu sein. Er ist sowohl Abt als auch Bischof von Imleach, der Abtei, die Ailbe gegründet hat. Viele von uns wollen es nicht hinnehmen, dass der Bischof von Ard Macha den Titel archiepiscopus führt -denn derart hierarchisch sind unsere Kirchen nicht ausgerichtet.«

Nuntius Peregrinus seufzte tief. »Um Kirchenpolitik geht es also! Dieses Geschenk dürfte Abt Segdae nicht gefallen haben. Da nun das Geschenk verschwunden ist, solltest du deine Gedanken auch in diese Richtung lenken.«

Fidelma entging die Verdächtigung nicht, die in seinen Worten mitschwang. »Willst du Abt Segdae unterstellen, er hätte seine Hand im Spiel?«

Peregrinus spreizte die Hände. »Wenn, wie du vermutest, der Diebstahl des Reliquiars ein mögliches Motiv für den Mord an Dabhoc darstellt, dann ist Abt Segdae ein Hauptverdächtiger, und das aus dem Grunde, den du eben dargelegt hast.«