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»Wer außer dir hat gewusst, worum es sich bei dem Geschenk handelt? Ich meine, hat nicht nur gewusst, dass es ein Reliquienkästchen ist, sondern auch, welcher Art die darin befindlichen Reliquien sind?«, fragte Eadulf.

»Ich denke, nur Abt Dabhoc und vielleicht sein Kammerdiener, der junge Bruder Gillucan. Mir jedenfalls war lediglich bekannt, dass das Kästchen die Reliquien des Jüngers und Nachfolgers des heiligen Patrick enthielt.«

Fidelma schwieg und überlegte. Nach den Bemerkungen des Nuntius hatte sie selbst den Grund genannt, aus dem Abt Segdae als Hauptverdächtiger in Betracht käme. Aber Segdae war der Freund ihres Bruders und sein Ratgeber, und zudem hatte er sie und Eadulf getraut. Eine Bestechungsgabe, wie sie Ard Macha Rom anbot, war gewiss nicht im Sinne Imleachs oder Segdaes.

»Wann hast du davon erfahren, dass das Reliquiar gestohlen wurde?« warf Eadulf ein.

»Wann?« Der Abgesandte überlegte einen Moment. »Ich denke, das muss gleich nach dem Mord gewesen sein, bin mir aber nicht ganz sicher. Jemand sprach davon, dass die Kammer des Abts durchwühlt worden war.«

»Wer war dieser >jemand<?«

»Daran erinnere ich mich nicht ... Oder doch, warte! Das muss Bruder Chilperic gewesen sein, der Verwalter.«

Man hörte das Läuten einer Glocke. Rasch stand der geistliche Herr auf. »Ah, man ruft zur Abendmahlzeit.« Fidelma hatte den Eindruck, dass ihm das sehr gelegen kam. »Wenn sich das Reliquiar nicht in Abt Dabhocs Zimmer befand, war es doch logisch, dass sein Kämmerer, Bruder Gillucan, es an sich genommen hatte.«

»Ja, schon, so dachte man zunächst auch.« Der Nuntius hüstelte. »Bruder Gillucan wurde deswegen befragt ... Doch er bestritt, davon überhaupt etwas zu wissen.«

»Wer hat ihn befragt?«

»Ich nehme an, Bruder Chilperic hat mit ihm gesprochen.« Auch Fidelma und Eadulf erhoben sich nun. »Du hast uns sehr geholfen, Nuntius Peregrinus«, schmeichelte ihm Fidelma. »Ich hoffe, wir können weiter mit deiner Unterstützung rechnen bei der Aufklärung dieser Vorgänge, und außerdem hoffe ich, dass es nicht mehr lange dauert, bis du unserem Freund in Rom, dem Ehrwürdigen Gelasius, berichten kannst, was sich hier zugetragen hat.«

Peregrinus nickte Schwester Fidelma und Bruder Eadulf zu, drehte sich nach seinem stummen Leibwächter um und schloss sich der Schar an, die zum Refektorium strebte. Fidelma und Eadulf folgten ihnen gemächlichen Schrittes. »Was machen wir nun?«, fragte Eadulf. »Sollen wir Abt Segdae mitteilen, er hätte guten Grund gehabt, Dabhoc zu töten und diesen Reliquienkasten zu stehlen?«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Abt Segdae werden wir zunächst in Ruhe lassen . Jedenfalls solange es nicht unmittelbar um den Diebstahl geht. Ich habe das Gefühl, selbst wenn Segdae zu einem solchen Verbrechen fähig wäre, auf so vertrackte Weise würde er es nicht begehen. So schlau ist er nicht.

Wie dem auch sei, freuen wir uns erstmal auf das Abendessen.«

KAPITEL 11

Wie verabredet erwartete sie Bruder Sigeric im scriptorium. Lange standen sie im Dunkeln beieinander, ohne ein Wort zu sprechen, und lauschten angespannt, bis rundum alles still blieb und sie sicher waren, dass alle Brüder in der Abtei schliefen. Dann zündete Bruder Sigeric eine Laterne an.

»Hast du den Lageplan vom domus feminarum?«, flüsterte Fidelma.

Der junge Schreiber nickte, zog einen Pergamentbogen hervor und strich ihn auf dem Tisch glatt. Rasch erklärte er Fidelma, welchen Weg sie nehmen müsste, um ins Quartier zu gelangen, in dem Schwester Valretrade bislang gelebt hatte. »Ich habe den Plan so genau wie möglich gezeichnet. Wie du weißt, geht Valretrades Kammer auf den Innenhof und liegt praktisch gegenüber meiner Zelle. Mit einer Kerze haben wir einander Zeichen gegeben. Um dir die Orientierung zu erleichtern, habe ich auch heute eine brennende Kerze in mein Fenster gestellt. Achte darauf, wenn du dich dem Licht gegenüber befindest, müsstest du in Valretrades Kammer sein. Gehen wir also, ich führe dich zur unterirdischen Pforte des domus feminarum.«

»Einen Moment, Bruder.« Eadulf hielt ihn zurück. »Benutzen diesen Gang nicht alle Frauen der Schwesternschaft, wenn sie zur Andacht in die Kapelle kommen?« »Keine Sorge.« Bruder Sigeric verstand, was ihn bekümmerte. »Um diese Zeit ist dort niemand unterwegs. Außerdem wirst du gleich sehen, der Gang ist kein gerader Korridor, mehr ein Schlängelweg durch ein Labyrinth von unterirdischen Gewölben. Es gibt genügend Winkel und Nischen, um sich zu verstecken, sollte uns jemand unerwartet entgegenkommend

»Jetzt ist es ohnehin zu spät, sich den Kopf über mögliche Gefahren zu zerbrechen«, meinte Fidelma. »Gehen wir lieber.«

Bruder Sigeric blies die Laterne aus. Sie verließen das scriptorium und gingen über den vom Mond beschienenen Hof, der zwischen dem Hauptgebäude der Abtei und der Kapelle lag. Bruder Sigeric war der Weg vertraut, und er lief so raschen Schritts voran, dass Fidelma ihn flüsternd bat, sein Tempo zu mäßigen. In der Kapelle blieben sie stehen. Ein Öllämpchen brannte neben der Tür, das immer dort war als ein Zeichen des Heiligen Geistes. Bruder Si-geric nahm die Kerze aus seiner Laterne, zündete sie am Ewigen Licht an und begab sich dann zur Tür in der Rückwand der Kapelle. Geräuschlos zog er mit geübtem Griff einen Riegel zurück. Hinter der Tür führte eine hölzerne Treppe nach unten in völlige Dunkelheit.

Er ließ Fidelma und Eadulf oben warten und verschwand in der Finsternis. Sie hörten ihn die Stufen hinabsteigen, sahen aber nur kurz aufblitzende Lichtschimmer. Als sie ihn wenig später im vollen Schein der Laterne wieder zu Gesicht bekamen, wich die Spannung.

»Die Luft ist rein - kommt.« Er hielt die Laterne hoch und bedeutete ihnen, ihm nach unten zu folgen, bat aber zuvor Eadulf, die Tür hinter ihnen zuzuziehen.

Am Fuße der Treppe hielten sie an. Es war kalt und feucht und roch nach einer merkwürdigen Mischung aus Erde und Fäulnis, die Fidelma sofort an die Katakomben in Rom erinnerte. Nur einem Glücksumstand war damals zu verdanken gewesen, dass sie dort überlebt hatte.

»Es heißt, die Abtei wurde auf der alten Nekropole von Augustodunum erbaut, der Begräbnisstätte der Römer«, raunte ihnen Bruder Sigeric zu.

Vollends dunkel war es nicht. Im schwachen Dämmerlicht konnten sie Bögen und Pfeiler ausmachen, die in Abständen von wenigen Fuß das Gewölbe darüber stützten. Zwischen den Pfeilern standen Sarkophage, manche aus Marmor, andere aus Sandstein.

»Wie weit erstreckt sich diese Totenwelt?«, fragte Eadulf mit leichtem Schauder.

»Endlos, unter der ganzen Abtei«, erwiderte Bruder Sige-ric. »Kommt, folgt mir.«

Zielsicher stapfte er durch ein Labyrinth von Bogengängen und Sarkophagen. Mit den verschiedenen trügerischen Abzweigungen und Nebenwegen schien er wohl vertraut. Für Fidelma hingegen stand fest, dass sie hier ohne einen erfahrenen Führer binnen weniger Minuten rettungslos verloren wären.

»Gibt es mehr als einen Ein- und Ausgang aus diesem finsteren Irrgarten?«, fragte sie. »Abgesehen von den Katakomben in Rom ist mir dergleichen nicht vorgekommen.«

»Nur noch einen dritten«, lautete die Auskunft.

»Und wohin führt der? Gehört er auch zur Abtei?«

»Der endet in einem engen Tunnel unter der Südwestecke der Stadtmauer. Früher, als die adligen Geschlechter in der Stadt lebten, diente er als Fluchtweg, wenn die Stadt belagert wurde.«

»Wird der heute noch genutzt?«

»Jedenfalls nicht, seit ich in der Abtei bin. Gesehen habe ich den Ausgang natürlich. Alle Riegel sind auf der Innenseite der Türen. Von außen kann niemand eindringen, es sei denn, er hat Helfershelfer drinnen.«

Eadulf schaute sich besorgt in dem Schummerlicht um. Von irgendwoher schien ein schwacher Lichtschein zu kommen, doch ließ sich die Richtung nicht feststellen. Bruder Sigeric bemerkte, wie er den Kopf hin und her wandte und nach etwas suchte.